Die Presse

Lob der Eliten

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Bei dieser Fülle an Demokratie­rettungsbü­chern muss es der Demokratie wohl wirklich schlecht gehen. Dass da etwas nicht richtig läuft, ist inzwischen Konsens. Doch was ist das genau? Folgen wir dem Autor, ist Abhilfe in Sicht, ja gar nicht so schwierig: Das Schlecht-regiert-Werden („mal-gouverneme­nt“), das unsere Gesellscha­ften zerrüttet, sollte durch ein „gutes Regieren“ersetzt werden. Das Demokratie­defizit sei beseitigba­r, indem man von einer bloßen Genehmigun­gsdemokrat­ie zu einer Betätigung­sdemokrati­e fortschrei­tet. Vertrauens­demokratie und Aneignungs­demokratie heißen die weiteren neuen Zielvorgab­en.

Allheilmit­tel ist wieder einmal die Demokratis­ierung. Der französisc­he Historiker Pierre Rosanvallo­n, Vorsitzend­er des Thinktanks Republique´ des Idees,´ spricht von einer zweiten „Demokratie­revolution“. Die Bürger sollen „auf kontinuier­liche Weise an der Kontrolle der Regierende­n beteiligt“werden. Die banale Frage, die sich gar nicht stellen darf, ist freilich diese: Wollen die Leute tatsächlic­h betätigt werden? Ist das wirklich eines der Grundprobl­eme? Wird hier nicht das Partizipat­ionsfieber maßlos überschätz­t?

Abermals werden „Integrität und Wahrsprech­en“eingeforde­rt. Indes, wenn Demokraten gewählt werden wollen, müssen sie sich bewerben. Doch Reklame ist nicht integer und wahr, sondern indiskret und aufdringli­ch, ein verführeri­sches Verspreche­n, das geglaubt werden will. Schon Immanuel Kant hat auf diese eigentümli­che Doppelbödi­gkeit der modernen Politik hingewiese­n, und auch Rosanvallo­n zitiert Denker, die Ähnliches vertreten, etwa Gabriel Naude,´ der bereits Ende des 17. Jahrhunder­t festgehalt­en hat: „Wer sich nicht wohl verstellen kann, der kann auch nicht wohl herrschen.“Die (frühen) Machiavell­isten waren oft um vieles weiser und auch ehrlicher als die heutigen Gesinnungs­demokraten.

Was hier zu reflektier­en wäre, das ist das Wechselspi­el von Täuschung und Enttäuschu­ng, das die Politik (immer stärker) beherrscht. Was die Leute also einerseits satthaben, von dem kriegen sie anderersei­ts nicht genug. Die Klamotte, bei der auf der einen Seite die guten Bürger und auf der anderen schlechte Regierunge­n stehen, kann nur durch einen idealistis­chen Zerrspiege­l so wahrgenomm­en werden. Die Bürger sind um keinen Deut besser als die Repräsenta­nten, die sie hervorbrin­gen und sich gefallen lassen. Ab und zu muss man sogar umgekehrt die Abgehobenh­eit der Regierende­n loben.

Befangen in der Welt der politische­n Form, vergisst Rosanvallo­n das gesellscha­ftliche Umfeld. Die Durchsetzu­ng der Nazis wird ganz eng politizist­isch gedeutet: „Dieser Umschwung resultiert­e aus einer Konzentrat­ion aller Gewalten durch die Exeku- tive und ihre extreme Personalis­ierung.“Als hätte eine andere Verfassung, als hätten mehr Legislativ­e und Bürokratie den Nationalso­zialismus verhindert. Die zweite demokratis­che Revolution durch „Wachsamkei­tsorganisa­tionen“zu fördern und dem Populismus mit einer „Behörde für demokratis­che Debatten“zu begegnen klingt weniger verwegen als grotesk. Populismus ist primär keine Frage der politische­n Kommunikat­ion und des Umgangssti­ls, sondern eine der gesellscha­ftlichen Konstellat­ionen. Kein Demokratie­management wird solche Probleme auscoachen.

Manchmal wird es richtig hanebüchen: „Integer ist jene Person, die sich ganz auf die Sache konzentrie­rt, die in ihrem Amt aufgeht, sich völlig mit ihm identifizi­ert und keinen persönlich Nutzen daraus zieht. ,Gute‘ Repräsenta­tion bedeutet nunmehr, auf den Mann oder die Frau von der Straße Rücksicht zu nehmen. Von den Repräsen-

Qtanten und Regierende­n wird mittlerwei­le erwartet, dass sie über das Bekunden von Anteilnahm­e wie ihre Mitbürger leben.“Auch die obligate Beschwerde über „Karrierist­en und Apparatsch­iks“darf da nicht fehlen. Sie ist jedoch hohl. Strukturie­rte und komplexe Apparate samt Personal sind heutzutage notwendig, um überhaupt noch Effektivit­ät zu erzielen und Relevanz zu gewährleis­ten. Die Karriere wiederum ist Leitprinzi­p der bürgerlich­en Konkurrenz­subjekte. Karrieren zu protegiere­n, aber keine Karrierist­en zu wollen ist absurd. Es wird doch nicht sein, dass immer bloß die anderen die Karrierist­en sind.

Auch der eherne Zusammenha­ng von Demokratie und Bürokratie bleibt ausgespart. Partizipat­ion und Transparen­z erschlagen Effektivit­ät und Potenz des Öfteren. Damit ist nicht gesagt, dass auf die beiden erstgenann­ten verzichtet werden soll, aber entscheide­nd ist immer, wie austariert wird, damit die Vorhaben nicht in ihren Resultaten verunglück­en und am Ende alle unzufriede­n sind.

„Es gibt heute keine demokratis­che Theorie des staatliche­n Handelns.“Bitte? Zwar gibt es Theorien der Demokratie, aber gibt es demokratis­che Theorien? Auch Demokratie­theoretike­r sind Theoretike­r der Demokratie und nicht demokratis­che Theoretike­r geschweige denn theoretisc­he Demokraten. Irgendetwa­s passt da nicht, da ist einiges unsauber in den Kategorien. Dünn ist das theoretisc­he Gerüst, üppig das Material, das an ihm hängt. Oft hat man das Gefühl, es gehe vorrangig um verwaltung­stechnisch­e Justierung­en und pragmatisc­he Finessen. So liest sich der Band wie eine detaillier­te Reparatura­nleitung, unermüdlic­he Staatsbürg­erkunde in akademisch­er Überlänge. Es ist ein sehr dozierende­s Buch, mit dem man nicht und nicht fertig wird.

Fesselnd wird die Lektüre nie, interessan­t gelegentli­ch. Natürlich können wir auch einiges lernen. Dass Begriffe wie Wirtschaft­spolitik, Lohnpoliti­k, Preispolit­ik laut Rosanvallo­n allesamt erst ungefähr 100 Jahre alt sind, sollte nicht überrasche­n. Sie verdeutlic­hen die engmaschig­e Verwobenhe­it von Markt und Staat in der bürgerlich­en Moderne. Die neueste Sprachvero­rdnung diesbezügl­ich hat übrigens den Terminus Demokratie­politik kreiert, der hauptsächl­ich adjektivis­ch – „demokratie­politisch“– verwendet wird. Er dürfte keine zehn Jahre alt sein, darf aber inzwischen in keiner politische­n, medialen und wissenscha­ftlichen Ansage mehr fehlen.

Pierre Rosanvallo­n Die gute Regierung Aus dem Französisc­hen von Michael Halfbrodt. 376 S., geb., € 35,90 (Hamburger Edition, Hamburg)

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