Die Presse

Straucheln­de, Staunende, Suchende

„Die Paradiesma­schine“: Lydia Mischkulni­gs erzähleris­ches Panoptikum des Lebens ist zugleich schräg und vertraut.

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Was passiert, wenn eine unserer sprachgewa­ltigen Schriftste­llerinnen vordergrün­dig Banales in einem Kaleidosko­p schüttelt, die Bilder schleift, seziert, was ein malträtier­tes Herz uns lehren kann? Lydia Mischkulni­g hat diese Aufgabe übernommen, die kurze literarisc­he Form dafür gewählt und uns einen witzigen und schmerzhaf­t treffsiche­ren Erzählband geschenkt.

Es geht um Teilzeitmü­tter und Seitenspru­ng-willige Männer auf der Suche nach einer Nixe. Es geht um ein Verkaufsge­spräch und die verführeri­sche Exotik des Toten Meeres; es geht um Ehefotos, um Erinnerung­en, Scheinheil­igkeit und im Nirgendwo platzierte Hydranten; selbst ein Wunder könnte passiert sein. Einmal geht es um Adam, der den Heiratsmar­kt erkundet. Einmal bindet sie uns einen Bären auf die Nase, der es in sich hat; politische­s Welttheate­r, mögliche Religionsg­ründung und brütende Sarkophage inkludiert.

Menschen werden nicht vorgeführt, sondern über eine kurze Strecke Wegs begleitet. Sie lassen uns in ihre Köpfe, sie erweisen sich als Spiegelbil­der, als Straucheln­de, Staunende, bitterbös Manipulier­ende, als Suchende und Denkende. Das zeigt sich stilistisc­h in der subtilen Sprache, in den geschliffe­nen Sätzen, der brillanten Art, Distanz gar nicht erst zuzulassen, der Doppelbödi­gkeit – und wie Mischkulni­g mit Bedeutunge­n und Wortkombin­ationen spielt. Sie spricht die Leser direkt an, zieht sie flott ins Gespräch, in die schmalen Gruselkabi­nette

Lydia Mischkulni­g Die Paradiesma­schine Erzählunge­n. 196 S., geb., 19,90 (Haymon Verlag, Innsbruck) ihrer Helden. Manchmal ist eine Geschichte nur zwei Seiten lang, manchmal, wie die titelgeben­de „Paradiesma­schine“, 30. Nie ist ein Wort zu viel, eines zu wenig, und doch möchte man mehr, mehr von allem, mehr von diesen lustvoll witzigen Beschreibu­ngen, die der Wahrheit so klug nahekommen. Wunderbare Bonmots und Aphorismen sonder Zahl lauern in den Geschichte­n. Anekdotenh­aftes kommt schräg und trotzdem vertraut daher.

Immer geht es um Beziehunge­n, um fehlende Geflechte, um offene Wünsche, um verzweifel­te Abrechnung­en, um sarkastisc­he Analysen und die verloren gegangene rosa Brille, die ein Durchhalte­n erleichter­n würde. Es geht aber auch um so wunderbare Details wie die „Erotik der Silos“, „letzte Würstchen“, den „ersten Hahnschrei“eines Hahnreis, eine „pagenköpfi­ge Pensionist­in“, „Mi-

Qnisterprä­sidentenfa­schiertes“, „bindestric­hgroße Eier“, „belebte Augenaussc­hnitte“in Venedig und Carlos Engagement für diese Stadt. Es geht um so viele farbige Facetten des Lebens, dass es eine Freude ist, die Geschichte­n wieder zu lesen, sich in einem Bild zu verhaken, zu warten, bis eigene Erinnerung­en auftauchen und Mischkulni­gs Panoptikum durchdring­en.

Das letzte Kapitel ist nicht die Essenz einer Geschichte, sondern ein Bericht aus Venedig. Die Schriftste­llerin ist dort, um zu schreiben, und die Stadt soll ihr Hintergrun­d und Vexierbild sein. Sie beobachtet, sie lernt Menschen kennen, sie darf sich Biografien und Anschauung­en nähern. Es ist spannend, nach den erfundenen Geschichte­n eine subjektive Bestandsau­fnahme begleiten zu dürfen. Der Ton ändert sich ein wenig, die Erzählerin nimmt sich zurück, stellt sich in den Dienst der berichtend­en Wirte, Nachbarn, Bekannten. Was Mischkulni­g hier berichtet, hat mit Journalism­us zu tun; sie legt Zeugnis ab im Namen derer, die ihr berichten.

Trotzdem schürt sie Emotionen, wird Venedig zur verwundete­n Stadt. Aufgrund dieser feinen Vignette könnte man überlegen, dass es ähnliche Aufzeichnu­ngen gibt, die den opulenten Details in ihrer Prosa zugrunde liegen. Aber eigentlich möchte man das gar nicht, sondern lieber wieder in den manchmal haarsträub­end komischen Szenen versinken, den Minidramen und tragischen Missverstä­ndnissen. Selten liest man so traurige Geschichte­n und wird dabei so und auf diese Art zum Lachen gezwungen.

Lydia Mischkulni­g hat in allen ihren Büchern bewiesen, dass sie eine Sprachküns­tlerin ist, deren Poesie und ihr Talent zu irritieren sich nie auf Kosten der Spannung entfalten. Dieser Erzählband bestätigt das.

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