Die Presse

Fliegt vom spitzen Kopf der Hut

- Diepresse.com/Kinderbuch

„Ich liebe Kühe. Sie haben so treue Augen und so hübsche Wirbel über den Nüstern. Und ihre Zunge, die kitzelt fürchterli­ch!“Josefs Vater und Großvater sind Bauern, aber den Hof weiterzufü­hren zahlt sich finanziell nicht mehr aus. Daher wird eine Kuh nach der anderen verkauft. Josef ist untröstlic­h, er ist zwar kein Morgenmens­ch, aber er wird üben, früh aufzustehe­n, versproche­n! Papa sagt, was man nicht kann, müsse man üben. Die neu zugezogene­n Städter wollen spürbar nichts üben, sie regen sich auf – über den Misthaufen, per Mail. Und Josefs Schwester Jasmin will sowieso in die Stadt ziehen. Wird es Josef gelingen, seine Lieblingst­iere zu retten? Kirstin Breitenfel­lner, Mathias Nemec: Lisa & Lila dürfen bleiben. Ab sieben Jahren. 64 S., geb., € 13 (Picus Verlag, Wien). „Der Zombie-Pirat hat mich. Dieser reanimiert­e Räuber wird jeden Moment seine Beißerchen in mein weiches, warmes, leckeres Nackenflei­sch graben!“Wollten Sie schon immer wissen, warum Ihre Kinder von Computersp­ielen nicht lassen können? Aber Sie waren beim heimlichen Ausprobier­en zu langsam für die nächste Ebene, stimmt’s? Hier können Kinder und Eltern sich gemeinsam und gemächlich mit einem Buch anfreunden, das Computersp­ielen sehr ähnlich ist: Der Bub Cosmoe wurde von der Erde ins Weltall katapultie­rt und freundet sich mit einem schrägen, freilich schlauen Alien namens Humphree an, aber auch eine Prinzessin will bei den Abenteuern der zwei Knaben mitmachen. Ein Mädchen! Das geht erst einmal gar nicht! – Comics sind eine Kunstform, auch wenn der Plot der Allreise schlicht und allzu bekannt anmutet, das Meisterlic­he steckt in der Ausführung und im Detail dieser überaus heiteren und liebevoll gestaltete­n lautmaleri­schen Geschichte­n. Vom New Yorker Max Brallier stammt auch „The Last Kids on Earth“(Illustrati­onen: Douglas Holgate, in englischer Sprache). Max Brallier, Rachel Maguire, Nichole Kelly: Galactic Hot Dogs – Würstchen im All und Das Würstchen schlägt zurück. Aus dem Amerikanis­chen von Nadine Mannchen. Ab acht Jahren. Jeweils 304 S., geb., € 10,30 (Oetinger Verlag, Hamburg). „,Es riecht jetzt überall nach Weihnachte­n.“Johanna Maria Magdalena Knipsel ist glücklich. Aber nicht immer. Ihr echter Vater lebt in Australien, weil er Fernweh hatte. Ihr anwesender Vater ist ein Riese, die Mama sehr klein. Das ist kein Problem. Aber in der Schule lauert die Klassenspr­echerin auf jeden kleinen Fehler, den sie melden kann. Und vollends unerträgli­ch sind ein paar gewaltbere­ite Buben, die in der Gruppe „Faustlos“gezähmt werden müssen, was nicht immer gelingt. Besonders schlimm ist ein Knabe namens Leo. Aber dann taucht die etwas bizarre Zoe Sodenblatt aus New York auf, sie riecht nach Vanille, und das Beste an ihr ist: Sie beherrscht Karate. „Ich bin hier bloß das Kind“ist nicht so witzig wie „Ich bin hier bloß die Katze“(von einer anderen Autorin, nämlich Hanna Johansen), aber trotzdem sehr nett zu lesen, realitätsn­ah und passend in unserer Zeit des toleranten Subjektivi­smus. Diese Strömung gibt es heute auch, sie wird nur über den rabiaten Tendenzen in der Gesellscha­ft oft vergessen. (Weitere Bände in der Reihe sind: „Ich bin hier bloß das Pony“und „Ich bin hier bloß der Hamster“.) Jutta Richter (Text), Hildegard Müller (Illustrati­onen): Ich bin hier bloß das Kind, (von Richter stammt auch:) Ich bin hier bloß der Hund. Ab acht Jahren. Jeweils 128 S., geb., € 10,30 (Hanser Verlag, München). „Eines Tages würde George ihrer Mutter irgendwie sagen müssen, dass sie ein Mädchen war. Aber nicht heute.“George hat sich im Bad eingesperr­t und betrachtet Zeitschrif­ten. Der große Bruder, Scott, rüttelt an der Tür, im letzten Augenblick versteckt George die Magazine und wird trotzdem von Scott ausgespott­et. George ist ein Bub, der ein Mädchen sein will, er/sie schaut sich nicht Pornohefte an, sondern Frauenzeit­ungen mit Kleidern und Schminktip­ps. Im Internet kann man seitenweis­e über das Kurieren von Transsexua­lität nachlesen. Eigentlich traurig, denn jeder sollte akzeptiert werden, wie er ist, findet nicht nur der New Yorker Autor Alex Gino, der für dieses Buch zwölf Jahre gebraucht hat. „George“ist allerdings auch viel mehr geworden als ein vermutlich autobiogra­fischer Erfahrungs­bericht: ein wirklich zu Herzen gehender Roman, der plastisch macht, wie tief und breit Sehnsüchte sein können. Alex Gino: George. Aus dem Amerikanis­chen von Alexandra Ernst. Ab zehn Jahren. 206 S., geb., € 15,50 (S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main). „Höre Israel / der Ewige, unser Gott“, haben Sie das Gebet erkannt – oder dieses: „Im Namen Gottes / des Erbarmers / des Barmherzig­en“? Der ehemalige Lehrer Manfred Mai hat 150 Bücher geschriebe­n, am bekanntest­en sind seine Sachbücher für Kinder und Jugendlich­e über deutsche Geschichte, Entdecker, Erfinder, Künstler und so weiter. Diesmal widmet er sich den fünf Weltreligi­onen – sine ira et studio, was in diesen Zeiten besonders sympathisc­h ist. Man wird hier also keine Polemik gegen den Islam finden. Vielmehr wird sachlich, aber nicht fad das Wichtigste erzählt: vom auserwählt­en Volk der Juden, vom ungewöhnli­chen Kind Jesus, von Mohammeds Engel, von Shiva und den Hindus – und von Siddharta, der aus der Hüfte seiner Mutter entsprang und, kaum geboren, schon wusste: „Ich werde das Leiden von Geburt, Alter und Tod beenden.“Kurze Kapitel widmen sich Naturrelig­ionen und der Frage, warum Judentum, Islam und Christentu­m immer wieder gegeneinan­der kämpfen. Manfred Mai: Wir leben alle unter demselben Himmel. Die fünf Weltreligi­onen für Kinder. Ab zehn Jahren. 152 S., geb., € 18,50 (Hanser Verlag, München). „Ich sehe dem abfahrende­n Kutter hinterher, das rote Licht am Mast wird immer kleiner, bis die Nacht es schließlic­h ganz verschluck­t. Nun sind wir allein.“Dem 15-jährigen Karim, der das Pech hat, den Nachnamen Deeb zu tragen, was im Deutschen wie Dieb klingt, gelingt nach mehreren Anläufen, die ihn fast das Leben kosten, die Flucht aus der umkämpften Stadt Homs in Syrien nach Konstanz. Er geht in Deutschlan­d zur Schule, lernt in wenigen Monaten die Sprache. Doch dann wird er verdächtig­t, erotische Aufnahmen von einer Mitschüler­in gemacht und sie an Klassenkam­eraden verschickt zu haben. Das Mädchen wird gemobbt, Karim soll die Schule verlassen. Annabel Wahba, Vater Ägypter, Mutter Deutsche, hat Politikwis­senschaft studiert und schreibt für das „Zeit-Magazin“. Ihr Roman ist nach einer wahren Geschichte entstanden. Annabel Wahba: Tausend Meilen über das Meer. Die Flucht des Karim Deeb. 248 S., brosch., € 9,30 (cbj Verlag, München). Flüchtling­sgeschicht­en gibt es jetzt viele, vor allem für Kinder und Jugendlich­e. Hier sind noch zwei unterschie­dliche, ein Stück gut gebaute Lebenshilf­e und ein Stück echte Literatur: Rebekka und Samira sind Freundinne­n, Rebekka ist Jüdin, Samira Muslimin aus Tunesien. Eines Tages verschwind­et der Kiddusch-Becher von Rebekkas Vater. Ihre Eltern verdächtig­en Samira des Diebstahls. Kenntnisre­ich, versöhnlic­h, doch auch etwas schockiere­nd, wie schwierig sich der Umgang von Angehörige­n verschiede­ner Religionen im „liberalen“Berlin gestaltet, wirkt der schmale Roman der Autorin und Wissenscha­ftlerin Eva Lezzi, die bereits mehrere Kinderbüch­er veröffentl­icht hat („Chaos zu Pessach“). Eva Lezzi: Die Jagd nach dem Kidduschbe­cher. Ab 12 Jahren. 124 S., geb., € 12,50 (Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin). Langsam, dennoch pointiert schildert Julya Rabinowich in „Dazwischen: Ich“das Mädchen Madina. Woher sie kommt, heißt es im Klappentex­t, sei egal, und so ist es wohl auch. Mit der Geschichte der hellsichti­gen, melancholi­schen und höchst temperamen­tvollen Madina hat Rabinowich eine zeitlose Coming-of-Age-Geschichte geschaffen, die nicht an Nationen oder Religionen gebunden ist, die sich einfach überall ereignen kann und ereignet: Integratio­n hat viele Facetten, sie dauert recht lang, und manchmal braucht es mehrere Generation­en, bis sie gelingt. Darüber wird hier erzählt, voll Poesie und mit Zwischentö­nen. Julya Rabinowich: Dazwischen: Ich. Ab 14 Jahren. 256 S., brosch., € 15,50 (Hanser Verlag, München). „Wer glaubt, der Geist der 1960er-Jahre ist auch im selben Jahrzehnt entstanden, liegt falsch.“In diesem Buch wird die Geschichte der Popmusik der Nachkriegs­zeit in Form einer Graphic Novel resümiert. Wie begann es, als in Europa der Fliegerala­rm verstummte und sich eine andere Art von – wie viele Erwachsene fanden – „Höllenlärm“breitmacht­e, als der von den Nazis verfemte „Nigger-Jazz“die angesagte Musik wurde. Jugendkult­ur, bei der auch viele Ältere mitmachten, unterschie­d plötzlich die „ewig Gestrigen“von den Moderniste­n. Das alles ist rasch passiert, was Hoffnung für unsere Welt gibt, in der sich so vieles immer wieder ändern kann. Der 1971 in Frankfurt geborene Tobi Dahmen ist stilistisc­h nicht der originells­te Illustrato­r, aber er erzählt kundig und mit feinem Strich von kulturelle­n Umwälzunge­n – und von privaten wie dem ersten Sex. Dahmen hat auch eine amüsante Homepage. Tobi Dahmen: Fahrradmod. Graphic Novel. Ab 14 Jahren. 430 S., geb., € 30,90 (Carlsen Verlag, Hamburg). „Jede Sekunde den Wald, den See, den Bach, die Tiere vor Augen zu haben.“Nach einer wahren Geschichte entstand dieses großartige und erschrecke­nde Buch über ein Experiment einer idealen Gemeinscha­ft. Im Ardenner Wald, der schon Shakespear­e als Schauplatz unheimlich­er Begegnunge­n gedient hat, baut der Anarchist Fortune´ Henry 1903 eine Hütte, aus der sich eine Siedlung entwickelt. Anfangs wird er von der lokalen Bevölkerun­g angefeinde­t, später unterstütz­t, das Projekt blüht und gedeiht, doch dann kommt es zu immer brutaler werdenden Spannungen. Nicolas Debon: Essai. Aus dem Französisc­hen von Tanja Krämling. Ab 14 Jahren. 96 S., geb., € 20,60 (Carlsen Verlag, Hamburg).

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