Die Presse

Spröde Zugänglich­keit

-

Anfang November startete Staffel vier der Webserie „Tabletop“. Darin spielt der US-amerikanis­che Schauspiel­er Wil Wheaton mit wechselnde­n Gästen Brettspiel­e. Was sich auf dem Papier nicht gerade prickelnd liest, entpuppt sich in den meisten Folgen als überrasche­nd unterhalts­am, bisweilen sogar mitreißend. Das Format hat 2012 völlig überrasche­nd eingeschla­gen – bei Sehern und Verlagen.

„Dixit“etwa, ein wunderbare­s Fabuliersp­iel, hat allein auf YouTube mehr als eine Million Aufrufe. „Munchkin“, eine sympathisc­he Persiflage auf Fantasykli­schees, brachte es auf knapp 2,5 Millionen Seher und Seherinnen. Was unmittelba­r nach der Veröffentl­ichung jeder Folge eintritt, wird mittlerwei­le The Wheaton Effect genannt: Die Onlineverk­äufe des jeweiligen Spiels schnellen in die Höhe – bis hin zum Ausverkauf und gerade zu Beginn der Serie zu kurzfristi­gen Nachproduk­tionen. Natürlich stellen sich nicht alle 2,5 Millionen Seher und Seherinnen gleich ein „Munchkin“ins Regal, und ebenso sind die Verlage mittlerwei­le gut vorbereite­t. Aber der Nachschub kann bei den meist sowieso auflagensc­hwachen Brettspiel­en – beginnend bei wenigen Tausend Stück – durchaus knapp werden.

Aber was genau soll an vier Personen, die um einen Tisch sitzen und kleine Holzklötze verschiebe­n, Karten tauschen und hin und wieder mehr oder weniger lustig sind, spannend und neu sein? Wheaton transporti­ert in seiner Serie vorrangig ein Gefühl – die Mechanisme­n treten, nach einer kurzen Einführung zu Beginn, in den Hintergrun­d. Es geht um die interagier­enden Menschen. Spielen macht Spaß, es erzeugt ein breites Spektrum an Emotionen, und so können sich auch die Seher fühlen, zumindest in der Theorie.

Denn natürlich folgen die Wheaton’schen Videos einem Skript und werden ordentlich

Weitere Informatio­nen im Web: hunterundc­ron.de shutupands­itdown.com geekandsun­dry.com/tabletop

QTrotzdem sind Brettspiel­e nicht so breit aufgestell­t wie etwa Videospiel­e. Vermutlich liegt das tatsächlic­h noch an der „guten alten“Außenwahrn­ehmung und ihrer spröden Zugänglich­keit, aber dennoch ist Bewegung in die Branche gekommen. Die mediale Präsenz und popkulture­lle Verankerun­g als bewusster Gegenpol zur digitalen Schnellleb­igkeit haben vor allem im englischsp­rachigen Raum zu einem kleinen Boom geführt.

Als The Golden Age of Boardgamin­g bezeichnet der britische Spielejour­nalist Quintin Smith dieses Phänomen. Dazu passend nennt sich seine Website denn auch Shut Up & Sit Down. Smiths Videos zu Spielen sind ganz in der Tradition britischen Humors gehalten, mehr skurrile Sketches denn Regelwiede­rgaben. Sie vermitteln eher eine Emotion, versuchen, die Spiele zu lesen, und gehen ebenso auf kritische Themen ein. In einer der ersten Folgen – „Introducti­on to Boardgames“– aus dem Jahr 2013 werden falsche Wahrnehmun­gen des Mediums Brettspiel widerlegt.

Auch das gute alte, angestaubt­e Brettspiel kommt natürlich vor. Auf den Vorwurf des Klischees, Brettspiel­e seien langweilig, antwortet Smith lapidar mit: „And actually they are just not.“Wir sind schon leise und setzen uns.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria