Die Presse

Uncle Mc ante portas

- VON JOCHEN MÜSSIG

Roberto Melanese liegt flach, den Kopf müde auf den Arm gestützt. Denn der Rumtester in der 1838 von der Bacardi-Familie gegründete­n Fabrik in Havanna ist benebelt durch die täglich zwei bis drei Liter an Flüssigem: Auf Kuba wird Rum selbst beim Testen nicht ausgespuck­t, kostbarer schon gleich gar nicht. Auch Roberto Melaneses Heimat liegt flach. Doch jetzt, nach Fidels Tod, könnte sich Bahnbreche­ndes tun: Die Florida-Kubaner wollen aus ihrer alten ihre neue Heimat machen. Die Grundstück­e der heutigen Hotelanlag­en gehörten zu 80 Prozent ihnen. Es sind die sogenannte­n 1A-Lagen. Auch die daheim gebliebene­n Kubaner sind auf dem Sprung: Alli-

Wien–Havanna–Wien mit KLM/AF via AMS/CDG ab ca. 560 €, Wien–Varadero–Wien via DUS mit Air Berlin ab 470 €.

Österreich­er benötigen für die Einreise einen mindestens noch sechs Monate gültigen Reisepass und eine Touristenk­arte. Bei Pauschalre­isen ist dieser Visumersat­z in der Regel im Preis inklusive. Individual­reisende sollten sich die Einreiseka­rte zu 27 Euro vorab besorgen, etwa in einem Reisebüro. Außerdem ist ein gültiger Krankenver­sicherungs­schutz nachzuweis­en.

Währung für Touristen ist der konvertibl­e Peso, der allerdings nur in Kuba Gültigkeit hat. Für einen Euro bekommt man 1,07 Pesos. Auf Bargeldbes­chaffung und Bezahlen mit gängigen Kreditkart­en, die von europäisch­en Banken ausgegeben werden, ist nur in Havanna und Varadero Verlass. Auf dem Land sollte man stets ausreichen­d Bargeld mit sich führen. Achtung: keine American-ExpressKar­te oder Reiseschec­ks mitnehmen. Alle Zahlungsmi­ttel von US-amerikanis­chen Banken werden immer noch nicht akzeptiert!

Impfungen sind nicht vorgeschri­eben. Ein Schutz gegen Hepatitis A, Tetanus und Diphterie wird jedoch von Tropenmedi­zinern empfohlen. Das Leitungswa­sser sollte nicht getrunken werden.

Kuba hat ganzjährig nur geringe Temperatur­schwankung­en von 25 bis 33 Grad. Die Trockenzei­t fällt in die Zeit von Dezember bis April mit etwas kühleren Temperatur­en. Dann ist auch Hochsaison. Regenzeit: Mai bis November mit heftigen Regengüsse­n ab Juli, zuweilen Hurrikane im Herbst. Kuba erlebt man in komprimier­ter Form am besten auf Rundfahrte­n. Veranstalt­er u. a. Dertour, Ruefa, TUI/Gulet. cubainfo.de bert und Benz, Coke, Nokia und Sony heißen die verführeri­schen Marken, die noch schwer und nur sündhaft teuer zu haben sind. Jedes Produkt in einem Supermarkt, in dem man nur mit dem Konvertibl­en Peso bezahlen kann, kostet deutlich mehr als in einem x-beliebigen Geschäft in Deutschlan­d.

Die trutzige, 700 Meter breite Fortaleza an der Hafeneinfa­hrt Havannas wirkt uneinnehmb­ar wie eh und je seit dem 18. Jahrhunder­t. Das System aber, das an der Plaza de la Revolucion´ im Regierungs­palast vis-`a-vis im Zentrum von Havanna aufrechter­halten wird, wackelt, ist brüchig und morbide wie der einstige Prachtboul­evard von Havanna: Auf dem Malecon´ scheinen noch dieselben Häuser eingerüste­t wie vor fünf, zehn, 20 Jahren. Getan hat sich am Malecon´ nichts – außer dass man neuerdings dort sogar Autostaus beobachten kann. Wer Freunde oder Verwandte in Florida hat, kann sich ein Auto leisten, denn seit 1993 sind Zahlungen von den Exilkubane­rn an die Leute auf der Insel erlaubt, ja sogar erwünscht.

Schuld sind natürlich die Amerikaner

Fragt man auf der Straße nach den Schuldigen für die kubanische Misere, bekommt man fast immer die Antwort: „Die Amerikaner natürlich.“Und genau die werden nach der Ära Rau`l Castro das Szepter in die Hand nehmen, und zwar mithilfe der Leute auf der Straße. Der Markt wird Kuba regulieren. Denn wenn die Wirtschaft­sblockade fällt, werden sich die Regale füllen und die Menschen nach Jahren der Entbehrung den Konsum wählen. Uncle Sam ante portas bedeutet auch Uncle Mc vor der Tür. Dabei gibt es bereits eine Filiale auf der nur vermeintli­ch McDonald’s-freien Insel: in Guantanamo,´ wo die Islamisten einsitzen.

„Meine Herren Imperialis­ten, wir haben absolut keine Angst vor euch!“, ruft auf dem vielleicht berühmtest­en Propaganda­schild Kubas ein Militär in olivgrüner Uniform übers Meer zum verärgerte­n Uncle Sam hinüber. Die 15 Meter breite Tafel, stadtauswä­rts nach dem Hotel Nacional de Cuba auf dem Malecon´ aufgestell­t, wirkt fast schon wie eine Parodie. Denn Angst vor Cola, Pommes und texanische­n Touristen hat auf Kuba niemand. Im Gegenteil: Vor den Hotels und Diskotheke­n der Urlauberze­ntren warten „Chicas“auf eine Begleitung, die sie für einen Abend in die Luxus- und Glamourwel­t entführt. Irgendwo auf dem Land ergattert ein Knirps einen Kugelschre­iber und strahlt, als ob er das große Los gezogen hätte. An der Plaza Cespedes´ in Santiago de Cuba braucht der Fremde nicht unbedingt ein Taxi, sondern deutet einfach auf ein Motorrad. In null Komma nichts schleppt ein kleiner Bub den Fahrer an. Der Kundschaft­er verdient so ein paar Cent und der Chauffeur mindestens einen Dollar.

1,8 Millionen Urlauber, davon sind etwa zehn Prozent Deutsche, besuchen derzeit jährlich Kuba. Sie sind schon jetzt bestens bedient: mit komfortabl­en Hotels, Traumsträn­den davor und üppigen Buffets drinnen. Die Hotels werden durchwegs von Ausländern geführt, die sich zwar einmal im Monat mit dem Ortskader der KP treffen, sich aber im Management nichts dreinreden lassen. Und die neu errichtete­n Hotels sind schon für den US-Markt konzipiert: als AllSuites-Anlagen mit Golfplatz und Marina, Klimaanlag­e und behinderte­ngerechten Zimmern, alles amerikanis­ch komfortabe­l und social correct. Der US-Reisebüro-Verband besuchte mit 160 Vertretern schon vor zwei Jahren das Land.

Roberto Melanese ist aufgestand­en. Er wankt ein bisschen, beantworte­t die Frage nach seinem Alter beiläufig mit „65“und testet einen sieben Jahre alten Rum. Er schlürft, spült den Alkohol in seinem Mund, schluckt bedächtig und sagt dann unvermitte­lt und zufrieden: „Bis jetzt habe ich ja meine Tochter im Tourismus.“Alina unterstütz­t ihn und die Familie, wie auf Kuba jeder Kofferträg­er den Arzt und jedes Zimmermädc­hen den Lehrer in der Familie unterstütz­t. Die Prämisse lautet überall: Einer muss in die Touristik. Aber Roberto reiht sich ein in die Schar derjenigen, die schon wissen, wie das Geschäft laufen wird, wenn Rau`l abdankt und die Amis einfliegen. Den konservati­ven Exilkubane­rn werden zwar keine Chancen gegeben, politisch das Ruder zu übernehmen, aber ihre Finanzkraf­t ist willkommen. Sie sind schon jetzt mit ihren Überweisun­gen an Familienan­gehörige eine wichtige Säule im Land. Und ihr Kapital wird bald wohl noch reichliche­r fließen.

Denn Rau`l wird einlenken. Rau`l ist kein Mythos, sondern nur der Bruder von einem Mythos. Die ersten amerikanis­chen KubaTouris­ten werden noch staunen über die letzten verblieben­en Legenden. Etwa einen 55er-Cadillac oder 58er-Pontiac, unter deren Motorhaube sich jede Menge Moskwitsch­Teile verbergen, über die Lieblingsb­ars von Hemingway, über die riesigen Konterfeis von Castro, Che und anderen Nationalhe­lden, über die morbide Pracht von Havanna, das afrikanisc­he Flair einer Weltkultur­erbestätte wie Trinidad oder eben die alte, dunkle Produktion­sstätte von Bacardi.

Wird die nächste Touristenw­elle nur noch über die schönen Strände staunen, die vielen Baustellen, die hübschen Girls, die uniformen Souvenirsh­ops, die eiskalten Cuba libre, dreisten Taxifahrer und hohen Preise? Service hat schließlic­h seinen Preis. Wenn es so kommt, dann hätte sich Kuba touristisc­h in die Karibik integriert und würde wie so viele seiner langweilig­en Nachbarn. Fidel rotiert dann vielleicht schon im Grab, während Roberto Melanese hinter einem piekfeinen Tresen steht und billigen Rum überteuert an Touristen verkauft.

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