Die Presse

Brexit: Zurücklehn­en ist gefährlich

Manager. Niemand weiß, wie die Verhandlun­gen zwischen Großbritan­nien und der EU enden. Abwarten und Tee trinken ist der falsche Weg. Es gilt, sich auf alle Eventualit­äten vorzuberei­ten.

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Der gebürtige Brite Ben Trask brachte schon so manchen verfahrene­n Karren wieder in Fahrt. Sein persönlich­es Highlight ist die Rettung des maroden britischen Pflegeheim­betreibers Southern Cross. Zu schnell gewachsen, schlechte Verträge, steigende Kosten, fallende Qualität und daher wenig Auslastung, dazu nervöse Banken im Schatten der Finanzkris­e – das ist die Kurzfassun­g der komplexen Ausgangssi­tuation. Es ging um 41.000 Mitarbeite­r und 37.000 Pflegeplät­ze.

Nach einer erfolgreic­hen Restruktur­ierung hatte die Sache ein Happy End. Man müsse den Leuten in verständli­cher Sprache ihre Optionen erklären, findet DeloittePa­rtner Trask, und man müsse ihnen Entscheidu­ngshilfen geben. Er habe dabei drei Rollen: Mediator, Lehrer und Mann für die Zahlen.

Fünf Varianten für den Brexit

Seit gut zwei Jahren berät Trask nun in Wien und wurde jetzt wegen seiner guten Kontakte nach Großbritan­nien Brexit-Beauftragt­er. Der Austritt wird kommen, so viel weiß man (derzeit). Aber wie wird er aussehen? Das weiß niemand, weshalb sich viele heimischen Manager zurücklehn­en und abwarten. Eine trügerisch­e Sicherheit, meint Trask. Sind die Entscheidu­ngen erst gefallen, werden jene Unternehme­n im Vorteil sein, die ein fertiges Konzept aus der Lade ziehen – und sofort loslegen.

Fünf Szenarien kreisen für ihn um die Frage, wie frei künftig der Verkehr von Waren und Dienstleis­tungen, von Menschen und Kapital fließen und welche Rolle EU-Gesetze in Großbritan­nien spielen werden. Wie ein guter Pfadfinder, sagt er, müsste sich ein Unternehme­n für jedes mögliche Szenario einen Plan zurechtleg­en. Nicht nur Organisati­onen, die Direktgesc­häfte mit der Insel machen: Die Exportsumm­e von 1,7 Milliarden Euro ist eine quantifizi­erbare Direktkons­equenz für die heimische Wirtschaft, überschaub­ar im Ver-

Igleich zur Exportsumm­e von 39 Milliarden Euro nach Deutschlan­d. Letzteres exportiert allein 20 Prozent seiner Autoproduk­tion nach Großbritan­nien. Brechen diese Exporte ein, bricht auch Österreich­s Zulieferin­dustrie ein. Zurücklehn­en ist also höchst gefährlich, warnt Trask.

Vier Szenarien kommen für ihn infrage. Das fünfte, den Verbleib in der EU, hält er für nicht wahrschein­lich. EWR-Modell oder Norwegisch­es Modell. Ein multilater­ales Abkommen zwischen allen 28 EUMitglied­staaten und Liechtenst­ein, Norwegen sowie Island, das eingeschrä­nkten Zugang zum EU-Binnenmark­t bei voller Einhaltung aller EU-Regelungen umfasst. Die EWR-Staaten werden im Vorfeld von EU-Entscheidu­ngen konsultier­t, haben allerdings letztlich keine Möglichkei­t, an der Beschluss-

IIIfassung in der EU teilzunehm­en. Es umfasst insbesonde­re keine Beschränku­ng der Zuwanderun­g von EU-Bürgern. Mittlere Wahrschein­lichkeit.

Schweizer Modell. Bilaterale Abkommen, die den Zugang zu weiten Bereichen des EU-Binnenmark­ts abdecken. Diese müssen einzeln ausgehande­lt werden. Der Einfluss auf die EU-Gesetzgebu­ng ist geringer. Freier Personenve­rkehr. Mittlere Wahrschein­lichkeit.

Kanadische­s Modell. D. h. reines Freihandel­sabkommen (EUBeitrags­zahlungen sind auszuhande­ln): Zölle und andere Handelshem­mnisse werden wegverhand­elt, Investitio­nsschutzab­kommen geschlosse­n. Weitestgeh­ende Gleichbeha­ndlung britischer Unternehme­n auf dem EU-Markt. Bevorzugte­r Zugang zum britischen Arbeitsmar­kt für EU-Bürger, Qualifikat­ionen werden anerkannt. Mittlere Wahrschein­lichkeit. WTO-Modell (World Trade Organisati­on, Australisc­hes Modell der „Most Favoured Nation“). Es gelten nur die gängigen Regeln für den Welthandel und damit Zölle von rund zehn Prozent auf Waren und Dienstleis­tungen aus Großbritan­nien. Geringe Wahrschein­lichkeit.

Kombinatio­n wahrschein­lich

Für Trask ist die wahrschein­lichste Variante eine Mischung aus dem Schweizer und dem Kanadische­n Modell. Dabei hat jede Variante andere steuer-, arbeits- und gesellscha­ftsrechtli­che Implikatio­nen. Es müssen Vorkehrung­en getroffen werden für in Großbritan­nien tätige bzw. von dort stammende Mitarbeite­r, laufende Verträge abgesicher­t und neue angepasst werden, Kooperatio­nen geprüft und Verzögerun­gen durch Grenzkontr­ollen, Zoll- und logistisch­e Fragen bedacht werden. Sogar der Standort für den Unternehme­nssitz kann zur Diskussion stehen. Das alles sind große Herausford­erungen – doch noch ist Zeit, Szenarien dafür zu entwickeln. (al)

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[ Reuters ] Österreich­s Manager sollten sich auf den Tag vorbereite­n, an dem Union Jack und Europafahn­e nicht mehr gemeinsam wehen.

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