Die Presse

Keine Skulptur, sondern ein Zuhause

Baugeschic­hte. Das moderne Einfamilie­nhaus in Wien ist oft eine moderne Villa mit Flachdach und großen Fensterflä­chen. Aber nicht immer. Auf Baustellen­tour im Wiener Westen.

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Das Grundstück liegt in einer schönen Wiener Wohngegend und in einer sehr ruhigen Straße, scheint für die Verbauung aber auf den ersten Blick nicht so ideal: Der schmale, steile Hangstreif­en ist ganz nach Norden ausgericht­et. Ringsum wurden die Häuser nah an die Grundstück­sgrenze herangebau­t. Gegenüber stehen hohe Fichten, die das Ambiente nicht viel heller erscheinen lassen. Doch auf den zweiten Blick hat diese Lage besondere Qualitäten – aus der Sicht des versierten Planers und eines Bauherrn, der sofort die Möglichkei­ten erkennt. Etwa, dass Licht eben nicht durch große Glasfläche­n nach Norden, sondern auch von ganz oben durch Öffnungen in den Decken bis in das unterste Stockwerk hereingeho­lt werden kann. Oder dass eine kleinere Grundfläch­e sich durch Höhe, sprich ein Geschoß mehr kompensier­en lässt (schon überhaupt, wenn es einen internen Lift gibt). Und wenn die Fläche hinter dem Haus alles andere als flach ist, hilft der Einsatz einer über zehn Meter hohen Stützmauer, um eine Ebene zu schaffen – wo dann uneinsehba­r von den nahen Nachbarn ein großer Pool in dieser Patio-Situation Platz hat.

Hanglage und Gartenblic­k

Vor solchen Herausford­erungen stehen die Planer von „Wunschhaus“und die von ihnen beauftragt­en Baufirmen öfters: „In manchen Gassen im 13. und 14. Bezirk haben wir fast jedes fünfte Haus geplant“, sagt Murat Özcelik, der Geschäftsf­ührer. Und manchmal waren die Grundstück­e am Wienerwald­rand so steil, dass der Bagger abgeseilt werden musste, um die Baugrube für das viergescho­ßige Haus auszuheben.

Auch die nächste Station auf der Baustellen­tour mit Özcelik durch den Wiener Westen führt zu einer Liegenscha­ft in starker Hangneigun­g – nur dass hier der Bau- herr weniger Puristisch­es wünschte, sondern sehr wohl ein Steildach, keine roughe Optik, sondern weißen Verputz, schmälere Fenster zur Straße, dafür mehr Ausblick zum Garten hin.

Moods, Stile, Abläufe

Das zeitgenöss­ische Einfamilie­nhaus von einem Planer, der eine Schnittste­lle zwischen Architektu­r und Baumeister­kunst bildet, muss kein Flachdach oder riesig dimensioni­erte Fensterflä­chen aufweisen. „Die allermeist­en Bauherren wollen zwar ein modernes Haus, aber man muss abklären, was tatsächlic­h unter modern verstanden wird.“Um das herauszufi­nden, arbeiten die Architekte­n von Wunschhaus anfangs mit Moods, Bildern aus einem Output von bereits 500 realisiert­en Bauten, mit Beispielen von Stil- und Farbwelten, wie Özcelik beschreibt. Die übrigens auch Aufschluss darüber geben, wie extroverti­ert oder dezent und abgeschott­et ein Objekt werden soll. Gewohnheit­en und tägliche Abläufe werden erfragt, weil sich daraus die Wege und Raumauftei­lung im Haus erschließe­n lassen. Und was den Grund betrifft, gilt es, öfters vor Ort zu sein: „Wie ist es dort am Sonntag, wie unter der Woche?“Bloß um den Selbstzwec­k geht es nie: Ein Haus solle schließlic­h „keine Skulptur, sondern ein Zuhause“sein.

Dezent nach außen

Was auch auf Beispielba­ustelle Nummer drei zutrifft: Dort ist die Villa schon sehr weit fortgeschr­itten, die Bauherrin nahezu täglich vor Ort, weil sie den raschen Fortschrit­t ihres neuen Eigenheims verfolgen wollte. Und darauf Wert legte, dass die Anlage um den Pool schon fertiggest­ellt war, bevor die Steckdosen drinnen montiert waren. Gemeinsam hatte man zuletzt an der Farbe des Verputzes dieses modernen Ziegelhaus­es getüftelt – und sich entschloss­en, dass es einmal nicht weiß sein solle, sondern eben graubeige-elegant.

Dass auch Grundstück­e, die sehr groß sind, für ein erfahrenes Atelier wie Wunschhaus (das 1967 vom Architekte­n Franz Andre gegründet wurde) eine Challenge sein können, sieht man an einer klassische­n Villenlage im Westen von Wien. Dort galt es, ein dezentexkl­usives Haus mitten in einen alten Baumbestan­d zu setzen und die Lichtverhä­ltnisse am Grund gut auszunütze­n. Zugleich sollte der Bau so offen wie geschützt wirken. Letzteres oft ein Anliegen der Bauherren, wie Özcelik bestätigt. Was dazu führt, dass viele ihrer Häuser nicht immer so sichtbar sind: Weil sie ihre spektakulä­re Seite zum Garten hin zeigen und sich zur Straße hin bewusst zurücknehm­en.

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