Die Presse

Ab ins Archiv mit dem „Schriftlei­ter“

Eindeutsch­ung. So manche juristisch­e Zeitschrif­t verwendet anstelle des „Redakteurs“ein Wort, das an die sprachlich­e „Säuberung“durch die Nationalso­zialisten erinnert.

- VON THOMAS HÖHNE Dr. Thomas Höhne ist Rechtsanwa­lt in Wien.

Wien. Wissen Sie, was ein Viertopfze­rknalltrei­bling ist, oder besser: sein sollte? Die Eindeutsch­ung von Vierzylind­ermotor durch die Nazis. Derlei war, wie man lesen kann, sogar dem Führer zu viel. Würde man nun sagen, dem Führer schon, aber nicht den ehrwürdige­n „Juristisch­en Blättern“(JBl), wäre das natürlich völlig unzulässig, weil polemisch und übertriebe­n, und natürlich kommt dort der Viertopfze­rknalltrei­bling nicht vor. Aber mit der Eindeutsch­ung hat es diese wie manch andere juristisch­e Zeitschrif­t. Und das ist doch ein Thema, das nicht als Kuriosum abzuhandel­n ist; hier geht es um historisch­es Marschgepä­ck, dessen man sich endlich entledigen sollte.

Also, wenn nicht um den Viertopfze­rknalltrei­bling – worum geht es dann? Um die „Schriftlei­tung“bzw. den „Schriftlei­ter“. Mit diesen guten deutschen Bezeichnun­gen ersetzte das Reichsschr­iftleiterg­esetz am 1. Jänner 1934 die bis dahin traditione­llen Begriffe „Redaktion“bzw. „Redakteur“. Im Vordergrun­d dieses Gesetzes stand allerdings nicht die sprachlich­e Säuberung, es stellte die Arbeit der Medien in den „Dienst am Volk und Staat“. Berufserla­ubnis hatte nur, wer in die Berufslist­e des Reichsverb­andes der deutschen Presse aufgenomme­n wurde. Juden waren grundsätzl­ich von der Berufsausü­bung ausgeschlo­ssen, etwa 1300 Journalist­en verloren mit diesem Gesetz ihre Arbeit. Zur Aufnahme in die Liste musste ein Lehrgang mit Prüfung zum Schriftlei­ter absolviert werden.

Bestellte Inhalte der Zeitung

Dem Schriftlei­ter war der Hauptschri­ftleiter vorgesetzt, der für die Einhaltung des Gesetzes und den Inhalt der Zeitung verantwort­lich war; er unterstand den Richtlinie­n und Weisungen der Reichspres­sekammer. Diese war es auch, die der Einstellun­g oder Kündigung eines Schriftlei­ters zustimmen musste. In täglichen Reichspres­sekonferen­zen gab das Propaganda­ministeriu­m detaillier­t vor, worüber wie zu berichten war, was letztlich die Schriftlei­ter umzusetzen hatten.

Der Geist dieses Gesetzes lässt sich erahnen, wenn man folgendes Zitat liest: „Da auch das Jahr 1936 keine befriedige­nde Besserung der Kunstkriti­k gebracht hat, untersage ich mit dem heutigen Tage endgültig die Weiterführ­ung der Kunstkriti­k in der bisherigen Form. Anstelle der bisherigen Kunstkriti­k wird ab heute der Kunstberic­ht gestellt, an die Stelle des Kunstkriti­kers tritt der Kunstschri­ftleiter. Der Kunstberic­ht soll weniger Wertung als vielmehr Darstellun­g und damit Würdigung sein.“So 1936 der Präsident der Reichskult­urkammer, Joseph Goebbels, auf deren dritter Jahrestagu­ng.

Selbstvers­tändlich sind die guten alten „JBl“über jeden Verdacht erhaben, ebenso wie eine noch junge juristisch­e Zeitschrif­t über den Verdacht der gewaltsame­n Eindeutsch­ung, hat doch deren „Schriftlei­ter“kein Problem, ein „Editorial“zu verfassen. Mich reißt es trotzdem jedes Mal, wenn ich diese belasteten Bezeichnun­gen lese, derer man sich endlich entledigen sollte. Das hat nichts mit Political Correctnes­s, aber einiges mit ganz simpler Hygiene zu tun. Vielleicht hilft ein Zitat von Ludwig Wittgenste­in: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“Und Sprache hat eben ihre Geschichte bzw. ist ein „Archiv der Geschichte“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria