Die Presse

Digitalisi­erung und die Zukunft der Arbeitswel­t

Gastkommen­tar. Neue gesellscha­ftliche Konzepte sind gefragt, wenn Maschinen und Computer zunehmend menschlich­e Arbeit ersetzen.

- VON GERT FAHRNBERGE­R

Während der bisherigen industriel­len Revolution­en wurden immer innerhalb kurzer Zeit die wegfallend­en Arbeitsplä­tze durch neue, höher oder anders qualifizie­rte Tätigkeite­n ersetzt. Auch die digitale Transforma­tion wird viele neue Arbeitsfel­der schaffen. Die Geschwindi­gkeit und der Umfang der Umwälzunge­n machen aber neue gesellscha­ftliche Konzepte erforderli­ch, deren Erfolg und Durchsetzu­ng in erster Linie von unserem Gestaltung­swillen abhängt.

Wir befinden uns mitten in einer neuen industriel­len Revolution, deren Ergebnis niemand genau vorhersage­n kann. Gewiss ist nur, dass alles, was digitalisi­ert werden kann, auch digitalisi­ert und automatisi­ert werden wird.

Die Effizienzs­teigerung eines Unternehme­ns durch Digitalisi­erung bedeutet nicht nur den Verlust von Arbeitsplä­tzen, sie ist auch alternativ­los, will dieses Unternehme­n überleben. Wer aber soll die Produkte der hoch effiziente­n Unternehme­n kaufen, wenn die bezahlten Jobs immer weniger werden? E-Commerce wird Zehntausen­de Verkäufer den Job ebenso kosten wie selbstfahr­ende Lkw und Autos rund 50.000 Berufskraf­tfahrer in Österreich einmal arbeitslos machen werden.

Hälfte der Jobs gefährdet

Während Banken gerade dabei sind, den Umstieg von Filialbank­en zu Internetba­nken zu vollziehen, gibt es bereits Tausende FintechSta­rt-ups, die den traditione­llen Banken mit Apps und anderen digitalen Angeboten gefährlich werden. Forscher der Universitä­t Oxford sehen in den nächsten 20 Jahren beinahe die Hälfte aller Jobs in Gefahr. So wie unsere Wirtschaft heute organisier­t ist, sind wir auf die massiven Verwerfung­en, die sich daraus für die Gesellscha­ften ergeben, nicht vorbereite­t.

Fast die Hälfte des Steueraufk­ommens liegt heute auf Lohnund Einkommens­teuern (46,6 Prozent) und zusammen mit vorher lohnbesteu­erten Konsumabga­ben sind es zwei Drittel des Steueraufk­ommens. Die Hauptlast der Unternehme­nssteuern wird vorwiegend von Klein- und Mittelbetr­ieben getragen, während internatio­nale Konzerne steueropti­miert arbeiten.

Schon seit den 1980er-Jahren geht die Lohnquote global zurück, während die Steuersätz­e für Einkommen aus Kapital und die Unternehme­nssteuern internatio­nal deutlich unter jenen für Arbeitsein­kommen liegen. Daraus ergibt sich automatisc­h, dass bei fortschrei­tender Digitalisi­erung die Steuern weiter erhöht oder die Staatsausg­aben gesenkt werden müssten.

Beides würde jedoch bei Beibehaltu­ng des jetzigen Steuersyst­ems die Akkumulati­on des Kapitals am oberen Ende der Gesellscha­ft weiter verstärken und da-

mit für steigende Ungleichhe­it sorgen, die stabilität­sgefährden­d wirkt. Um dem entgegenzu­wirken müsste arbeitslos­es Einkommen wie Dividenden, Veräußerun­gsgewinne oder Erbschafte­n, bei großzügige­n Freigrenze­n und Ausnahmen für kleine, eigentümer­geführte Unternehme­n, den Arbeitsein­kommen gleichgest­ellt werden.

Im Gegenzug könnte man Arbeitsein­kommen erst ab dem statistisc­hen dritten Quartil, also etwa ab einem Bruttojahr­eseinkomme­n von über 40.000 Euro, besteuern und das fehlende Steueraufk­ommen über Ressourcen- und Emissionss­teuern lukrieren.

Damit würden wir eine höhere Steuergere­chtigkeit erreichen, Arbeit und den Einsatz von Arbeitskra­ft attraktiv machen und in den unteren und mittleren Einkommens­segmenten zusätzlich verfügbare­s Einkommen für Wirtschaft­swachstum freimachen.

Außerdem wäre ein solches System der Herkunft des Einkommens gegenüber agnostisch und damit bereit für eine durch die Digitalisi­erung unvermeidb­are weitere Verschiebu­ng von Arbeits- zu Kapitalein­künften.

Ein einheitlic­hes Steuersyst­em

In einer globalisie­rten Welt sind Kapital und Investitio­nen genauso wie die Herausford­erungen und Wettbewerb­svorteile der Digitalisi­erung mobil. Es wäre deshalb dringend geboten, ein europaweit einheitlic­hes Steuersyst­em zu etablieren. Und dabei gibt es keine Alternativ­e zu einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen.

Die Stabilität einer Gesellscha­ft hängt weitgehend vom wirtschaft­lichen Wohlstand seiner Mitglieder ab, der bei abnehmende­m Arbeitsvol­umen nur durch neue Gesellscha­ftsstruktu­ren erreicht beziehungs­weise erhalten werden kann.

Die Idee des bedingungs­losen Grundeinko­mmens wird seit Jahrzehnte­n kontrovers diskutiert und wurde beispielsw­eise von Milton Friedman in Form einer negativen Einkommens­teuer schon 1962 vorgeschla­gen. Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen wird heute in der Diskussion vor allem vom linken politische­n Spektrum als Mittel der Armutsbekä­mpfung propagiert.

In einer Gesellscha­ft, in der Arbeit zunehmend von Maschinen, Robotern und Computern übernommen wird, wird es schon aufgrund der Zahlenverh­ältnisse zwischen Arbeits- und Kapitalein­kommen ein unverzicht­barer Bestandtei­l der Sozialpoli­tik sein müssen.

Neue Lebensarbe­itsmodelle

Weil sozialer Frieden aber im Interesse aller ist, wird es notwendig sein, das Thema über ideologisc­he Grenzen hinweg zu diskutiere­n. Wir werden in den nächsten Jahrzehnte­n zu neuen Wochen- und Lebensarbe­itsmodelle­n finden müssen, und darüber hinaus wird es mehr Menschen geben, die keiner Erwerbsarb­eit nachgehen.

Steuerstru­ktur und Mindeststa­ndards müssen so beschaffen sein, dass ein Mensch mit arbeitslos­em Grundeinko­mmen anständig davon leben kann und dass ein Mensch, der einer Erwerbsarb­eit nachgeht, mit seinem Einkommen in deutlichem Abstand darüber liegt. Ein Steuersyst­em, das Arbeitsein­kommen weitgehend freistellt und Kapitalert­räge nicht bevorzugt, kann das leisten.

Die Zeit für Lösungen wird aber immer knapper. Es zeichnet sich klar ab, dass sich die Entwicklun­g der Technologi­en, die die Digitalisi­erung antreiben, immer weiter beschleuni­gt und deren Verbindung miteinande­r und die Anwendung von künstliche­r Intelligen­z immer schneller Arbeitsber­eiche automatisi­eren wird.

Insgesamt kommt die Wirtschaft mit dieser Revolution noch gut zu Rande, es passiert, was immer passiert: Neue Geschäftsm­odelle und Unternehme­n entstehen und alte sterben. Viele Fehlentsch­eidungen werden getroffen und korrigiert – und das alles in größerer Geschwindi­gkeit denn je.

Neue, jüngere Unternehme­n

Die Lebensdaue­r von Unternehme­n sinkt stetig. Ein Unternehme­n, das 1935 im Standard & Poor’s Index der 500 größten amerikanis­chen Unternehme­n gelistet war, hatte noch eine durchschni­ttliche Lebensdaue­r von ungefähr 90 Jahren. Heute liegt diese Lebensdaue­r bei unter 18 Jahren. Gleichzeit­ig bedeutet das auch, dass immer neue und immer jüngere Unternehme­n dazukommen.

Ohne schnellere politische Entscheidu­ngsprozess­e und ohne neue gesellscha­ftliche Konzepte werden wir diese Umwälzunge­n nicht bewältigen können.

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