Wider die Kultur der Aufregung
Interview. Außenminister Kurz plädiert zu Beginn der Ära Donald Trumps für Gelassenheit. Er sieht in einer Entspannung zwischen den USA und Russland auch einen positiven Effekt für Europa. Und er geißelt übertriebene Political Correctness.
Interview II: Minister Sebastian Kurz plädiert für mehr Gelassenheit im Umgang mit Donald Trump.
Die Presse: Wird Donald Trump eine neue Ära in der Weltpolitik einläuten? Sebastian Kurz: Jeder US-Präsident setzt eigene Schwerpunkte. Allein der Wechsel von einem Demokraten zu einem Republikaner bringt Veränderungen, Donald Trump sicher eine noch größere als sonst. Es ist dennoch nicht sinnvoll, sich über jede Wahlkampfaussage ewig den Kopf zu zerbrechen. Präsident Trump sollte an seinen Taten gemessen werden. Und das ist erst nach seiner Amtsübernahme möglich.
Halten Sie die Angst vor Trump in Europa für übertrieben? Wir haben grundsätzlich eine zu starke Aufregungskultur in der Politik und der politischen Berichterstattung. Ich versuche gerade dann, wenn es sehr viel Aufregung gibt, kühlen Kopf zu bewahren und nicht in jeden Tweet mehr hineinzuinterpretieren als notwendig. Ich halte es für falsch, über mögliche Entwicklungen in Trumps Amtszeit zu mutmaßen, um sich wenige Minuten später über die eigenen Mutmaßungen zu empören.
Die Empörung hat Aussagen Trumps gegolten: Er wollte Mexiko für den Bau einer Mauer an der Grenze zu den USA zahlen lassen oder Muslime mit einem Einreisebann belegen. Ich teile diese Äußerungen nicht. Ich glaube nur, dass uns die Kultur der Aufregung nicht weiterbringt.
Wo erwarten Sie Paradigmenwechsel unter Trump? Auf eine lange Phase des Freihandels wird wohl ein protektionistischerer Kurs folgen. Das ist aber kein rein amerikanisches Phänomen. Damit hatten Firmen zuletzt auch in Asien zu kämpfen. Außenund sicherheitspolitisch gehe ich davon aus, dass Trump den Kampf gegen Terrorismus intensiviert. Und ich sehe Anlass zur Hoffnung auf eine Entspannung im Verhältnis zwischen Russland und den USA. Davor sollte sich niemand fürchten. Es hätte positive Auswirkungen für Europa.
Wenn die USA ihre Position gegenüber Russland aufweichen, müsste dann zwangsläufig auch die EU nachziehen? Friede auf unserem Kontinent wird es nur mit und nicht gegen Russland geben. Ich halte es für absolut notwendig, dass die EU unabhängig von Washington immer wieder auf Russland zugeht.
Sie waren gerade in Kiew. Dort grassieren Befürchtungen, dass die Ukraine bei einem Deal zwischen Trump und Wladimir Putin auf der Strecke bleibt. Man hört diese Sorge, aber auch sehr viel Selbstbewusstsein. Denn es gibt viele mächtige US-Abgeordnete im Kongress, die Kiew deutlich unterstützen.
Trump hat unlängst wiederholt, dass die Nato obsolet werden könnte. Wäre Europa denn fähig, ohne USA für seine eigene Sicherheit zu sorgen? Die EU braucht eine stärkere eigenständige Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik. Wenn Präsident Trump diese ohnehin nötige Entwicklung beschleunigt, wäre das positiv.
Sind Sie Befürworter einer gemeinsamen europäischen Armee? Ich halte den Terminus nicht für glücklich. Momentan gibt es dafür in Brüssel auch keine Pläne.
Warum? Weil Österreich ein neutraler Staat ist? Die EU ist kein Zentralstaat, sondern eine Union von 28 Staaten. Eine europäische Armee unter einem Kommando halte ich nicht für realistisch. Die Entscheidung über die Entsendung von Soldaten wird in Europa nie ohne nationale Politiker getroffen werden. Klar ist aber, dass wir auch militärisch mehr zusammenarbeiten müssen.
Wie bewerten Sie die geopolitischen Auswirkungen der russischen Intervention in Syrien? Russland hat durch sein militärisches Engagement an Gewicht gewonnen und ist zu einem stärkeren Player auf der Weltbühne geworden. Dafür hat Russland aber extreme Kosten und eine Verschlechterung der eigenen Wirtschaftslage in Kauf nehmen müssen.
Was könnten Russland und der Westen gemeinsam anpacken? Gerade bei unserem OSZE-Vorsitz wollen wir einen Schwerpunkt auf Radikalisierung setzen, ein Thema, bei dem die USA und Russland an einem Strang ziehen können. Hier gibt es gemeinsame Interessen und hier kann man gemeinsam etwas umsetzen. Außerdem müssen Russland und der Westen mit anderen regionalen Playern eine Lösung für Syrien am Verhandlungstisch zustandebringen. Ein militärischer Lösungsansatz, wie ihn teilweise auch Russland verfolgt hat, führt nur zu mehr Leid und kostet weitere Menschenleben.
Der Westen sitzt bei den SyrienVerhandlungen in Astana entweder gar nicht mehr am Tisch oder nur am Katzentisch. Die Verhandlungsformate haben sich laufend verändert. Ich traue mich nicht zu mutmaßen, wie sie in wenigen Wochen aussehen.
Wie bewerten Sie Barack Obamas außenpolitisches Erbe? Ein Erfolg, der bleibt und gemeinsam mit der EU errungen wurde, war das Atomabkommen mit dem Iran in Wien. Das ist der richtige Weg, um mehr Stabilität in diese krisenhafte Region zu bringen.
Hat Obama nicht auch das Vakuum und Chaos zu verantworten, das in Nahost entstanden ist? Es gibt die These, dass unter einem anderen US-Präsidenten Russland und andere Staaten nicht annähernd so weit gegangen wären. Doch Was-wäre-wenn-Fragen werden wir im Nachhinein nie zu 100 Prozent beantworten können.
Wenn Sie die Wahl Trumps und den Brexit zusammendenken: Was geht in der Welt vor? Ich halte wenig davon, unterschiedliche Wahlen in einen Topf zu werfen. Das Brexit-Votum ist auf starken Frust über die EU zurückzuführen. Stärkstes Argument war die Unzufriedenheit mit der ungesteuerten Migration. Für die Wahl Trumps waren zahlreiche und andere Gründe verantwortlich.
In beiden Fällen spielte die grassierende Unzufriedenheit mit der sogenannten Elite eine Rolle. Vieles, was sich bei Politikern eingebürgert hat, stößt auf wenig Gegenliebe. Die Politik hat eine abstrakte Kunstsprache geschaffen, die weit weg ist von der Realität der Menschen. Und eine übertriebene Political Correctness geißelt alles, was vom linken Mainstream auch nur ein wenig abweicht.
Haben Sie ein Beispiel dafür? Anfangs wurde jeder in ein rechtes Eck gedrängt, der argumentiert hat, dass es falsch ist, die Flüchtlinge nach Mitteleuropa weiterzuwinken, weil dann immer mehr kommen. Man warf mir deshalb vor, menschenverachtend zu agieren.
Ihnen hat die Kritik nicht geschadet. Die übertriebene Political Correctness hat wenig Unterstützung in der Bevölkerung, ist aber sehr stark ausgeprägt im medialen Diskurs. Bei vielen Bürgern hat sich deshalb Frust aufgestaut. Gerade in der Flüchtlingsfrage hatten viele das Gefühl, dass sie das, was sie erleben und empfinden, gar nicht sagen dürfen, weil sie als rechtsradikal abgestempelt werden.
Werden da nicht auch Freiheitliche zu Unrecht angegriffen? Wenn ein Freiheitlicher Migranten pauschal als Höhlenmenschen bezeichnet, dann ist das klar zu verurteilen. Wenn – von welcher Partei auch immer – sachlich argumentiert wird, warum ungeregelte Zuwanderung Probleme mit sich bringt, dann sollte man das nicht reflexartig verteufeln.