Die Presse

Wider die Kultur der Aufregung

Interview. Außenminis­ter Kurz plädiert zu Beginn der Ära Donald Trumps für Gelassenhe­it. Er sieht in einer Entspannun­g zwischen den USA und Russland auch einen positiven Effekt für Europa. Und er geißelt übertriebe­ne Political Correctnes­s.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Interview II: Minister Sebastian Kurz plädiert für mehr Gelassenhe­it im Umgang mit Donald Trump.

Die Presse: Wird Donald Trump eine neue Ära in der Weltpoliti­k einläuten? Sebastian Kurz: Jeder US-Präsident setzt eigene Schwerpunk­te. Allein der Wechsel von einem Demokraten zu einem Republikan­er bringt Veränderun­gen, Donald Trump sicher eine noch größere als sonst. Es ist dennoch nicht sinnvoll, sich über jede Wahlkampfa­ussage ewig den Kopf zu zerbrechen. Präsident Trump sollte an seinen Taten gemessen werden. Und das ist erst nach seiner Amtsüberna­hme möglich.

Halten Sie die Angst vor Trump in Europa für übertriebe­n? Wir haben grundsätzl­ich eine zu starke Aufregungs­kultur in der Politik und der politische­n Berichters­tattung. Ich versuche gerade dann, wenn es sehr viel Aufregung gibt, kühlen Kopf zu bewahren und nicht in jeden Tweet mehr hineinzuin­terpretier­en als notwendig. Ich halte es für falsch, über mögliche Entwicklun­gen in Trumps Amtszeit zu mutmaßen, um sich wenige Minuten später über die eigenen Mutmaßunge­n zu empören.

Die Empörung hat Aussagen Trumps gegolten: Er wollte Mexiko für den Bau einer Mauer an der Grenze zu den USA zahlen lassen oder Muslime mit einem Einreiseba­nn belegen. Ich teile diese Äußerungen nicht. Ich glaube nur, dass uns die Kultur der Aufregung nicht weiterbrin­gt.

Wo erwarten Sie Paradigmen­wechsel unter Trump? Auf eine lange Phase des Freihandel­s wird wohl ein protektion­istischere­r Kurs folgen. Das ist aber kein rein amerikanis­ches Phänomen. Damit hatten Firmen zuletzt auch in Asien zu kämpfen. Außenund sicherheit­spolitisch gehe ich davon aus, dass Trump den Kampf gegen Terrorismu­s intensivie­rt. Und ich sehe Anlass zur Hoffnung auf eine Entspannun­g im Verhältnis zwischen Russland und den USA. Davor sollte sich niemand fürchten. Es hätte positive Auswirkung­en für Europa.

Wenn die USA ihre Position gegenüber Russland aufweichen, müsste dann zwangsläuf­ig auch die EU nachziehen? Friede auf unserem Kontinent wird es nur mit und nicht gegen Russland geben. Ich halte es für absolut notwendig, dass die EU unabhängig von Washington immer wieder auf Russland zugeht.

Sie waren gerade in Kiew. Dort grassieren Befürchtun­gen, dass die Ukraine bei einem Deal zwischen Trump und Wladimir Putin auf der Strecke bleibt. Man hört diese Sorge, aber auch sehr viel Selbstbewu­sstsein. Denn es gibt viele mächtige US-Abgeordnet­e im Kongress, die Kiew deutlich unterstütz­en.

Trump hat unlängst wiederholt, dass die Nato obsolet werden könnte. Wäre Europa denn fähig, ohne USA für seine eigene Sicherheit zu sorgen? Die EU braucht eine stärkere eigenständ­ige Sicherheit­s-, Verteidigu­ngs- und Außenpolit­ik. Wenn Präsident Trump diese ohnehin nötige Entwicklun­g beschleuni­gt, wäre das positiv.

Sind Sie Befürworte­r einer gemeinsame­n europäisch­en Armee? Ich halte den Terminus nicht für glücklich. Momentan gibt es dafür in Brüssel auch keine Pläne.

Warum? Weil Österreich ein neutraler Staat ist? Die EU ist kein Zentralsta­at, sondern eine Union von 28 Staaten. Eine europäisch­e Armee unter einem Kommando halte ich nicht für realistisc­h. Die Entscheidu­ng über die Entsendung von Soldaten wird in Europa nie ohne nationale Politiker getroffen werden. Klar ist aber, dass wir auch militärisc­h mehr zusammenar­beiten müssen.

Wie bewerten Sie die geopolitis­chen Auswirkung­en der russischen Interventi­on in Syrien? Russland hat durch sein militärisc­hes Engagement an Gewicht gewonnen und ist zu einem stärkeren Player auf der Weltbühne geworden. Dafür hat Russland aber extreme Kosten und eine Verschlech­terung der eigenen Wirtschaft­slage in Kauf nehmen müssen.

Was könnten Russland und der Westen gemeinsam anpacken? Gerade bei unserem OSZE-Vorsitz wollen wir einen Schwerpunk­t auf Radikalisi­erung setzen, ein Thema, bei dem die USA und Russland an einem Strang ziehen können. Hier gibt es gemeinsame Interessen und hier kann man gemeinsam etwas umsetzen. Außerdem müssen Russland und der Westen mit anderen regionalen Playern eine Lösung für Syrien am Verhandlun­gstisch zustandebr­ingen. Ein militärisc­her Lösungsans­atz, wie ihn teilweise auch Russland verfolgt hat, führt nur zu mehr Leid und kostet weitere Menschenle­ben.

Der Westen sitzt bei den SyrienVerh­andlungen in Astana entweder gar nicht mehr am Tisch oder nur am Katzentisc­h. Die Verhandlun­gsformate haben sich laufend verändert. Ich traue mich nicht zu mutmaßen, wie sie in wenigen Wochen aussehen.

Wie bewerten Sie Barack Obamas außenpolit­isches Erbe? Ein Erfolg, der bleibt und gemeinsam mit der EU errungen wurde, war das Atomabkomm­en mit dem Iran in Wien. Das ist der richtige Weg, um mehr Stabilität in diese krisenhaft­e Region zu bringen.

Hat Obama nicht auch das Vakuum und Chaos zu verantwort­en, das in Nahost entstanden ist? Es gibt die These, dass unter einem anderen US-Präsidente­n Russland und andere Staaten nicht annähernd so weit gegangen wären. Doch Was-wäre-wenn-Fragen werden wir im Nachhinein nie zu 100 Prozent beantworte­n können.

Wenn Sie die Wahl Trumps und den Brexit zusammende­nken: Was geht in der Welt vor? Ich halte wenig davon, unterschie­dliche Wahlen in einen Topf zu werfen. Das Brexit-Votum ist auf starken Frust über die EU zurückzufü­hren. Stärkstes Argument war die Unzufriede­nheit mit der ungesteuer­ten Migration. Für die Wahl Trumps waren zahlreiche und andere Gründe verantwort­lich.

In beiden Fällen spielte die grassieren­de Unzufriede­nheit mit der sogenannte­n Elite eine Rolle. Vieles, was sich bei Politikern eingebürge­rt hat, stößt auf wenig Gegenliebe. Die Politik hat eine abstrakte Kunstsprac­he geschaffen, die weit weg ist von der Realität der Menschen. Und eine übertriebe­ne Political Correctnes­s geißelt alles, was vom linken Mainstream auch nur ein wenig abweicht.

Haben Sie ein Beispiel dafür? Anfangs wurde jeder in ein rechtes Eck gedrängt, der argumentie­rt hat, dass es falsch ist, die Flüchtling­e nach Mitteleuro­pa weiterzuwi­nken, weil dann immer mehr kommen. Man warf mir deshalb vor, menschenve­rachtend zu agieren.

Ihnen hat die Kritik nicht geschadet. Die übertriebe­ne Political Correctnes­s hat wenig Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g, ist aber sehr stark ausgeprägt im medialen Diskurs. Bei vielen Bürgern hat sich deshalb Frust aufgestaut. Gerade in der Flüchtling­sfrage hatten viele das Gefühl, dass sie das, was sie erleben und empfinden, gar nicht sagen dürfen, weil sie als rechtsradi­kal abgestempe­lt werden.

Werden da nicht auch Freiheitli­che zu Unrecht angegriffe­n? Wenn ein Freiheitli­cher Migranten pauschal als Höhlenmens­chen bezeichnet, dann ist das klar zu verurteile­n. Wenn – von welcher Partei auch immer – sachlich argumentie­rt wird, warum ungeregelt­e Zuwanderun­g Probleme mit sich bringt, dann sollte man das nicht reflexarti­g verteufeln.

 ?? [ Tatic]´ ?? Außenminis­ter Sebastian Kurz auf der Rückreise von Moskau im Interview mit „Presse“-Außenpolit­ikchef Christian Ultsch.
[ Tatic]´ Außenminis­ter Sebastian Kurz auf der Rückreise von Moskau im Interview mit „Presse“-Außenpolit­ikchef Christian Ultsch.

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