Die Presse

Wer ist eine Frau?

Frauendemo­s heute und gestern. 1913 marschiert­en Suffragett­en in Washington für das Wahlrecht. Doch welche Botschaft hat der „Women’s March on Washington“? Über feministis­che Grabenkämp­fe und die rettenden „Pussyhats“.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Die Botschaft des Women’s March on Washington.

March, march, swing you along, Wide blows our banner, and hope is waking . . . March, march, many as one, shoulder to shoulder and friend to friend.“Schulter an Schulter sollten die Frauen marschiere­n, verlangte die englische Komponisti­n Ethel Smyth in ihrem „March of The Women“1910. Und das taten sie auch tatsächlic­h in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, als sie das Frauenwahl­recht forderten. Smyth schrieb dafür nicht nur jenes Lied, das zur Hymne der englischen Frauenbewe­gung werden sollte, sie kämpfte selbst mit. Diese Frau mit „flammender Seele“, wie Komponist Bruno Walter sie nannte, hatte sich ihr Kompositio­nsstudium in Leipzig mit einem Hungerstre­ik ertrotzt, sich auf Anraten von Tschaikows­ky an die große Orchesterm­usik gewagt und lange nicht Politik machen wollen. Mit Mitte fünfzig aber stand sie in London mit Hunderten Frauen auf der Straße und warf Scheiben ein, wurde verhaftet. Der Dirigent Thomas Beecham besuchte sie und sah Frauen im Gefängnish­of „mit Herzenslus­t ihr Kriegslied , March of the Women‘ singen, während die Komponisti­n dazu mit bacchantis­cher Energie den Takt mit einer Zahnbürste schlug.“

Das Vorbild: Die Suffragett­enbewegung

Es war die Hochzeit der militant gewordenen Suffragett­enbewegung. Sie ging quer durch die Schichten und hatte ein klares Ziel, das Wahlrecht für Frauen – auch als sie 1913 einen gewaltigen Frauenmars­ch auf Washington veranstalt­ete. Ein solches Ziel fehlt beim Marsch, der am Samstag in Washington stattfinde­n soll, und in Hunderten Städten der Welt – unter anderem in Wien, wo die aus den USA stammende, hier lebende Lehrerin Caroline Kirkpatric­k auf Facebook dazu aufgerufen hat.

Die Idee zum „March on Washington“geht auf zwei Frauen zurück – Teresa Shook, eine pensionier­te Anwältin auf Hawaii, sowie die in Brooklyn lebende Modedesign­erin Bob Bland. Beide haben unabhängig voneinande­r zu einer weiblichen Massendemo­nstration gegen Trump aufgerufen. Auch wenn die Zielscheib­e durch das Datum einen Tag nach der Amtseinfüh­rung Trumps klar ist, betonen die Veranstalt­er, dass die Aktion nicht gegen, sondern für etwas sei: für Menschenre­chte, da „Frauenrech­te Menschenre­chte sind“. Konkret zählt die Website unter anderem Rechte für ethnische und sexuelle Minderheit­en, Umweltschu­tz, Rechte am Arbeitspla­tz und Bürgerrech­te als Anliegen auf.

Eine politisch linke Agenda hatte auch die Suffragett­enbewegung vor hundert Jahren, dennoch erlaubte sie Geschlosse­nheit; denn das Frauenwahl­recht war keine Frage der politische­n Couleur. Das rettete auch den Frauenmars­ch von 1913, der ebenfalls in Washington stattfand, und ebenfalls mit der Amtseinfüh­rung eines Präsidente­n verknüpft war: Er fand einen Tag vor dem Amtsantrit­t von Woodrow Wilson statt, nannte sich „Parade“und war ein visuelles Großereign­is, mit reitenden, kostümiert­en und Blasmusik spielenden Frauen. Allen voran ritt die Anwältin Inez Milholland, mit einem langen weißen Umhang und einer Krone auf dem Kopf, auf einem weißen Pferd. Auch sonst war es eine sehr weiße Veranstalt­ung: Um die Frage, wie die schwarzen Frauen mitmarschi­eren sollten, gab es große Kontrovers­en; viele drängten sie dazu, getrennt hinten zu gehen.

Und trotzdem: Als kollektive weibliche Großaktion im Kampf um das Frauenwahl­recht ist die Parade von 1913 bis heute legendär. Die Massendemo­nstratione­n der Suffragett­en gaben der Frankokana­dierin Francoise˛ David auch die Idee zum Weltfrauen­marsch 2000. Werden der „March on Washington“und seine weltweiten Parallelmä­rsche auch mit einer klaren Botschaft in Erinnerung bleiben? „Wir wollen keinen Präsidente­n, der über Frauen ,Grab them by the pussy. You can do anything‘“gesagt hat: Das wäre eine klare Botschaft gewesen. Auf die sich wohl auch ein großer Teil der Frauen hätte einigen können.

Die Schuld der „weißen Frau“an Trump

Aber die klare gemeinsame Botschaft fehlt, und vor allem in den USA war die Diskussion im Vorfeld zusätzlich von Grabenkämp­fen vergiftet. Zunächst entzündete­n sie sich am ursprüngli­ch geplanten Titel der Aktion, „Million Women March“. Das sei eine unrechtmäß­ige Aneignung des von schwarzen Feministin­nen getragenen „Million Woman March“von 1997 in Philadelph­ia, kritisiert­en schwarze Aktivistin­nen. Es hagelte Vorwürfe gegen die „weißen“, im Vergleich zu schwarzen Frauen „privilegie­rten“ Veranstalt­erinnen, denen mit dem Argument „Weiße Frauen haben Trump gewählt“sogar eine Kollektivs­chuld an Trumps Wahlerfolg zugewiesen wurde. Da half es auch wenig, dass die Organisato­rinnen als Reaktion darauf ausdrückli­ch darum ersuchten, dass weiße Teilnehmer­innen „ihr Privileg und den Kampf schwarzer Frauen verstehen sollen“. Auch nicht, dass der Name „Million Women March“zugunsten von „March on Washington“geändert wurde. Ein noch geschichts­trächtiger­er Name, er erinnert an eines der wichtigste­n Ereignisse der amerikanis­chen Bürgerrech­tsbewegung: den Marsch auf Washington 1963, bei dem über 200.000 Menschen ein Ende der Rassendisk­riminierun­g forderten, und Martin Luther King seine Rede „I have a dream“hielt.

Abtreibung­sgegnerinn­en unerwünsch­t

Andere Gräben haben die Organisato­ren selbst gegraben. Etwa indem sie eine gegen Abtreibung aktive Gruppe aus den Reihen der Sponsoren ausschloss­en und verkündete­n, dass Pro-Life-Frauen auf dem Marsch nicht willkommen seien. Einwände wie „Wir sind nicht Pro-Life-Aktivistin­nen, die auch Feministin­nen sind. Wir sind in erster Linie Feministin­nen“blieben vergeblich. Kein Wunder, dass einige sich an eine berühmte Frage erinnert fühlten, die die schwarze Frauenrech­tlerin Sojourner Truth 1851 den von Rassenund Klassenden­ken beherrscht­en Frauenrech­tlerinnen stellte: „Ain’t I a woman?“Von Abtreibung­sgegnerinn­en eingesetzt, ist das Zitat tendenziös, aber nicht ganz abwegig: Können amerikanis­che Frauen, die die Abtreibung ablehnen, nicht auch gegen einen Präsidente­n protestier­en, der im Umgang mit Frauen „grab them by the pussy“empfahl?

Ein Marsch ist Musik gewordener Gleichschr­itt. Allein dass Frauen sich vor über hundert Jahren diese männlich-militarist­ische Gattung angeeignet haben, war damals ein Affront; er passte aber zur Suffragett­en-Bewegung, die ge- und entschloss­en ihr Ziel – das Wahlrecht für die Frauen – verfolgte. Beim „March on Washington“hingegen ist weder klar, wohin man marschiert, noch womit er in Erinnerung bleiben wird.

Hoffentlic­h mit einem Meer aus rosa Hauben, sogenannte­n „Pussyhats“, zu deren Anfertigun­g Krista Suh and Jayna Zweiman aufgerufen haben. Millionen solcher Hauben wären schon ein hübscher Gruß an einen Präsidente­n, der über die Frauen sagte: „Grab them by the pussy. You can do anything.“Diese Botschaft allein ist den Marsch von Millionen Frauen wert. Und man muss gar nicht links wählen, um sie zu teilen.

 ?? [ Library of Congress ] ?? Sie wusste genau, was sie wollte: Anwältin Inez Milholland bei der Suffragett­enparade 1913.
[ Library of Congress ] Sie wusste genau, was sie wollte: Anwältin Inez Milholland bei der Suffragett­enparade 1913.

Newspapers in German

Newspapers from Austria