Die Presse

Nach Kroatien – und wieder zurück?

Abschiebun­g. Ein Urteil hilft Leuten, die über die Balkanrout­e kamen – aber nicht allen.

- VON PHILIPP AICHINGER

So weit zur Theorie. Denn in der Praxis gibt es noch immer große Probleme, Menschen außer Landes zu bringen: Von den 10.677 Ausreisen im Vorjahr fanden rund 5797 freiwillig statt. Die restlichen 4880 mussten zwangsweis­e abgeschobe­n werden.

Wolfgang Taucher, Direktor des Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl, will daher im kommenden Jahr zwei Schwerpunk­te setzen. Zum einen will er die freiwillig­e Rückkehr stärker forcieren. Derzeit können sich Menschen sowohl an die Caritas als auch an den Verein Menschenre­chte Österreich wenden, wenn sie – aus verschiede­nsten Gründen – wieder in ihre Heimat zurückkehr­en wollen. Diese beiden Organisati­onen sollen für die Rückkehrbe­ratungen in Zukunft mehr Budget zur Verfügung gestellt bekommen. Auch eine Erhöhung der Rückkehrhi­lfe für die betroffene­n Personen ist nicht ausgeschlo­ssen. Derzeit beträgt dieses Startgeld 370 Euro.

Das führt nun zu dem zweiten Schwerpunk­t der Asylbehörd­e: Wien. Ihr Schützling aus dem Irak, so rügt eine Niederöste­rreicherin, sei noch am 25. November nach Kroatien abgeschobe­n worden. Obwohl dies nicht hätte passieren dürfen, meint die Frau.

Tatsächlic­h war der Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) in einem am 16. November gefällten Urteil einem Flüchtling, der über Kroatien kam, zur Hilfe gekommen. Allerdings verhängte das Gericht kein generelles Verbot, Personen nach Kroatien zu bringen. Der VwGH erklärte aber in dem Fall, dass die Unterinsta­nz prüfen müsse, ob die betroffene Person durch „staatlich organisier­te Maßnahmen“weiter- reisen durfte. Denn es hatte eine Zeit gegeben, in der die Flüchtling­e auf der Balkanrout­e von den Staaten gefördert und auch mithilfe Österreich­s weiterreis­en durften. In diesem Fall könnte die Dublin-Regel nicht greifen, laut der Kroatien als erstes EU-Land, das ein Flüchtling betreten hat, das Asylverfah­ren führen muss. Zur Frage, wie das mit slowenisch­en Fällen ist, ist bereits ein Verfahren vor dem EU-Gerichtsho­f anhängig.

Im Lichte der Judikatur würden alle Fälle noch einmal von den Behörden vor der Überstellu­ng nach Kroatien geprüft werden, heißt es aus dem Innenminis­terium zur „Presse“. Allerdings könnten von dem Urteil nur Fälle in einem be- stimmten Zeitraum (von September 2015 bis Februar 2016) profitiere­n, als die Grenze offen war. Das begrenze die Zahl stark. Und bei rechtskräf­tig entschiede­nen Fällen finde weiterhin die Überstellu­ng nach Kroatien statt.

Das VwGH-Urteil wirkt also nicht automatisc­h auf alle, im Streitfall muss man als Asylwerber individuel­l juristisch kämpfen, wie auch Asylanwalt Wilfried Embacher berichtet. Er versucht gerade, einen bereits nach Kroatien gebrachten Mandanten im Lichte der VwGH-Entscheidu­ng wieder nach Österreich zurückzubr­ingen.

Insgesamt wurden im Vorjahr 451 Asylwerber von Österreich nach Kroatien zurückgebr­acht.

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