Die Presse

Genuss, eine Ansichtssa­che

Ski alpin. Rennen auf der Streif in Kitzbühel sind stets ein Spektakel, genießen können sie jedoch nicht einmal Olympiasie­ger. Matthias Mayer sagt: „Diese Strecke ist eine beinharte Geschichte.“

- Aus Kitzbühel berichtet CHRISTOPH GASTINGER

Große Mengen an Naturschne­e, Sonne, ein blauer Himmel und eine pickelhart­e Streif: Kitzbühel präsentier­t sich während dieser Hahnenkamm-Woche von seiner attraktivs­ten Seite. Eine willkommen­e Abwechslun­g in diesem Weltcupwin­ter, der schon so viele Rennen quer durch Europa auf Kunstschne­e gesehen hat beziehungs­weise Absagen ob Schneemang­els in den USA hinnehmen musste.

Schon die Trainings, das zweite und zugleich letzte am Donnerstag entschied der Norweger Aleksandar Aamondt Kilde für sich, waren beste Werbung für den Skisport und die Gamsstadt. Freilich, nicht nur der TV-Konsument, auch die Athleten begrüßen die winterlich­en Bedingunge­n. „Zugegeben, so macht es schon mehr Spaß“, gesteht Matthias Mayer. Wobei, Spaß und Kitzbühel vertragen sich hier eigentlich nur abseits der Strecke.

Die Streif verlangt Respekt und Ehrfurcht, vom unbekümmer­ten Youngster genauso wie vom coo- len Routinier. Und wirklich anfreunden tut man sich mit diesem Berg, der schon viele Helden geboren und noch viel mehr Tragödien geschriebe­n hat, nie. „Trainingsl­äufe“, sagt Mayer, „bringen in Kitzbühel nicht wirklich viel.“Schließlic­h werde man das bedrückend­e Gefühl nicht los, „dass man hier zum ersten Mal hinunterfä­hrt“. Das liegt mitunter daran, dass sich die Strecke jedes Jahr, jeden Tag, in einem veränderte­n Zustand präsentier­t. Schnee, Temperatur­en, Pistenbesc­haffenheit, Streckenfü­hrung – es gibt viele Variablen, viele Gefahren.

Weiche Knie

An sein erstes Mal auf der Streif erinnert sich praktisch jeder Läufer, die Premiere am Hahnenkamm ist ein einschneid­endes Erlebnis. Mayer: „Ich stand im Starthaus, hatte weiche Knie und hab nur versucht, irgendwie gesund ins Ziel zu kommen.“Das Resultat: Platz 40 in der Abfahrt.

Das bekanntest­e und gefährlich­ste Skirennen der Welt wird seit jeher zelebriert; Mausefalle, Hausbergka­nte, Traverse und Zielschuss sind ein Begriff. Aber sind sie für die Fahrer ein Genuss? Mayer überlegt kurz, sagt: „Wenn du auf die Mausefalle zufährst und alles in diesem einen Moment perfekt ist, dann kannst du den Augenblick eine Zehntelsek­unde genießen. Aber gewöhnen sollte man sich nicht daran, sonst wird’s gefährlich.“Das Fazit des 26-jährigen Draufgänge­rs: „Die Streif ist eine beinharte Geschichte.“

Der Schweizer Carlo Janka sieht das ähnlich. 2009 machte er mit der Streif erstmals Bekanntsch­aft. Im gleichen Jahr stürzte sein Teamkolleg­e Daniel Albrecht nach dem Zielsprung schwer, erlitt ein Schädel-HirnTrauma und lag drei Wochen im Koma. „Die Folgejahre waren nicht einfach, ich musste mich Schritt für Schritt an diese Strecke herantaste­n.“Mittlerwei­le verspürt Janka sogar so etwas wie Vorfreude. „Ich habe das Gefühl, dass ich sie im Griff habe, wirklich attackiere­n kann“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. In Sicherheit wiegen dürfe man sich allerdings nie: „Machst du einen Fehler, hat das Konsequenz­en.“

Selbst für Janka ist nicht etwa der Heimklassi­ker in Wengen, sondern Kitzbühel das Nonplusult­ra im Skiweltcup. „Die Streif ist die Streif. Kitzbühel ist das Rennen, das du als Abfahrer unbedingt einmal gewinnen willst.“Am Wengener Lauberhorn hat der 30-Jährige 2010 gewonnen, in Kitzbühel war er 2016 Abfahrtsdr­itter. „Aber es geht noch schneller.“

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[ Gepa ] Matthias Mayer: erst durch den dunklen Starttunne­l, dann ins grelle Licht der Streif.

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