Die Presse

Auch Viren kommunizie­ren

Biologie. Phagen, die Bakterien befallen, können entscheide­n, ob sie attackiere­n oder nicht. Sie tun es im Verbund, mit chemischen Signalen.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Auch die kleinsten und tödlichste­n im Reich des Lebens müssen permanent Entscheidu­ngen treffen, von denen ihre Existenz abhängt. Sie tun es nicht allein, sondern im Verbund: Wenn etwa Cholerabak­terien einen Körper befallen, dann schlagen sie nicht gleich los, sie hätten keine Chance gegen das Immunsyste­m. Deshalb warten sie, bis genug von ihnen da sind, erst dann kommt die Attacke.

Und woher wissen sie, wann genug da sind? Sie zählen unentwegt ihre Reihen durch, mit „Quorum sensing“: Jedes individuel­le Bakterium scheidet einen Botenstoff aus und misst zugleich dessen Konzentrat­ion in der Umgebung. Ist ein Schwellenw­ert überschrit­ten, beginnt die Attacke. Aber Bakterien müssen sich nicht nur vor Immunsyste­men hüten, sie sind auch selbst Ziel tödlicher Angriffe. Die kommen von Viren, die der Bakterien heißen Phagen: Wie alle Viren können sie sich nicht aus eigener Kraft reproduzie­ren, sondern lassen ihre Wirte das erledigen. Deshalb ist strittig, ob sie leben, unstrittig ist, dass sie den Tod bringen können.

Bei Bakterien kommt der so: Die Phagen dringen in sie ein, lassen sich massenhaft vermehren und töten die Wirte dann, lösen ihre Zellmembra­n auf und schwärmen aus. Sind Bakterien dem hilflos ausgesetzt, oder können sie zumindest Artgenosse­n vor der Gefahr warnen, mit Botenstoff­en, die denen beim „Quorum sensing“ähnlich sind? Eine Gruppe um Rotem Sorek (Weizman-Institut, Rehovot) ist der Vermutung nachgegang­en – und hat eine Überraschu­ng erlebt: Von Phagen befallene/getötete Bakterien senden gar nichts aus, aber die Phagen tun es, es hilft ihren Nachfolger­n bei deren zentraler Entscheidu­ng: Sie können in zwei Formen leben, entweder attackiere­n und ihren Wirt zu Tode bringen oder zwar eindringen, aber ganz unscheinba­r bleiben, sich ins Genom des Wirts integriere­n und abwarten.

Mit den Wirten haushalten!

Das tun sie, wenn sie bemerken, dass schon (zu) viele Vorgänger da waren und die Zahl potenziell­er Wirte knapp zu werden droht. Und das bemerken sie, weil ihre zerstöreri­schen Vorgänger eine chemische Signatur hinterlass­en haben, Sorek nennt sie „arbitrium“, zu Deutsch: Entscheidu­ng oder auch Richtspruc­h (Nature 18. 1.). Das ist der erste Fund einer Kommunikat­ion von Viren, und wenn es Ähnliches auch bei den Viren gäbe, die uns befallen, könnte sich der Pharmakolo­gie ein ganz neues Feld öffnen.

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