Ein Spiel mit Verbrechen – nur die Leiche fehlt
Vienna’s English Theatre. Anthony Shaffers Krimiklassiker „Sleuth“wird von Philip Dart liebevoll im Stil der Dreißigerjahre inszeniert: Der Wortwitz ist wichtiger als die Gewalt, in zwei Stunden „Good Old England“.
Für jüngere Besucher müssen es seltsame Rituale sein, die sie bei der Premiere von „Sleuth“in Vienna’s English Theatre sehen: Ein älterer Herr hämmert auf ein Gerät ein, klappernde Geräusche ertönen. Er nimmt einen an einer Schnur befestigten Griff von einer Gabel, dreht mehrfach an einer Scheibe, die an einem Kästchen aus Bakelit angebracht ist, und beginnt in eine der zwei Muscheln am Griff hineinzusprechen. Ja, als Anthony Shaffers bis heute beliebtes, zweimal fürs Kino verfilmtes Kriminalstück 1970 in Londons West End uraufgeführt wurde, gab es noch keine Handys, sondern klobige Tischtelefone, keine Personalcomputer, sondern mechanische Schreibmaschinen.
Das englische Drama, das diese Woche in Wien Premiere hatte, passt gerade noch in diese Zeit. Eigentlich ist es sogar ein wenig älter, so wie das Bühnenbild von Judith Croft, die Miniaturausgabe eines schmucken britischen Herrenhauses. In solch einem Set wirken „well made plays“der Dreißigerjahre im Geist Agatha Christies besonders gut.
Regisseur Philip Dart hat auf solche Umstände liebevoll Rücksicht genommen. Seine zweistündige Inszenierung von „Sleuth“(Detektiv, Spürhund) ist als Übung in Nos- talgie gelungen: Wir befinden uns in „Good Old England“, dort klärt man Verbrechen mit Scharfsinn und Understatement auf. Doch welche kriminelle Tat zeigt dieses Drama, in dem 1972 auf der Kinoleinwand Laurence Olivier und Michael Caine brillierten? (2007 spielte dann Caine die Rolle des älteren Mannes, während Jude Law die des jüngeren übernahm.) Es geht um einen mit allen Mitteln der Perfidie inszenierten Machtkampf: Ein reifer Autor von Detektivgeschichten, Andrew Wyke (Jonathan Coote), lädt einen jüngeren Mann in sein Haus ein und kommt sofort zur Sache: Milo Tindle (Chris Polick) hat ein Verhältnis mit Wykes Frau begonnen. Der scheint nichts dagegenzuhaben, sondern froh darüber zu sein, sie an den Liebhaber loszuwerden. Angeblich.
Als Clown verkleideter Schmuckdieb
Also macht er dem Rivalen ein unmoralisches Angebot: Um für die an Luxus gewöhnte Gattin standesgemäß sorgen zu können, solle Tindle in das Landhaus einbrechen und den teueren Schmuck stehlen, für den dann Wyke eine hohe Versicherungssumme kassiert. Gesagt, getan, ein Raubzug im Kostüm eines Clowns, damit es authentisch wirkt! Die beiden Herren spielen das Szenario durch, sie liefern sich verbale Du- elle in Serie. Nimmt der Gatte die Angelegenheit wirklich derart gelassen? Es fallen Schüsse. Vorhang. Wer hat hier wen manipuliert? Nach der Pause ein neues Machtspiel: Wie soll man als Verdächtiger einen Polizeibeamten überzeugen, dass kein Verbrechen geschehen ist, wenn doch alle Indizien darauf hinweisen? Nur die Leiche fehlt. Coote und Polick spielen diesen rasanten, wortspielreichen Krimi sprachlich souverän und in den entscheidenden Momenten mit körperlicher Intensität – wenn auch nicht so dämonisch wie einst Olivier und Caine.