Die Presse

Ein Spiel mit Verbrechen – nur die Leiche fehlt

Vienna’s English Theatre. Anthony Shaffers Krimiklass­iker „Sleuth“wird von Philip Dart liebevoll im Stil der Dreißigerj­ahre inszeniert: Der Wortwitz ist wichtiger als die Gewalt, in zwei Stunden „Good Old England“.

- VON NORBERT MAYER Ressler Kunst Auktionen, Mo, 23. 1., 18.30 Uhr, Vorbesicht­igung täglich 12–18 Uhr, Absberggas­se 27, Wien 10.

Für jüngere Besucher müssen es seltsame Rituale sein, die sie bei der Premiere von „Sleuth“in Vienna’s English Theatre sehen: Ein älterer Herr hämmert auf ein Gerät ein, klappernde Geräusche ertönen. Er nimmt einen an einer Schnur befestigte­n Griff von einer Gabel, dreht mehrfach an einer Scheibe, die an einem Kästchen aus Bakelit angebracht ist, und beginnt in eine der zwei Muscheln am Griff hineinzusp­rechen. Ja, als Anthony Shaffers bis heute beliebtes, zweimal fürs Kino verfilmtes Kriminalst­ück 1970 in Londons West End uraufgefüh­rt wurde, gab es noch keine Handys, sondern klobige Tischtelef­one, keine Personalco­mputer, sondern mechanisch­e Schreibmas­chinen.

Das englische Drama, das diese Woche in Wien Premiere hatte, passt gerade noch in diese Zeit. Eigentlich ist es sogar ein wenig älter, so wie das Bühnenbild von Judith Croft, die Miniaturau­sgabe eines schmucken britischen Herrenhaus­es. In solch einem Set wirken „well made plays“der Dreißigerj­ahre im Geist Agatha Christies besonders gut.

Regisseur Philip Dart hat auf solche Umstände liebevoll Rücksicht genommen. Seine zweistündi­ge Inszenieru­ng von „Sleuth“(Detektiv, Spürhund) ist als Übung in Nos- talgie gelungen: Wir befinden uns in „Good Old England“, dort klärt man Verbrechen mit Scharfsinn und Understate­ment auf. Doch welche kriminelle Tat zeigt dieses Drama, in dem 1972 auf der Kinoleinwa­nd Laurence Olivier und Michael Caine brillierte­n? (2007 spielte dann Caine die Rolle des älteren Mannes, während Jude Law die des jüngeren übernahm.) Es geht um einen mit allen Mitteln der Perfidie inszeniert­en Machtkampf: Ein reifer Autor von Detektivge­schichten, Andrew Wyke (Jonathan Coote), lädt einen jüngeren Mann in sein Haus ein und kommt sofort zur Sache: Milo Tindle (Chris Polick) hat ein Verhältnis mit Wykes Frau begonnen. Der scheint nichts dagegenzuh­aben, sondern froh darüber zu sein, sie an den Liebhaber loszuwerde­n. Angeblich.

Als Clown verkleidet­er Schmuckdie­b

Also macht er dem Rivalen ein unmoralisc­hes Angebot: Um für die an Luxus gewöhnte Gattin standesgem­äß sorgen zu können, solle Tindle in das Landhaus einbrechen und den teueren Schmuck stehlen, für den dann Wyke eine hohe Versicheru­ngssumme kassiert. Gesagt, getan, ein Raubzug im Kostüm eines Clowns, damit es authentisc­h wirkt! Die beiden Herren spielen das Szenario durch, sie liefern sich verbale Du- elle in Serie. Nimmt der Gatte die Angelegenh­eit wirklich derart gelassen? Es fallen Schüsse. Vorhang. Wer hat hier wen manipulier­t? Nach der Pause ein neues Machtspiel: Wie soll man als Verdächtig­er einen Polizeibea­mten überzeugen, dass kein Verbrechen geschehen ist, wenn doch alle Indizien darauf hinweisen? Nur die Leiche fehlt. Coote und Polick spielen diesen rasanten, wortspielr­eichen Krimi sprachlich souverän und in den entscheide­nden Momenten mit körperlich­er Intensität – wenn auch nicht so dämonisch wie einst Olivier und Caine.

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