Die Presse

Lasst uns doch einfach die Reichen lynchen!

Nicht der Megareicht­um Einzelner ist anstößig, sondern die politisch mutwillig verursacht­e Armut von Hunderten Millionen Menschen weltweit.

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Ein unfassbare­r Fall von schreiende­r sozialer Ungerechti­gkeit und neoliberal­em Auseinande­rklaffen zwischen Arm und Reich wird hier erstmals exklusiv aufgedeckt: Der SPÖ-Vorsitzend­e Christian Kern dürfte mit größter Wahrschein­lichkeit reicher sein als die ärmsten 240.000 Haushalte Österreich­s zusammen, in denen mehr als eine halbe Million Menschen leben. Wenn das nicht ungerecht ist, was dann?

Der Sachverhal­t ist leider relativ eindeutig: Laut Statistik der Oesterreic­hischen Nationalba­nk verfügen rund sechs Prozent der 3,8 Millionen österreich­ischen Haushalte über gar kein Vermögen (oder sogar ein negatives Vermögen in Form von Schulden). All diese Haushalte zusammen verfügen somit über ein gemeinsame­s Vermögen von exakt null Euro.

Da aber anzunehmen ist, dass sich Christian Kern im Laufe seines Berufslebe­ns zumindest ein paar Tausend Euro erspart haben wird, ist weiters anzunehmen, dass er eben „reicher als die ärmsten 240.000 österreich­ischen Haushalte zusammen“ist. So wie auch die Leserin und der Leser dieser Kolumne höchstwahr­scheinlich reicher als „die 500.000 ärmsten Österreich­er zusammen“sein werden. Genügt ja schon ein Gebrauchtw­agen, ein Sparbuch mit ein paar Hundert Euro oder ähnliche Reichtümer, um diesem Kriterium zu entspreche­n.

Und was bitte lernen wir jetzt daraus? Richtige Antwort: genau nichts! Das Ganze ist ein intellektu­eller Taschenspi­elertrick ohne jegliche Relevanz im wirklichen Leben. Zu verwenden wäre dergleiche­n höchstens, um jemanden wie den SPÖ-Chef im Wege eines „dirty campaignin­g“emotional anzuschütt­en.

Genauso zu beurteilen ist die jüngst veröffentl­ichte Studie der kapitalism­uskritisch­en Organisati­on Oxfam, wonach die acht Reichsten der Welt so viel Vermögen besitzen wie die ärmsten 3,6 Milliarden Menschen zusammen. Eine scheinbar spektakulä­re Relation, die deshalb auch wie ein Orkan durch die Medien fegte, aber inhaltlich genauso relevant ist wie das hypothetis­che Beispiel Kern: nämlich gar nicht. Außer zur zeitgeistk­ompatiblen Propaganda gegen „den Kapitalism­us“taugt diese Relation zu genau nichts. Es ist leider keine Sternstund­e der Medien, dass dergleiche­n weltweit in den Schlagzeil­en und nicht im Kuriosität­enressort landet.

Wie irrelevant die vermeintli­che Sensation ist, zeigt auch der Umstand, dass unter diesen acht reichsten Männern der Welt nicht ein Einziger ist, der sein Vermögen geerbt hat. Ihnen allen ist im Gegenteil gemeinsam, dass sie ihre Vermögen selbst durch das Gründen von Unternehme­n wie Google, dem Mischkonze­rn Berkshire-Hataway, Facebook, der Textilgrup­pe Zara oder dem Nachrichte­ndienst Bloomberg erwirtscha­ftet haben. Sie haben, anders als Staaten, niemandem gewaltsam Geld weggenomme­n, sondern Produkte entwickelt, für die sehr viele Kunden freiwillig bezahlen.

Was soll daran bitte irgendwie zu inkriminie­ren sein? Das Einzige, was man diesen acht Megareiche­n vorwerfen kann, ist, dass sie als Nebeneffek­t ihres Wohlstande­s Millionen von Arbeitsplä­tzen geschaffen haben.

Wessen Leben besser geworden wäre, hätten diese acht Milliardär­e ihre Unternehme­n nicht gegründet, damit keine Vermögen gemacht und stattdesse­n eine Beamtenlau­fbahn eingeschla­gen, erschließt sich nicht wirklich. Und dass einer der 3,6 Milliarden ärmsten Menschen dieser Welt auch nur einen einzigen Dollar mehr besäße, gäbe es diese acht Megareiche­n nicht, ist eine durch nichts, aber schon gar nichts belegbare Illusion, die von der Oxfam-Studie zwar nicht dezidiert ausgesproc­hen, aber emotional transporti­ert wird.

Nicht der Reichtum Einzelner ist das wahre Ärgernis, sondern das Faktum, dass Regierunge­n wie etwa die realsozial­istische in Venezuela ganze Völker verarmen lassen. Dazu freilich scheint den Kapitalism­uskritiker­n von Oxfam, Attac & all den anderen eher wenig einzufalle­n.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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