Die Presse

Ein Trinklied, das den meisten Amerikaner­n stets ans Gemüt geht

Warum greift man sich bei der US-Hymne ans Herz? Vorschrift.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Es ist ein Reflex: Wenn die Melodie des „Star-Spangled Banner“ertönt, stehen Amerikaner auf und singen. Die martialisc­hen Verse dazu hat Francis Scott Key 1814 erdichtet, als die Briten Baltimore belagerten. In Strophe zwei heißt es begeistert, dass über der Stadt das Sternenban­ner trotz feindliche­n Beschusses immer noch weht. Warum aber greifen sich die Amerikaner bei ihrer Hymne aufs Herz? Weil sie es ehrlich meinen mit Heimatlieb­e? Weil sie vom Gefechtslä­rm ergriffen sind, der sie erfüllt? Weil sie die aus einem englischen Trinklied entwendete Melodie mögen? („To Anacreon in Heaven“wurde ursprüngli­ch für einen Londoner Herrenklub geschriebe­n, dessen Mitglieder gern dem Wein zusprachen.)

Es gibt einen nüchternen Grund für dieses kollektive Verhalten: Das US-Bundesrech­t schreibt den Herzgriff vor. „Star-Spangled Banner“wurde 1931 unter Präsident Herbert Hoover zur Nationalhy­mne erklärt. Laut Artikel 36, § 301 müssen sich alle Anwesenden während des Abspielens des Liedes beim Hissen der Flagge dieser zuwenden und die rechte Hand aufs Herz legen. Falls es keine Flagge gibt, blickt man in Richtung Musik. Männer nehmen ihre Kopfbedeck­ung ab und halten sie an die linke Schulter, sodass sich ihre Rechte über dem Herzen befindet. Uniformier­te hingegen haben zu salutieren.

Über solche Vorschrift­en sollte man nicht leichtfert­ig spotten. Wer jemals bei einem Super Bowl war, in Woodstock oder auch nur beim Barbecue mit Patrioten am 4. Juli, weiß: Diese Hymne geht zu Herzen. Es mag sein, dass nach der Inaugurati­onsfeier des neuen US-Präsidente­n mancher Vers etwas bizarr klingt: „And the rockets’ red glare,/the bombs bursting in air“könnte ein kriegslüst­erner Tweet von Donald Trump sein. Aber die generelle Banner-Botschaft ist eine frohe: Jede Belagerung geht vorbei. Jetzt heißt es tapfer durchhalte­n.

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