Die Presse

Schönheit unter 25 Tonnen Kupfer

London. Makellos, elegant, vielleicht eine Spur zu perfekt: Das neue Design-Museum im teuren Stadtteil Kensington soll ein „Museum der Ideen, nicht der Gegenständ­e“sein.

- VON GABRIEL RATH

Bestes Design stand an der High Street Kensington im Westen Londons immer schon hoch im Kurs: Die erlesenste­n Marken sind in diesem Nobelbezir­k mit eleganten Shops vertreten. Nun hat dort – in den Räumen des ehemaligen Commonweal­th Institute – das Design-Museum ein neues Zuhause gefunden – und wird vom Publikum gestürmt.

Besonders am Wochenende muss man mit langen Schlangen rechnen. Die kann man dazu nutzen, einen Blick auf das geschwunge­ne Kupferdach zu erhaschen, einem der Schmuckstü­cke des Baus. Was wie ein „gigantisch­es Pringle mit scharfen Ecken“(so das Londoner Stadtmagaz­in „Time Out“) aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtun­g als elegante Konstrukti­on aus 25 Tonnen Kupfer, die über dem Gebäude zu schweben scheint. Ist man dann ins Innere vorgedrung­en, steht man in einem riesigen Foyer, das von Architekt John Pawson mit Eiche hell und warm ausgekleid­et wurde.

Mit 10.000 Quadratmet­ern bietet das neue Design-Museum dreimal so viel Ausstellun­gsfläche wie seine alte Heimstatt am südlichen Themse-Ufer, das einst von Designpaps­t Terence Conran gegründet worden ist. Conran ist auch im neuen Gebäude involviert: nicht nur als Ideen-, sondern auch als Geldgeber. Er steuerte 17,5 Millionen Pfund aus eigener Tasche zu den Kosten von 83 Millionen Pfund für die Neugestalt­ung des Gebäudes bei, an der auch das Büro von Stararchit­ekt Rem Koolhaas beteiligt war.

Zu den Sponsoren gehört auch die Swarovski Foundation, die ein Learning Centre finanziert hat. „Wir sind begeistert, ein Teil der neuen Vision des Design Museums zu sein“, sagt Stiftungsv­orsitzende Nadja Swarovski. Diese neue Vision erklärt Direktor Deyan Sudjic so: „Wir sind ein Museum der Ideen, nicht der Gegenständ­e.“

Loch im europäisch­en Wohnzimmer

Wie die Idee Form angenommen hat, kann man in der Dauerausst­ellung „Designer Maker User“mit Designklas­sikern sehen: vom Ford T bis zum Symbol für die Londoner U-Bahn, von der Kalaschnik­ow bis zum Schifffahr­tscontaine­r. Die temporäre Ausstellun­g „Fear and Love – Reactions to a Complex World“indessen zeigt in elf Installati­onen zeitgenöss­ische Reaktionen auf eine Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint. Im „Pan-European Living Room“klafft an Stelle der britischen Nationalfa­rben ein Loch.

Im Design-Museum hingegen ist nichts aus den Fugen geraten. Alles ist hier gekonnt und perfekt, vielleicht eine Spur zu perfekt. Die Gestaltung ist makellos, die Materialie­n sind elegant, der Gesamteind­ruck des Gebäudes ist ungebroche­n. Nichts widerstreb­t hier. Aber ein Moment des Staunens kommt nicht auf. Es könnte sich auch um ein nobles Hotel, ein Luxusgesch­äft oder einen teuren Terminal handeln. Ein wenig gilt, was Direktor Sudjic über den neuen Heimatbezi­rk seines Museums sagt: „Kensington ist heute sehr wohlhabend. Aber manchmal macht Reichtum einen Ort langweilig.“

Mathematik-Galerie von Zaha Hadid

Einen Gutteil der Finanzieru­ngskosten brachte der Verkauf der alten Heimstätte an die Architekti­n Zaha Hadid, die dort – ganz nahe der Tate Modern – ihr Archiv unterbring­en und eine Galerie einrichten wollte. Trotz ihres Todes im März bestimmt Hadid das kulturelle Geschehen in London weiter mit. Im Dezember eröffnete in der Serpentine Sackler Gallery im Hyde Park eine Schau ihrer frühen Zeichnunge­n und Entwürfe – und im nahegelege­nen Science-Museum eine von Hadid gestaltete Galerie, die sich der Mathematik und ihrem Einfluss auf das Leben widmet. Angeordnet um Leitbegrif­fe wie „Form and Beauty“, „Life and Death“oder „Trade and Travel“geben über hundert Objekte aus dem Museumsbes­tand eine Vorstellun­g davon, wie man alles Leben in Zahlen gießen kann – oder zumindest versuchen kann: Man sieht etwa eine Maschine für die Berechnung richtiger Tipps bei Hundewettr­ennen.

In seinem Anspruch ebenso rührend ist ein Modell der London School of Economics aus dem Jahr 1952, das die britische Volkswirts­chaft als simplen Kreislauf schematisi­ert. Ein seltsames Flashback, gerade in Zeiten des Brexit.

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[ Reuters ] Von Architekt John Pawson mit Eiche hell und warm ausgekleid­et: das riesige Foyer des Design-Museums, das nun 10.000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche bietet. Die neue Adresse ist: 224–238 Kensington High Street , London W8 6AG.

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