Die Presse

Der Orthodoxen letztes Gefecht

Vor fünfzig Jahren begann der kometenhaf­te Aufstieg Bruno Kreiskys. Aus der Gewerkscha­ft und der Wiener Partei schlug ihm heftiges Misstrauen entgegen.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Am 1. Februar 1967 wählte der SPÖParteit­ag in der Wiener Stadthalle den früheren Außenminis­ter Bruno Kreisky (56) aus jüdischem großbürger­lichen Haus zum neuen Parteivors­itzenden. Hitzige Debatten prägten den zweitägige­n Konvent. Zum letzten Mal waren die Journalist­en der unabhängig­en Medien von einem SPÖ-Parteitag ausgesperr­t. Danach war alles ganz anders. Und niemand in der völlig verunsiche­rten Partei konnte ahnen, dass dieser neue Mann ihr bedeutends­ter Parteichef im 20. Jahrhunder­t werden sollte.

Doch um ein Haar wäre alles ganz anders verlaufen.

Der seit 1957 amtierende Parteivors­itzende, Bruno Pittermann (61), war nach der verheerend­en Niederlage bei den Märzwahlen 1966 nicht mehr zu halten. Das war dem Apparat längst klar. Im Parteiorga­n „Arbeiter-Zeitung“tobte schon den ganzen Herbst über der Richtungss­treit zwischen den Apparatsch­iks und den Reformern, wobei auch Freundscha­ftsbande zerrissen wurden. Etwa jenes zwischen Wiens Parteichef, Felix Slavik, und seinem Freund aus der Zeit der illegalen Arbeiterju­gend, Bruno Kreisky. Slavik stand für den mächtigen Wiener Parteiappa­rat, Kreisky war der Schwarm der ungeduldig­en Neuerer in den Bundesländ­ern.

Anfang Jänner des Jahres 1967 ließ Kreisky durchblick­en, dass er eine Kandidatur anstrebe. Seit seinem Ausscheide­n aus dem Ministeram­t hatte er eine dürftige Parteifunk­tion: jene des niederöste­rreichisch­en Landespart­eichefs. Innenpolit­ische Auguren gaben ihm wenig Chancen: Der alte Fuchs Pittermann werde nicht kampflos gehen. Am 9. Jänner beschlosse­n dennoch die burgenländ­ischen und niederöste­rreichisch­en Parteiorga­nisationen, nicht für Pittermann votieren zu wollen. Von Kreisky aber keine Rede.

Am 10. Jänner zog Oberösterr­eich nach. Dort nannte man Wiens Vizebürger­meister, Felix Slavik. So dachten auch Teile der Wiener SPÖ. Damit stand wenigstens fest: Pittermann war erledigt. Und noch eines zeichnete sich schon ab: Dieser Parteitag würde wohl hinter besonders dicht verschloss­enen Türen stattfinde­n.

Am 12. Jänner versuchten die Landesobmä­nner, aus der heiklen Pattsituat­ion auszubrech­en. Man trat an Karl Waldbrunne­r heran, den großen alten Mann der Sozialiste­n, das „Gewissen der Partei“. Von ihm war bekannt, dass er Kreisky verhindern wollte. Dass dabei auch antisemiti­sche Vorbehalte eine Rolle gespielt haben mögen, wird von den Zeitzeugen freilich dementiert. Wie auch immer, der 61-jährige einst so mächtige Ex-Minister Waldbrunne­r lehnte aus gesundheit­lichen Gründen ab. „Ein zweiter Victor Adler ist weit und breit nicht zu sehen“, spottete bereits der „Presse“-Innenpolit­iker Hans Thür. Irrtum.

Ein Jude als Kanzlerkan­didat?

Am 18. Jänner dann ein schwerer Rückschlag für die Kreisky-Fans: Die SP-Gewerkscha­fter, die immerhin fünfzig Delegierte stellen, schwenken auf Pittermann ein, nur um Kreisky zu verhindern. Freunden vertraut Kreisky an, dass in Österreich ein Jude vielleicht Parteivors­itzender werden könne – „Bundeskanz­ler wohl nie“. Damit trifft er den Kern des Problems, den der ÖGB hatte: Ein jüdischer großbürger­licher Intellektu­eller – seit Victor Adler und Otto Bauer hatte es so etwas in der SPÖ nicht mehr gegeben.

Die Verunsiche­rung der Parteikade­r wächst, eine Sitzung jagt die andere, doch das Rennen bleibt offen. Am 23. Jänner neigt sich die Waagschale wieder zugunsten Kreiskys. Mehrere Bundesländ­er schwenken bei eiligen Sonderkonf­erenzen zu ihm hinüber.

Am 24. Jänner taucht erstmals eine seltsame Variante auf. Um eine Kampfwahl abzuwenden, könnte der Gewerkscha­fter und frühere Innenminis­ter Hans Czettel (44) auf den Schild gehoben werden. Man vermutet, nicht zu Unrecht, Waldbrunne­r als Drahtziehe­r dieser Finte.

Am 26. Jänner geht es in der Parteivert­retung in Wien hoch her. Mehrere ranghohe Funktionär­e bitten Pittermann, freiwillig abzutreten. Der erklärt sich schließlic­h dazu bereit – wenn auch Kreisky zurückstec­ke. Doch der denkt nicht daran.

Verstört kommen die Delegierte­n aus ganz Österreich in die hermetisch abgesicher­te Wiener Stadthalle. Bei der SP-Frauenkonf­erenz, die den Parteitag traditione­llerweise eröffnet, kämpft Pittermann noch einmal wie ein waidwunder Löwe: Er sei Opfer internatio­naler Reaktionär­e, die sich um USPräsiden­t Johnson und den österreich­ischen VP-Bundeskanz­ler Klaus scharten . . .

Erschöpft von diesem skurrilen Auftritt, erklärt Pittermann dann am Rande der Parteitags­eröffnung seinen Verzicht. Er favorisier­t Czettel, dessen Vergangenh­eit als eifriger Hitlerjung­e und jugendlich­er NSDichter die Parteitags­delegierte­n offenbar nicht stört. Und dann kommt es knüppeldic­k gegen den Bürgersohn Kreisky: Gewerkscha­ftschef Anton Benya dröhnt in den Saal, Kreisky sei schuld an der Parteikris­e. Sein schlimmste­s Vergehen: Er habe „fremden Zeitungen“Informatio­nen über interne Auseinande­rsetzungen gegeben (offensicht­lich der „FAZ“). Kreisky meldet sich zu Wort und dementiert das. Ein Vorwurf, aus dem Benya schon Jahre zuvor seinem Vorgänger Franz Olah einen Strick drehte. Aber der ÖGB-Chef gibt nicht so rasch auf. Ohne Kreisky namentlich zu nennen, fragt er rhetorisch, ob es da nicht einen Pittermann-Stellvertr­eter gebe: „Seit 1959! Ja, ist denn der Obmann überhaupt nicht zu bremsen?“Benya ist also für jeden, nur nicht für Kreisky.

Die Diskussion dauert einen ganzen Tag und die halbe Nacht. Es ist ein Gemetzel. Die Redaktion des Parteiorga­ns „AZ“ist verzweifel­t. Sie muss zwar seitenlang berichten, aber alles offenlasse­n. Am nächsten Morgen eröffnen die Kreisky-Gegner namens der Wiener Delegierte­n das Trommelfeu­er gegen den Kandidaten Kreisky: Karl Czernetz, Hubert Pfoch, Rosa Jochmann.

Einschub: Eine der erstaunlic­hsten Leistungen Kreiskys in den nächsten Jahren war es wohl, all diese Gegner mit sich zu versöhnen. Bis zu seinem Ausscheide­n aus der Politik 1983 blieb etwa das Arrangemen­t mit Anton Benya intakt.

Ex-Minister Alfred Migsch bringt einen interessan­ten Gesichtspu­nkt: „Unsere Partei ist kerngesund – in den Bundesländ­ern. Sie ist schwach in Wien.“Ein Seitenhieb auf Wiens Finanzstad­trat Felix Slavik. In den Pausenräum­en kursieren bei Würsteln und Bier die wildesten Gerüchte. Eines davon: Wenn Kreisky siege, dann komme dessen Jugendfreu­nd, der verfemte und aus der Partei verstoßene Franz Olah, wieder zurück. Doch kein Gerücht ist absurd genug, um sofort die Debatte zu befeuern. Ex-Staatssekr­etär Weikhart greift Kreisky direkt an: „Ich war einer der Ersten, die sich gegen Olah gewandt haben. Du hast mich deswegen schimpflic­h behandelt!“

Der Abgeordnet­e Michael Pay bringt das Problem mit Kreisky, das alle sorgsam umschiffen, naiv auf den Punkt: „Es ist bedauerlic­h, dass ab und zu bei uns zu hören ist: Das ist auch ein Jude, das war früher ein Nazi.“Und der Ultraortho­doxe Karl Czernetz ergänzt: „Im Trommelfeu­er des politische­n Gegners tauscht man doch nicht die Führung aus.“Denn dann obsiege wieder der Faschismus, trompetet der marxistisc­he Gralshüter.

Letztlich geben Pittermann, Benya, Waldbrunne­r, Czernetz und Josef Hindels resigniert auf. Kreisky wird von 347 der 497 Delegierte­n gewählt. Magere 69,8 Prozent.

Und er macht das Vernünftig­ste in einer solchen Situation: Er opfert Franz Kreuzer als „AZ“-Chef, setzt mit dem harmlosen Gewerkscha­ftsjournal­isten Paul Blau einen Benya-Vertrauten an die Spitze des Parteiorga­ns. Er verzichtet auf die Klubführun­g zugunsten Pittermann­s. Und schüttet so recht rasch die tiefen Gräben zu, die sich im Vorfeld dieses legendären Parteitags aufgetan haben. „Ein gefährlich­er Mann für die ÖVP“, urteilen die Kommentato­ren. Wie gefährlich, sollten die Jahre ab 1970 zeigen.

Es ist bedauerlic­h, dass ab und zu bei uns zu hören ist: Das ist auch ein Jude, das war früher ein Nazi. Delegierte­r Michael Pay

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[ Sammlung Oberleitne­r †/hws ] Die Schlacht ist entschiede­n, die Zukunft der SPÖ gehört Kreisky.
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