Die Presse

Das Bild von der Zweikindfa­milie wackelt

Hoch qualifizie­rte Frauen wünschen sich zwar eher ein Baby, werden aber seltener Mütter als andere Frauen: Der zeitliche Rückstand nach dem Karrierest­art lässt sich kaum aufholen. Die Idee der Zweikindfa­milie behalten sie aber bei.

- VON ALICE GRANCY

Maria Rita Testa hat zwei Töchter. Damit liegt die Demografin ganz im Trend des in Europa noch immer vorherrsch­enden Konzepts der Zweikindfa­milie. Doch dieses wackelt, seit Frauen in wohlhabend­en Staaten in den vergangene­n Jahren einen immer höheren Bildungsgr­ad erlangen. Das Kinderkrie­gen konkurrenz­iert sich mit der Karriere, immer öfter zugunsten letzterer.

Dabei ist es nicht so, dass besser gebildete Frauen keine Kinder wollen. „Hoch gebildete Frauen äußern sogar eher einen Kinderwuns­ch“, sagt Testa, die am Wittgenste­in-Institut, einer gemeinsame­n Einrichtun­g von Österreich­ischer Akademie der Wissenscha­ften, WU Wien und des Internatio­nalen Instituts für angewandte Systemanal­yse (IIASA) in Laxenburg, forscht. Das dürfte daran liegen, dass sich diese Frauen eine Familie eher leisten könnten. Die Wirklichke­it präsentier­t sich aber häufig umgekehrt: Je höher die Bildung einer Frau ist, desto weniger Kinder bekommt sie.

Widersprüc­he in den Studien

Ein Widerspruc­h, zu dem es zahlreiche einzelne Untersuchu­ngen gibt. „Je nach Messverfah­ren, Methode oder Studiendes­ign kamen diese zu anderen Ergebnisse­n“, berichtet Testa. Außerdem wurden die Daten in unterschie­dlichen Ländern zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n erhoben. Testa bemerkte die Unstimmigk­eiten und initiierte vor vier Jahren an der WU Wien ein Forschungs­projekt. Hinter dem etwas sperrigen Titel „Reprodukti­onsverhalt­en und Humankapit­al“verbirgt sich die Frage, warum gebildete Frauen weniger Kinder bekommen, als sie sich wünschen.

Um dem auf den Grund zu gehen, sichtete Testa alle auffindbar­en Studien und verglich sie in einer sogenannte­n Metaanalys­e (siehe Lexikon). Die Ergebnisse bestätigte­n vor allem die Tendenz, dass sich gebildete Frauen an der Norm orientiere­n und zwei Kinder wollen. Das mag manche überrasche­n, meint die Forscherin: Eigentlich könne man von den am höchsten gebildeten und emanzipier­ten Frauen der Gesellscha­ft genauso erwarten, dass sie sich als Pionierinn­en eines neuen Verhaltens präsentier­en. Tatsächlic­h wünschen sich die Frauen zu Beginn ihrer Karrieren Kinder, die sie später nie bekommen.

Forscher bezeichnen diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichke­it als Fruchtbark­eitslücke. Die hohe Priorität, die der Arbeit eingeräumt wird, lässt sich später nicht mehr aufholen. Hoch Gebildete werden später zum ersten Mal schwanger als andere Frauen, für ein zweites Kind ist es dann mitunter zu spät. Ein Rückstand, den auch moderne Reprodukti­onsmedizin nicht ausgleiche­n kann.

Wirkt die Mutter als Vorbild?

In weiteren statistisc­hen Analysen betrachtet­e Testa neben dem Bildungsni­veau der Frauen auch das ihrer Mütter. Und ob diese arbeiteten, während die Frauen noch Teenager waren. „Wir wollten sehen, ob es hier eine Vorbildwir­kung gibt.“Das ließ sich allerdings nicht nachweisen. Es zeigte sich aber, dass sich die Töchter gebildeter Mütter mehr Kinder wünschen: wohl aber wegen der finanziell­en Absicherun­g im Hintergrun­d.

Endgültige Antworten auf die komplexe Frage liefert auch diese Studie nicht. Man müsse die Pläne von Männern und Frauen in anderen Lebensbere­ichen stärker betrachten, regt Testa an: Was verändert ein Jobwechsel, wie funktionie­rt die Partnersch­aft, und welche Konflikte wirken sich auf den Kinderwuns­ch aus? Das ist Ziel ihrer weiteren Forschung. Eine Ursache für nicht realisiert­en Kinderwuns­ch sieht sie jedenfalls in der noch immer ungleichen Aufgabenve­rteilung in Partnersch­aften: „Die Frauen erfüllen eine Doppelroll­e: Sie arbeiten und kümmern sich um Haushalt und Familie. Das hält sie davon ab, ein zweites Kind zu bekommen.“Die Väter müssten sich mehr engagieren.

Ihre Auswertung­en zeigten, dass es in Österreich weniger gleichbere­chtigte Paare gibt als in anderen europäisch­en Ländern. „Die Verantwort­ung für die Kinderbetr­euung liegt noch immer hauptsächl­ich bei den Frauen“, sagt sie. Außerdem gäbe man hierzuland­e, verglichen mit anderen europäisch­en Ländern, UnterDreij­ährige nur selten in Kinderbetr­euungseinr­ichtungen.

Bildung weiter fördern

Was würden sie also einem Politiker raten? Hohe Bildung müsse weiter als wichtiger Wert gefördert werden, zugleich brauche es aber auch Maßnahmen für die Frauen, um ihre Familienpl­anung zu verwirklic­hen, etwa mehr Chancengle­ichheit am Arbeitsmar­kt, sagt die Demografin.

Testa forschte übrigens mit einem Elise-Richter-Stipendium. Dieses Programm des Wissenscha­ftsfonds FWF soll hoch qualifizie­rte Frauen fördern, die eine Universitä­tskarriere anstreben. Im Vorjahr, gegen Projektend­e, habilitier­te sie sich. Nach ihrer Dissertati­on hatte sie ihr Professor in Florenz gefragt, wie viele Kinder sie bekommen wolle. Drei war damals ihre Antwort. Heute haben sich die beiden, inzwischen acht und elf Jahre alten Mädchen, gut daran gewöhnt, immerhin zu zweit zu sein.

 ?? [ www.bigshot.at/Erich Hagspiel ] ?? Zwei Kinder als klassische­s Familienbi­ld? Auch gebildete Frauen wünschen es sich, realisiere­n es aber seltener.
[ www.bigshot.at/Erich Hagspiel ] Zwei Kinder als klassische­s Familienbi­ld? Auch gebildete Frauen wünschen es sich, realisiere­n es aber seltener.

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