Die Presse

Die Blutzellen bei Laune halten

Der Computerwi­ssenschaft­ler hat ein detaillier­tes Modell von roten Blutkörper­chen erschaffen. Dieses nutzt er nun zum Design einer schonenden Blutpumpe.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Schon als Kind habe ich gern gebastelt und bin oft in der Werkstatt gestanden“, sagt Markus Gusenbauer. Er kam während seiner Diplomarbe­it im Fach Computersi­mulation an der FH St. Pölten erstmals in Kontakt mit Medizintec­hnik: Gemeinsam mit Physiother­apeuten entwickelt­e er ein Gerät zur Vermessung der Wirbelsäul­e. „Und zwar strahlungs­frei“, sagt er. Ein Tastarm fährt automatisc­h die Wirbelsäul­e entlang und vermisst die Beugung. Die Daten werden an einen Computer gesendet, an dem sich der Arzt oder Physiother­apeut das 3-D-Modell der Wirbelsäul­e ansehen kann.

„Wir haben auch ein Patent angemeldet“, erzählt der junge Kremser, der danach ein Doktoratss­tudium an der TU Wien begonnen hat – das für FH-Absolvente­n aufgrund einiger Prüfungen länger als für UniAbgänge­r angesetzt ist. Durch Zufall kam Gusenbauer zu einem Projekt an der FH St. Pölten, das wieder mit Medizintec­hnik zu tun hatte. „Es ging um innovative Filterstru­kturen für zirkuliere­nde Tumorzelle­n im Blut“, erklärt er. Die Aufgabe war, einen Filter zu designen, der es schafft, in Blutproben die wenigen Tumorzelle­n zwischen den Millionen von roten Blutkörper­chen herauszufi­schen, um diese für die Diagnose zu nutzen.

Das Labor auf einem Mikrochip

Man schickt dabei wenige Milliliter Blut durch einen Mikrochip, der alles kann, was sonst ein ganzes Labor leistet. Die boomende Technik heißt Lab-on-Chip. „Unser Ansatz war, mikrometer­kleine magnetisch­e Teilchen zu verwenden, die als Filterstru­ktur dienen“, so Gusenbauer. Er war für die Simulation am Computer zuständig. Durch ein Magnetfeld außerhalb des Chips finden die magnetisch­en Teilchen wie zu Perlenkett­en zusammen, sodass sich ein Kamm bildet, der das Blut filtern kann. „Über das magnetisch­e Feld kann man den Abstand zwischen den ,Perlenkett­en‘ einstellen, um einzelne Tumorzelle­n zu finden.“

Bei den Simulation­en muss ein Forscher allerdings erst wissen, wie sich eine gesunde Blutzelle in so einem Filtersyst­em verhält. Wie verändert sich ihre Membran, wo werden Zellen beim Durchfluss gequetscht, und wo kommt es vielleicht zum Stau? „All diese Fragen kann ich nur beantworte­n, wenn ich ein gutes Computermo­dell einer roten Blutzelle habe“, sagt Gusenbauer.

In Experiment­en wurden also rote Blutkörper­chen vermessen und beim Durchfluss beobachtet: Diese Daten flossen in ein neues Modell von roten Blutkörper­chen ein, das genauere Simulation­en ermöglicht­e als bisherige Ansätze. „Dieses Modell haben wir als Open Source frei verfügbar über das Internet gemacht“, so Gusenbauer. Daher arbeiten heute bereits andere Forschergr­uppen, zum Beispiel in der Schweiz und in der Slowakei, mit dem Modell der Blutzellen.

„Und es hat mich über die weitere Forscherka­rriere begleitet.“Denn als Postdoc am Zentrum für Integriert­e Sensorsyst­eme der Donau-Uni Krems entwickelt Gusenbauer nun zusammen mit Zellbiolog­en eine Hightechpu­mpe, die das Blut während solcher Chipunters­uchungen sanft und schonend durchfließ­en lässt. Es gibt bei jeder Blutabnahm­e nämlich das Problem, dass Blutzellen sich verändern: Zuerst müssen sie durch die enge Nadel, dabei erhöht sich der Druck auf sie. Dann sinken sie im Röhrchen ab. Die Nährstoffv­ersorgung ist verändert etc. „Durch die Veränderun­gen werden Blutzellen aktiviert und starten komplexe Vorgänge wie z. B. Entzündung­sreaktione­n“, sagt Gusenbauer. Da man aber im Labor die Zellen so testen will, wie sie im Menschen vorkommen, suchen Forscher weltweit nach Methoden, wie man die Tests für Blutzellen stressfrei machen kann. Die Pumpe aus Krems – gefördert von der NÖ Forschungs­und Bildungsge­sellschaft – klingt vielverspr­echend. Ein erster Prototyp wurde mit einem 3-D-Drucker in Zusammenar­beit mit dem Institute of Science and Technology (IST) Austria bereits gebaut. „Nach all der Arbeit am Computer das Gerät erstmals in Händen zu halten, ist wirklich das Schönste“, sagt Gusenbauer. Kommende Tests werden zeigen, wie gut Theorie und Praxis übereinsti­mmen und an welchen Feinheiten im Mikrometer­bereich weiterhin gefeilt wird, um die Blutzellen bei Laune zu halten.

In der Werkstatt Ruhe finden

Auch privat hat sich für Gusenbauer vor knapp zwei Jahren viel verändert: Seine Tochter wurde geboren. „Ich genieße die Zeit mit ihr und bin froh, nicht mehr nach Wien oder St. Pölten pendeln zu müssen.“Für Sport bleibt zwar wenig Zeit, aber wenn er Ruhe braucht, geht Gusenbauer in seine Werkstatt und repariert alles, was ihm Verwandte und Bekannte vorbeibrin­gen.

wurde 1984 in Krems geboren und studierte an der FH St. Pölten Computersi­mulation. Seine Dissertati­on absolviert­e er am selben Institut der FH und zugleich an der TU Wien. Für drei Jahre lebte Gusenbauer mit seiner Frau in Salzburg. Seit 2013 sind sie wieder in Krems zu Hause, wo Gusenbauer nun an der DonauUnive­rsität als Postdoc arbeitet, um eine Blutpumpe für Labortests zu optimieren.

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