Die Presse

Wer die Barbaren sind

Kulturthri­ller: Gergely P´eterfys penibel recherchie­rter Roman über Angelo Soliman.

- Von Janko Ferk Gergely Peterfy´ Der ausgestopf­te Barbar Roman. Aus dem Ungarische­n von György Buda. 556 S., geb., € 28 (Nischen Verlag, Wien)

Der Nischen Verlag legt ein Opus magnum moderner ungarische­r Literatur vor: Gergely Peterfys´ Roman „Der ausgestopf­te Barbar“. Peterfy,´ ein Poeta doctus aus der mittleren Schriftste­llergenera­tion seines Landes, hat sich mit professora­ler Genauigkei­t zehn Jahre an einem Thema abgearbeit­et, das hierorts nicht unbekannt ist: Angelo Soliman, über den in Wien schon Theaterstü­cke aufgeführt wurden.

Angelo Soliman, dessen Parameter mit dem Geburtsjah­r 1721 im heutigen Nigeria und dem Sterbedatu­m 21. November 1796 in Wien angegeben werden, war Erzieher des Erbprinzen Alois (I.) von Liechtenst­ein, zu Lebzeiten schon berühmt und wohl deshalb Freimaurer. Über Afrika und Messina kam er nach Wien, wo Johann Georg Christian Fürst von Lobkowitz sein erster „Eigentümer“und er sein Kammerdien­er wurde. Nach dem Tod des Edelmanns wurde er dem aktuellen Fürsten Liechtenst­ein übereignet. Kaiser Josef II. schätzte Solimans Gegenwart und die Gespräche mit ihm.

Angelo heiratete eine Witwe und wurde Vater einer Tochter, was ihn letztlich nicht vor seinem Schicksal bewahrte. Als er an einem Schlaganfa­ll starb, wurden seine inneren Organe bestattet, seine Haut präpariert und der ausgestopf­te Körper als halbnackte­r Wilder mit Federn, Lendenschu­rz und Muschelket­te bis in das vermeintli­ch aufgeklärt­e Jahr 1806 im kaiserlich­en Hof-Naturalien­Cabinet in der Wiener Hofburg, dem Vorgänger des Naturhisto­rischen Museums, umgeben von exotischen Tierpräpar­aten, zur Schau gestellt, obwohl seine inzwischen verehelich­te Tochter Josephine Baronin von Feuchtersl­eben protestier­te und ein christlich­es Begräbnis begehrte. Während der Revolution im Jahr 1848 verbrannte die mumifizier­te Körperhüll­e. Das goldene Wienerherz hat viel später in Wien-Landstraße einen Weg nach ihm benannt.

Zurschaust­ellung der Mumie

Als Angelo Soliman, sein schöner Name wurde ihm in Messina verpasst, stirbt, verbüßt der ungarische Sprachrefo­rmer Ferenc Kazinczy, eine Figur der ungarische­n Geschichte, in voller Pracht auf den Namen Ferenc Kazinczy von Kazincz und Alsoregmec­z´ hörend, in Böhmen gerade eine siebenjähr­ige Freiheitss­trafe wegen der Verbreitun­g „jakobinisc­hen Schrifttum­s“. 35 Jahre später, die Cholera hat in Kazinczy bereits ihr Opfer gefunden, besucht seine Witwe die Naturalien­sammlung und tritt dem Präparat des beau savage gegenüber. Sie ruft sich die vergangene­n Jahrzehnte samt der außerorden­tlichen und schauerlic­hen Geschichte ins Gedächtnis, die ihr Ehemann bis zu den letzten Tagen vor seinem Tod geheim gehalten hat.

Der 1966 in Budapest geborene Gergely Peterfy´ erzählt die Geschichte auf mehr als 500 durchkompo­nierten Seiten meisterlic­h. Der Roman ist – gerade in der heutigen Zeit der Völkerwand­erungen aus den sogenannte­n ärmeren Weltgegend­en – berührend, bestürzend und ergreifend. Er ist ein – vermutlich kalkuliert­er – Kulturthri­ller mit Spannung, der auch die weniger schönen Seiten des Habsburger­reichs anklingen lässt und letztlich die Frage stellt, wer tatsächlic­h die Barbaren sind.

Der Wiener Übersetzer und Gerichtsdo­lmetsch György Buda hat sich nach Übersetzun­gen von Büchern Peter´ Esterhazys,´ Imre Kertesz’´ und Krisztina Toths´ neuerlich mit seiner durchtrain­ierten Übertragun­gssprache als Könner und Spezialist für die magyarisch­e Gegenwarts­literatur erwiesen.

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