Wer die Barbaren sind
Kulturthriller: Gergely P´eterfys penibel recherchierter Roman über Angelo Soliman.
Der Nischen Verlag legt ein Opus magnum moderner ungarischer Literatur vor: Gergely Peterfys´ Roman „Der ausgestopfte Barbar“. Peterfy,´ ein Poeta doctus aus der mittleren Schriftstellergeneration seines Landes, hat sich mit professoraler Genauigkeit zehn Jahre an einem Thema abgearbeitet, das hierorts nicht unbekannt ist: Angelo Soliman, über den in Wien schon Theaterstücke aufgeführt wurden.
Angelo Soliman, dessen Parameter mit dem Geburtsjahr 1721 im heutigen Nigeria und dem Sterbedatum 21. November 1796 in Wien angegeben werden, war Erzieher des Erbprinzen Alois (I.) von Liechtenstein, zu Lebzeiten schon berühmt und wohl deshalb Freimaurer. Über Afrika und Messina kam er nach Wien, wo Johann Georg Christian Fürst von Lobkowitz sein erster „Eigentümer“und er sein Kammerdiener wurde. Nach dem Tod des Edelmanns wurde er dem aktuellen Fürsten Liechtenstein übereignet. Kaiser Josef II. schätzte Solimans Gegenwart und die Gespräche mit ihm.
Angelo heiratete eine Witwe und wurde Vater einer Tochter, was ihn letztlich nicht vor seinem Schicksal bewahrte. Als er an einem Schlaganfall starb, wurden seine inneren Organe bestattet, seine Haut präpariert und der ausgestopfte Körper als halbnackter Wilder mit Federn, Lendenschurz und Muschelkette bis in das vermeintlich aufgeklärte Jahr 1806 im kaiserlichen Hof-NaturalienCabinet in der Wiener Hofburg, dem Vorgänger des Naturhistorischen Museums, umgeben von exotischen Tierpräparaten, zur Schau gestellt, obwohl seine inzwischen verehelichte Tochter Josephine Baronin von Feuchtersleben protestierte und ein christliches Begräbnis begehrte. Während der Revolution im Jahr 1848 verbrannte die mumifizierte Körperhülle. Das goldene Wienerherz hat viel später in Wien-Landstraße einen Weg nach ihm benannt.
Zurschaustellung der Mumie
Als Angelo Soliman, sein schöner Name wurde ihm in Messina verpasst, stirbt, verbüßt der ungarische Sprachreformer Ferenc Kazinczy, eine Figur der ungarischen Geschichte, in voller Pracht auf den Namen Ferenc Kazinczy von Kazincz und Alsoregmecz´ hörend, in Böhmen gerade eine siebenjährige Freiheitsstrafe wegen der Verbreitung „jakobinischen Schrifttums“. 35 Jahre später, die Cholera hat in Kazinczy bereits ihr Opfer gefunden, besucht seine Witwe die Naturaliensammlung und tritt dem Präparat des beau savage gegenüber. Sie ruft sich die vergangenen Jahrzehnte samt der außerordentlichen und schauerlichen Geschichte ins Gedächtnis, die ihr Ehemann bis zu den letzten Tagen vor seinem Tod geheim gehalten hat.
Der 1966 in Budapest geborene Gergely Peterfy´ erzählt die Geschichte auf mehr als 500 durchkomponierten Seiten meisterlich. Der Roman ist – gerade in der heutigen Zeit der Völkerwanderungen aus den sogenannten ärmeren Weltgegenden – berührend, bestürzend und ergreifend. Er ist ein – vermutlich kalkulierter – Kulturthriller mit Spannung, der auch die weniger schönen Seiten des Habsburgerreichs anklingen lässt und letztlich die Frage stellt, wer tatsächlich die Barbaren sind.
Der Wiener Übersetzer und Gerichtsdolmetsch György Buda hat sich nach Übersetzungen von Büchern Peter´ Esterhazys,´ Imre Kertesz’´ und Krisztina Toths´ neuerlich mit seiner durchtrainierten Übertragungssprache als Könner und Spezialist für die magyarische Gegenwartsliteratur erwiesen.