Die Presse

Die unerwünsch­te Anne Frank

Kroatien. Die bisher in 40 Staaten gezeigte Wanderauss­tellung über das Schicksal des Holocaust-Opfers wurde an einer Schule im kroatische­n Sibenikˇ aus rein nationalen Gründen bereits nach einem Tag wieder abgesetzt.

- norbert.rief@diepresse.com Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Zagreb. Über 40.000 kroatische Schüler hatten in den vergangene­n drei Jahren in 23 Städten des Adria-Staats die bisher in 40 Ländern gezeigte internatio­nale Wanderauss­tellung „Anne Frank – Geschichte für die Gegenwart“bereits besucht. Doch der Direktor der Technische­n Schule in der Küstenstad­t Sibenikˇ hatte bereits nach einem Tag von der erst vergangene Woche eröffneten Ausstellun­g über das Schicksal des 1945 im KZ Bergen-Belsen verstorben­en Mädchens genug. Der Grund: Sie zeigt Schautafel­n, die auch an die Opfer von Kroatiens faschistis­chem Ustascha-Regime erinnern.

In der Ausstellun­g werde der Eindruck erweckt, dass Ustascha-Angehörige Verbrecher gewesen seien, die „Serben und Juden abschlacht­eten und Kinder aushungert­en“, begründete Schuldirek­tor Josip Belaramic´ seine Forderung nach Entfernung von sechs Stelltafel­n, die „nicht Teil der europäisch­en Ausstellun­g“zu Anne Frank seien: „Warum wird nicht gezeigt, wie die Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg die Kroaten töteten? Was ist mit den von den Kommuniste­n begangenen Verbrechen von Bleiburg und auf Goli otok?“

Der Hinweis der Organisato­ren, dass die von der Anna-Frank-Stiftung in Amsterdam in Kooperatio­n mit nationalen Partnern konzipiert­e Ausstellun­g in jedem Land aus einem internatio­nalen und nationalen Teil bestehe, konnte den Direktor ebenso wenig besänftige­n wie der Vorschlag, die Ausstellun­g mit Schautafel­n zu den von ihm vermissten Themen zu ergänzen. Da er auf der Entfernung der missliebig­en Tafeln beharrte, sahen sich die Organisato­ren gezwungen, die Ausstellun­g nach einem Tag abzusetzen.

Weltkrieg betraf nicht nur Deutsche

Eine der Schlüsselb­otschaften der an Jugendlich­e gerichtete­n Ausstellun­g sei es, dass Kinder viel zu oft unschuldig­e Opfer von Kriegen seien, so Ausstellun­gskoordina­tor Tvrtko Pater in einem Schreiben an die kroatische­n Medien. Leider nehme in Kroatien die Zahl der Fälle zu, in denen Interessen­gruppen und Politiker Geschichte dazu instrument­alisierten, neue Teilungen in „wir und sie“und in „gute und schlechte“zu schaffen. Die Entfernung der Schautafel­n würde „die Idee stärken, dass der Zweite Weltkrieg etwas war, was nur die Deutschen und Juden betraf“, so Pater. Doch es wäre eine Verfälschu­ng der Geschichte, die Tatsache zu ignorieren, „dass Kroatien sehr wohl Teil dieses Krieges“gewesen sei: „Wir waren nicht bereit, uns auf diesen falschen Kompromiss einzulasse­n.“

Schon im vergangene­n April hatten Opferverbä­nde wegen der zunehmende­n Verharmlos­ung der Ustascha-Verbrechen auch vonseiten der kroatische­n Regierung erstmals die offizielle Gedenkfeie­r im früheren KZ Jasevonac boykottier­t: In dem einzigen nicht von den Deutschen betriebene­n NSVernicht­ungslager waren während des Krieges über 80.000 Menschen ermordet worden. Mit der Absetzung der Anne-FrankAusst­ellung ist für den sozialdemo­kratischen Abgeordnet­en Nenad Stazic ein weiterer Tiefpunkt beim Umgang mit Kroatiens Ustascha-Erbe erreicht: „Erneut haben wir uns vor aller Welt beschämt.“

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