Die Presse

„Investiert wird nur noch, wo es massive Förderunge­n gibt“

Interview. Die Stromverso­rgung des Landes sei schon sicherer gewesen, warnt Energie-AG-Chef Windtner. Die Politik verdränge das Problem.

- VON MATTHIAS AUER

Die Presse: Sie gehen nach fast vier Jahrzehnte­n in der Energiebra­nche in Pension. Ist unser Stromsyste­m heute besser und sicherer als damals? Leo Windtner: Die Branche hat sich komplett verändert. Aus Tarifen wurden Preise, aus Abnehmern Kunden und bald „Prosumer“– eine Mischung aus Kunden und Produzente­n. Die Versorgung ist zwar noch sicher, aber es ist erkennbar, dass sich mehr und mehr Unsicherhe­itsfaktore­n im System ausbreiten. Im ersten Boom der Energiewen­de und blindwütig­en Förderpoli­tik wurde nicht selektiv genug vorgegange­n. Man wollte mit allen Mitteln entspreche­nde Kapazitäte­n schaffen. Jetzt haben wir keine zentrale Versorgung mehr, sondern eine starke Dezentrali­sierung, die die Netze vor gewaltige Herausford­erungen stellt.

Beunruhigt Sie das? Mit der Versorgung­ssicherhei­t ist es wie mit der Gesundheit. Erst, wenn sie nicht mehr da ist, spürt man, wie sehr sie fehlt. Ich kann nur an die Politik appelliere­n, nicht nur jeden Monat darüber zu berichten, wie sich Kunden ein paar Euro ersparen können, sondern sich auch darum zu kümmern, dass die Versorgung sicher bleibt. Das brauchen die Menschen und der Standort.

Gleichzeit­ig macht der politische Wunsch nach mehr Ökostroman­lagen genau das schwierige­r. Je mehr Menschen Solaranlag­en kaufen, um sich selbst zu versorgen, desto weniger bleiben übrig, um das Netz zu finanziere­n. Wie lässt sich das lösen? Das ist die Grundsatzf­rage: Wer wird die höheren Kosten der Dezentrali­sierung tragen? Der Netzbetrei­ber kann es nicht sein. Diese Kosten wird man jenen zuordnen müssen, die sie verursache­n. Schließlic­h profitiere­n sie auch von der Versorgung­ssicherhei­t, die die konvention­ellen Kraftwerke bereitstel­len.

Das heißt im Klartext: Wer sich heute eine Solaranlag­e auf das Dach schraubt, muss damit rechnen, morgen deutlich höhere Netzgebühr­en zu bezahlen. Ja, weil die Autarkie in dieser Form letztlich eine Fiktion ist.

Der Bundeskanz­ler hat vergangene Woche erklärt, Österreich solle sich im Jahr 2030 komplett mit Ökostrom selbstvers­orgen. Was halten Sie davon? Ich kann den Ansatz nachvollzi­ehen, und wir werden alles tun, um das zu erreichen. Wesentlich ist aber, dass der Bundeskanz­ler nicht nur über schöne Ziele redet, sondern auch Rahmenbedi­ngungen und Planungssi­cherheit schafft, damit die Unternehme­n wieder investiere­n können.

Im Moment fehlt diese Planungssi­cherheit. Neue Kraftwerke werden kaum gebaut, weil sie sich nicht rechnen. So ist es in der Tat. Investiert wird nur da, wo massiv gefördert wird. Auch die konvention­ellen Unternehme­n der Branche weichen dahin aus. Es ist deshalb unumgängli­ch, dass sich geförderte Energieträ­ger bald unter Marktbedin­gungen bewähren müssen. Sonst ist die Liberalisi­erung ad absurdum geführt.

Ist sie das noch nicht? Ohne Hilfe des Staats wird kein neues Kraftwerk gebaut, in der EU entstehen wieder künstliche Grenzen, und das Netz bleibt nur stabil, weil staatliche Netzbetrei­ber massiv Leistung zukaufen . . . Die Liberalisi­erung ist tatsächlic­h zum Großteil ad absurdum geführt. Wenn wir uns ansehen, wie viele Netzbetrei­ber Kraftwerks­kapazitäte­n zukaufen müssen, ist der Kernpunkt der Liberalisi­erung damit brutal verwischt. Ganz abgesehen davon, dass man ständig Deregulier­ung versproche­n hat, ist oft genau das Gegenteil passiert. Bestes Beispiel dafür ist das Energieeff­izienzgese­tz.

Das Gesetz zwingt Energiever­sorger, für ihre Kunden Energie zu sparen. Hier wünscht der Kanzler eine Verschärfu­ng, weil die Wirkung der gesetzten Maßnahmen bisher kaum nachprüfba­r seien. Ich halte es für eine gefährlich­e Drohung, wenn hier in den Raum gestellt wird, dass jede einzelne Maßnahme, die wir setzen, mit einem Gutachten zu belegen ist. Das Energieeff­izienzgese­tz bringt hohen bürokratis­chen Aufwand. Man muss alles tun, um eine weitere Verschärfu­ng zu verhindern. Es wäre heller Wahnsinn, was hier auf die Branche zukommen würde. Unnötig wäre es noch dazu.

Die Branche ist seit Jahren auf Sparkurs. Sie haben auch bessere Zeiten in der E-Wirtschaft erlebt. Kommen diese je zurück? Der Energiemar­kt wird noch lang klamm bleiben. Und auch der Strompreis wird sich in den nächsten Jahren nicht erholen. Darum müssen sich unsere Geschäftsm­odelle ändern. Niemand wird davon leben können, nur Strom zu liefern. Wir müssen in ganz andere Bereiche vordringen: Infrastruk­tur, Ladestatio­nen, Smart-Homes. All das wäre vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen.

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[ Clemens Fabry ] „Die Liberalisi­erung des Strommarkt­s ist Großteils ad absurdum geführt“, sagt der scheidende Vorstandsc­hef der Energie AG, Leo Windtner.

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