Geschworene: „Totgesagte leben länger“
„Rechtspanorama am Juridicum“. Dass gerade in den schwersten Fällen Urteile ohne Begründung gesprochen werden, wird von Experten kritisiert. Doch bei der Frage, wie eine Reform aussehen soll, gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen.
Wien. Es sind die heikelsten Angelegenheiten, die vor Geschworenen verhandelt werden: etwa Mord oder politische Delikte. Doch gerade in diesen Fällen muss das Urteil nicht begründet werden, denn die juristisch unkundigen Geschworenen entscheiden nur auf schuldig oder unschuldig.
Ein Problem, wie viele meinen. Und ein ungelöstes. Dabei habe man schon in der vorigen Legislaturperiode unter Ministerin Claudia Bandion-Ortner von Experten neue Pläne erarbeiten lassen, erklärte Christian Pilnacek, Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium. „Doch die Reaktion der Politik war Schweigen“, konstatierte der Jurist. Die Mehrheit der Experten war damals für ein Gremium aus sechs Geschworenen und zwei Berufsrichtern, die gemeinsam über Schuld und Unschuld entscheiden und das Urteil begründen. Die Überlegungen von damals lege Justizminister Wolfgang Brandstetter auch der jetzigen Diskussion zugrunde, sagte Pilnacek.
Die SPÖ-Seite aber will ein anderes Modell, wie deren Justizsprecher Hannes Jarolim klarmachte. Demnach sollen Geschworene weiterhin ganz allein über die Schuld entscheiden. Um aber eine Begründung möglich zu machen, soll eine juristisch kundige Person den Geschworenen beigestellt werden, die deren Entscheidung sodann in eine rechtliche Begründung gießt. Das könnte etwa ein Richter sein, der beim Verfahren zuvor nur zusieht. Oder, noch besser, ein Notar oder Rechtsprofessor, meinte Jarolim. Der Jurist solle die Geschworenen nicht beeinflussen, sondern eben nur deren Begründung verschriftlichen. Denn „Entscheidungen mit einem wesentlichen Ausmaß für die Betroffenen sollten nicht weiter ohne Begründung sein“, meinte Jarolim.
Wie dominant ist der Richter?
„Wir sind für die Beibehaltung“, erklärte Elisabeth Rech, Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien, zur Geschworenengerichtsbarkeit. „Nicht auf Strich und Komma, aber im Wesentlichen.“Und „jeder, der verurteilt wird, will auch wissen, warum“, betonte sie. Aber das Gute an Geschworenenprozessen sei, dass dort Prozesse in einer Sprache aufbereitet werden, die auch Laien nachvollziehen können. Und dass der Richter sich zurücknehmen müsse bzw. sollte. Was nicht immer passiere: So habe sie den Geschworenenprozess um die Grazer Amokfahrt im Liveticker mitgelesen. „Und ich habe nicht lang gebraucht, um zu wissen, was der Richter will. Das soll nicht sein“, kritisierte Rech.
„Ich verwahre mich dagegen, dass der Eindruck entsteht, dass Berufsrichter sich auf irgendeine Seite schlagen. Der Berufsrichter ist zur Objektivität verpflichtet“, wandte Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, ein. Ebenso wenig hält er von Jarolims Idee, dass ein Notar oder ein Professor mit den Geschworenen eine Begründung erarbeitet. „Was macht das besser? Hat man da nicht auch Angst, dass ein Notar dominant sein kann, weil er Jurist ist?“, fragte Forsthuber. Er will, dass Berufsrichter und Geschworene gemeinsam mit Laienrichtern über die Verschuldensfra- ge entscheiden und eine Begründung abgeben. Eine Begründung sei für den Angeklagten auch dann wichtig, wenn er das Urteil anfechten wolle.
Erklärung vom Staat verlangt
„Wir verlangen zu Recht von einem Staat Erklärungen dafür, was er tut“, sagte Susanne Reindl-Krauskopf, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien. Sie sprach sich damit ebenfalls für eine Begründung der Geschworenenurteile aus. „Aber ob man das im bestehenden System der Geschworenen hinbekommt, bezweifle ich“, sagte sie. Ja, es gebe Rechtssysteme, in denen jemand den Geschworenen zuhört und eine Begründung entwirft. „Aber dann hat man auch nur einen interpretativen Akt“, warnte sie.
Reindl-Krauskopf sprach auch das Problem an, dass es schwierig sei, geeignete Geschworene zu finden. „Das beginnt bei ausreichendem Hörvermögen oder Sprachkenntnissen.“Und viele, die gute Geschworene wären, würden absagen, wenn sie nur irgendwie könnten. Reindl-Krauskopf regte eine Imagekampagne an, damit Bürgern bewusst werde, dass es eine Ehre sei, Geschworener zu sein.
Je länger die Diskussion dauerte, desto deutlicher zeigte sich, wie schwer es würde, eine gemeinsame Linie für eine Reform zu finden. „Dass man das Geschworenengericht behält und eine rechtsförmige Begründung ermöglicht, ist nicht utopisch“, appellierte Jarolim. Und an der Frage, wer die Geschworenen bei der Begründung unterstütze, solle die Reform jedenfalls nicht scheitern.
Forsthuber meinte hingegen, dass das Geschworenenverfahren einen Anachronismus darstelle. 1848 seien Geschworenengerichte als Volksbeteiligung sinnvoll gewesen, nur damals seien die Richter im Gegensatz zu heute noch nicht vom Herrscher unabhängig gewesen. Und „Rechtsstaat bedeutet nicht nur, dass das richtig ist, was das Volk meint.“Man brauche aber eine Begründung für Urteile.
Anwältin Rech kritisierte jedoch genau jene Ideen, die vorsehen, dass Geschworene und Richter gemeinsam entscheiden, als Etikettenschwindel. „In dem Moment, in dem man den Geschworenen jemanden dazusetzt, sind es keine Geschworenen mehr. Wenn jemand mitberät oder mitentscheidet, dann kann er beeinflussen. Dann ist es nur noch ein großer Schöffensenat.“Sie möchte ein Geschworenengericht mit Begründung, „wenn jemand die großartige Idee hat, wie man das macht“. Aber bevor man die Geschworenengerichtsbarkeit abschaffe, solle man lieber beim Status quo bleiben.
Einigung nicht in Sicht
Ministeriumsvertreter Pilnacek erklärte, dass eine Reform nur sinnvoll sei, wenn sie auf „breiten Beinen steht und zu einem besseren Verfahren als bisher führt“. Der im Publikum anwesende Kurt Stürzenbecher, SPÖ-Klubsekretär für Justiz im Nationalrat, erteilte dem vom Ministerium präferierten Modell mit sechs Geschworenen plus zwei Richtern eine klare Absage: „Das kommt nicht.“Professorin ReindlKrauskopf prophezeite, dass es so schnell keine große Reform der Geschworenengerichtsbarkeit geben würde: „Es wird sich nicht viel ändern. Totgesagte leben länger.“