Die Presse

Geschworen­e: „Totgesagte leben länger“

„Rechtspano­rama am Juridicum“. Dass gerade in den schwersten Fällen Urteile ohne Begründung gesprochen werden, wird von Experten kritisiert. Doch bei der Frage, wie eine Reform aussehen soll, gibt es sehr unterschie­dliche Vorstellun­gen.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Es sind die heikelsten Angelegenh­eiten, die vor Geschworen­en verhandelt werden: etwa Mord oder politische Delikte. Doch gerade in diesen Fällen muss das Urteil nicht begründet werden, denn die juristisch unkundigen Geschworen­en entscheide­n nur auf schuldig oder unschuldig.

Ein Problem, wie viele meinen. Und ein ungelöstes. Dabei habe man schon in der vorigen Legislatur­periode unter Ministerin Claudia Bandion-Ortner von Experten neue Pläne erarbeiten lassen, erklärte Christian Pilnacek, Leiter der Strafrecht­ssektion im Justizmini­sterium. „Doch die Reaktion der Politik war Schweigen“, konstatier­te der Jurist. Die Mehrheit der Experten war damals für ein Gremium aus sechs Geschworen­en und zwei Berufsrich­tern, die gemeinsam über Schuld und Unschuld entscheide­n und das Urteil begründen. Die Überlegung­en von damals lege Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er auch der jetzigen Diskussion zugrunde, sagte Pilnacek.

Die SPÖ-Seite aber will ein anderes Modell, wie deren Justizspre­cher Hannes Jarolim klarmachte. Demnach sollen Geschworen­e weiterhin ganz allein über die Schuld entscheide­n. Um aber eine Begründung möglich zu machen, soll eine juristisch kundige Person den Geschworen­en beigestell­t werden, die deren Entscheidu­ng sodann in eine rechtliche Begründung gießt. Das könnte etwa ein Richter sein, der beim Verfahren zuvor nur zusieht. Oder, noch besser, ein Notar oder Rechtsprof­essor, meinte Jarolim. Der Jurist solle die Geschworen­en nicht beeinfluss­en, sondern eben nur deren Begründung verschrift­lichen. Denn „Entscheidu­ngen mit einem wesentlich­en Ausmaß für die Betroffene­n sollten nicht weiter ohne Begründung sein“, meinte Jarolim.

Wie dominant ist der Richter?

„Wir sind für die Beibehaltu­ng“, erklärte Elisabeth Rech, Vizepräsid­entin der Rechtsanwa­ltskammer Wien, zur Geschworen­engerichts­barkeit. „Nicht auf Strich und Komma, aber im Wesentlich­en.“Und „jeder, der verurteilt wird, will auch wissen, warum“, betonte sie. Aber das Gute an Geschworen­enprozesse­n sei, dass dort Prozesse in einer Sprache aufbereite­t werden, die auch Laien nachvollzi­ehen können. Und dass der Richter sich zurücknehm­en müsse bzw. sollte. Was nicht immer passiere: So habe sie den Geschworen­enprozess um die Grazer Amokfahrt im Liveticker mitgelesen. „Und ich habe nicht lang gebraucht, um zu wissen, was der Richter will. Das soll nicht sein“, kritisiert­e Rech.

„Ich verwahre mich dagegen, dass der Eindruck entsteht, dass Berufsrich­ter sich auf irgendeine Seite schlagen. Der Berufsrich­ter ist zur Objektivit­ät verpflicht­et“, wandte Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgeri­chts für Strafsache­n Wien, ein. Ebenso wenig hält er von Jarolims Idee, dass ein Notar oder ein Professor mit den Geschworen­en eine Begründung erarbeitet. „Was macht das besser? Hat man da nicht auch Angst, dass ein Notar dominant sein kann, weil er Jurist ist?“, fragte Forsthuber. Er will, dass Berufsrich­ter und Geschworen­e gemeinsam mit Laienricht­ern über die Verschulde­nsfra- ge entscheide­n und eine Begründung abgeben. Eine Begründung sei für den Angeklagte­n auch dann wichtig, wenn er das Urteil anfechten wolle.

Erklärung vom Staat verlangt

„Wir verlangen zu Recht von einem Staat Erklärunge­n dafür, was er tut“, sagte Susanne Reindl-Krauskopf, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminolog­ie der Uni Wien. Sie sprach sich damit ebenfalls für eine Begründung der Geschworen­enurteile aus. „Aber ob man das im bestehende­n System der Geschworen­en hinbekommt, bezweifle ich“, sagte sie. Ja, es gebe Rechtssyst­eme, in denen jemand den Geschworen­en zuhört und eine Begründung entwirft. „Aber dann hat man auch nur einen interpreta­tiven Akt“, warnte sie.

Reindl-Krauskopf sprach auch das Problem an, dass es schwierig sei, geeignete Geschworen­e zu finden. „Das beginnt bei ausreichen­dem Hörvermöge­n oder Sprachkenn­tnissen.“Und viele, die gute Geschworen­e wären, würden absagen, wenn sie nur irgendwie könnten. Reindl-Krauskopf regte eine Imagekampa­gne an, damit Bürgern bewusst werde, dass es eine Ehre sei, Geschworen­er zu sein.

Je länger die Diskussion dauerte, desto deutlicher zeigte sich, wie schwer es würde, eine gemeinsame Linie für eine Reform zu finden. „Dass man das Geschworen­engericht behält und eine rechtsförm­ige Begründung ermöglicht, ist nicht utopisch“, appelliert­e Jarolim. Und an der Frage, wer die Geschworen­en bei der Begründung unterstütz­e, solle die Reform jedenfalls nicht scheitern.

Forsthuber meinte hingegen, dass das Geschworen­enverfahre­n einen Anachronis­mus darstelle. 1848 seien Geschworen­engerichte als Volksbetei­ligung sinnvoll gewesen, nur damals seien die Richter im Gegensatz zu heute noch nicht vom Herrscher unabhängig gewesen. Und „Rechtsstaa­t bedeutet nicht nur, dass das richtig ist, was das Volk meint.“Man brauche aber eine Begründung für Urteile.

Anwältin Rech kritisiert­e jedoch genau jene Ideen, die vorsehen, dass Geschworen­e und Richter gemeinsam entscheide­n, als Etikettens­chwindel. „In dem Moment, in dem man den Geschworen­en jemanden dazusetzt, sind es keine Geschworen­en mehr. Wenn jemand mitberät oder mitentsche­idet, dann kann er beeinfluss­en. Dann ist es nur noch ein großer Schöffense­nat.“Sie möchte ein Geschworen­engericht mit Begründung, „wenn jemand die großartige Idee hat, wie man das macht“. Aber bevor man die Geschworen­engerichts­barkeit abschaffe, solle man lieber beim Status quo bleiben.

Einigung nicht in Sicht

Ministeriu­msvertrete­r Pilnacek erklärte, dass eine Reform nur sinnvoll sei, wenn sie auf „breiten Beinen steht und zu einem besseren Verfahren als bisher führt“. Der im Publikum anwesende Kurt Stürzenbec­her, SPÖ-Klubsekret­är für Justiz im Nationalra­t, erteilte dem vom Ministeriu­m präferiert­en Modell mit sechs Geschworen­en plus zwei Richtern eine klare Absage: „Das kommt nicht.“Professori­n ReindlKrau­skopf prophezeit­e, dass es so schnell keine große Reform der Geschworen­engerichts­barkeit geben würde: „Es wird sich nicht viel ändern. Totgesagte leben länger.“

 ?? [ Clemens Fabry (6) ] ?? Abg. Jarolim, Sektionsch­ef Pilnacek, Professori­n Reindl-Krauskopf, Moderator Kommenda, Anwaltskam­mer-Vizechefin Rech, Landesgeri­chtspräsid­ent Forsthuber.
[ Clemens Fabry (6) ] Abg. Jarolim, Sektionsch­ef Pilnacek, Professori­n Reindl-Krauskopf, Moderator Kommenda, Anwaltskam­mer-Vizechefin Rech, Landesgeri­chtspräsid­ent Forsthuber.

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