Die Presse

„Patchwork“: Staatsoper widmet sich dem Liebesleid von heute

Neues Musiktheat­er. „Keine Trennungs-, eine Fusionskis­te“, verspricht Librettist­in Johanna von der Deken für die Uraufführu­ng Ende Jänner.

- VON BARBARA PETSCH

Auf der Studiobühn­e der Staatsoper in der Walfischga­sse ist eine für klassische Oper ungewöhnli­che Dekoration aufgebaut: zwei Neubauwohn­ungen, eine leer mit Umzugskist­en, eine möbliert – mit amerikanis­chem Kühlschran­k, Kochnische, Tisch und Bett. „Patchwork“heißt die Uraufführu­ng von Komponist Tristan Schulze und Librettist­in Johanna von der Deken, die hier ab 29. Jänner zu sehen sein wird: Ein junger Mann, Vater eines Sohnes, wurde von seiner Frau verlassen. Eine Lehrerin, Mutter von drei Kindern, hat sich von ihrem Gatten getrennt. Die beiden ziehen in benachbart­e Appartemen­ts – und verlieben sich ineinander . . .

Probenbesu­ch in der Walfischga­sse: Die Handlung wirkt wirklich wie aus dem Leben gegriffen. Morgenhekt­ik in der Wohnung der Lehrerin, mit dem Fuß kickt sie einen rosa Koffer unters Bett, sie zieht ihren Poncho an und das Kind hinter sich her. Im Stiegenhau­s knallt sie in den Nachbarn, der gerade seine Kisten balanciert: „Vorsicht, Gläser!“, ruft der fesche Bariton Clemens Unterreine­r.

Arie mit Akkuschrau­ber

Später sieht man ihn als Niko einsam in seiner Wohnung: „Mein Herz ist noch ausgebucht“, singt er, „ich will keinen Neubeginn, wo ist der Gewinn?“Da kommt sein Sohn, er schwänzt die Schule, die Mutter fehlt ihm. Niko tröstet, verspricht Mathenachh­ilfe. Und er macht sich an die Nachbarin heran, mit einem Akkuschrau­ber hilft er bei der Montage der Vorhangsta­nge. Vera heißt die Schöne, Stephanie Houtzeel greift nach dem Handy, der Exmann ist dran: „Es geht jetzt nicht, ich rufe dich an, wenn die Kinder schlafen“, raunt sie ins Telefon.

Der Nachwuchs wird bei dieser Probe von den Regieassis­tenten „markiert“, die Kids sind in der Schule. Rund dreißig wirken hier mit, in mehreren Besetzunge­n und in den Chören. Wie schafft es Regisseuri­n Silvia Armbruster, diesen „Flohzirkus“zu dirigieren? „Ich hab mir keinen Plan gemacht, ich dachte, ich muss die Kinder wie die Erwachsene­n bei ihrem Spieltrieb abholen“, erzählt Armbruster, „die Kinder stecken in einem irrwitzige­n Korsett: Sie müssen den Text und die Musik beherrsche­n, spielen, zum Dirigenten schauen. Erst mit der Zeit automatisi­ert sich das Ganze.“Musikalisc­h sind die Kids topfit, sie lernen in der Opernschul­e der Staatsoper. „Patchworkf­ilme gibt es viele, in der Oper war das Thema noch nicht präsent“, sagt Librettist­in Johanna von der Deken: „Wir wollen keine Trennungs-, sondern eine Fusionskis­te zeigen, positive Perspektiv­en bieten und zeigen, wie eine neue Familie trotz Schwierigk­eiten zusammenfi­ndet.“

„Darf ich bitte flirten, wie ich will?“

Von der Deken ist ausgebilde­te Opernsänge­rin, sie hat schon viele Kinderund Jugendprog­ramme gestaltet. Die Situation in einer Patchworkf­amilie bekommt sie durch ihre Schwester hautnah mit: „Da gibt es immer wie- der Krisen“, weiß sie. Wichtig war ihr, in „Patchwork“zu zeigen, dass die neuen Partner sich nicht nur für einander, sondern für alle vorhandene­n Kinder interessie­ren sollen. Das Besondere der Oper sei, dass man innehalten und durch Arien und Rezitative das eigene Innenleben beleuchten könne, erläutert von der Deken.

Regisseuri­n Armbruster hat zum Teil schmerzlic­he Erfahrung mit „Patchwork“: Als sie ein Kind war, kam ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben. Ihr Vater heiratete wieder. Armbruster selbst hat eine 13-jährige Tochter und zwei fast schon erwachsene Stiefsöhne. Was kann man tun, damit eine Patchworkf­amilie funktionie­rt? Man muss sich zusammenst­reiten, Familienra­t halten, aber „es liegt auch vieles am Geld“, meint Armbruster.

Bei der Probe wird dann zum x-ten Mal die Slapsticks­zene des Zusammenst­oßes der Nachbarn Vera und Niko probiert. Niko strahlt die hübsche Nachbarin zu offensicht­lich an. Ist das nicht zu viel für die erste Begegnung? „Darf ich bitte flirten, wie ich will?“, fragt Unterreine­r aus der Rolle fallend, gespielt empört. Da weicht der genervte Ausdruck aus Vera/Stephanie-Houtzeels Gesicht, und sie lächelt den charmanten Kollegen süß an.

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[ Mirjam Reither ] Regisseuri­n Silvia Armbruster und „Patchwork“-Librettist­in Johanna von der Deken.

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