Wenders: „3-D ist eine zärtliche Technologie“
Interview. Regisseur Wim Wenders hat Peter Handkes „Die schönen Tage von Aranjuez“verfilmt. Im Interview spricht er über seine Freundschaft zu Handke, den logischen Auftritt von Nick Cave im Film und über die Verpixelung der Welt.
Die Presse: „Die schönen Tage von Aranjuez“ist die Verfilmung eines Stücks von Peter Handke. Sie sind mit ihm befreundet, haben mehrfach zusammengearbeitet. Wie hat sich die Beziehung entwickelt? Wim Wenders: Unser Arbeitsverhältnis war schon immer sporadisch, aber enorm wichtig – besonders am Anfang. Peter hat mich auf Schiene gesetzt. Meinen ersten KurzfilmAuftrag bekam ich 1969 auf seinen Vorschlag hin. Später bot er mir die Adaption seines Bestsellers „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“an, weshalb ich mit 25 Jahren als Erster aus meiner Filmschulklasse ein längeres Projekt abschließen konnte. Peter hat das Drehbuch zu „Falsche Bewegung“geschrieben und mir bei der Ausarbeitung von „Der Himmel über Berlin“geholfen. Und ich konnte ich ihn bei seiner – viel zu unbekannten – Regietätigkeit unterstützen.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus? Handke gilt als sehr zurückgezogen. Im Internet hat Peter nichts verloren, am Telefon spricht er nicht viel. Aber er ist ein großer Briefeschreiber, und das „Aranjuez“Manuskript hat er mir kurz nach dessen Fertigstellung per Post geschickt. Natürlich haben wir uns danach ein paar Mal getroffen, um uns über die Verfilmung auszutauschen. Bei Drehbuch und Schnitt hat er sich aber rausgehalten und gesagt: Das musst du selber machen, du kannst das Stück auch kürzen, wie du es für richtig hältst.
Auf den ersten Blick scheint sich „Aranjuez“als abstrakter Zwei-Personen-Liebesdialog nicht für die Leinwand anzudienen. Peter hat es als Theaterstück konzipiert, aber das können andere Leute besser als ich. 2012 gab es eine Inszenierung von Luc Bondy bei den Wiener Festwochen, die ich bewusst ausgelassen habe, um mich nicht beeinflussen zu lassen. Ich habe mir die „Schönen Tage“immer als Film vorgestellt, mit einem realen Garten als Schauplatz.
Handke hat das Stück auf Französisch verfasst, dann ins Deutsche übersetzt. Waren Sie sich als Kosmopolit je im Unklaren, in welcher Sprache Sie drehen würden? Im Vergleich zur deutschen Fassung schien mir der französische Ursprungstext immer leichter, eleganter und intuitiver. Mit Peters Übersetzung hat das nichts zu tun, die deutsche Grammatik ist einfach männlicher und zerebraler. Insofern tendiert dann auch die Denke mehr zum männlichen Part. Ich habe mich sehr gefreut, auf Französisch drehen zu dürfen, von meiner Zeit in Paris her kenne ich die Sprache gut. Natürlich gibt es auch eine sorgfältige Synchronfassung, aber mein Herz liegt beim Original.
„La femme“wird von Handkes Frau, Sophie Semin, gespielt. War das sein Wunsch? Das Stück wurde für Sophie geschrieben, das ist im Text markiert. Peter hat mir versichert, dass ich mich nicht daran gebunden fühlen muss, aber für mich war sie die Idealbesetzung – ich konnte ja schon in „Jenseits der Wolken“mit ihr drehen. Bei der männlichen Rolle habe ich länger gesucht und schließlich mit Reda Kateb den Richtigen gefunden. Er hat das ganze Stück auswendig gelernt, konnte jederzeit einsteigen, keine Selbstverständlichkeit für einen Filmschauspieler. Bei der aberwitzig kurzen Drehzeit von zehn Tagen war das sehr hilfreich. „Aranjuez“hatte 2016 in Venedig Premiere. 1982 haben Sie dort mit „Der Stand der Dinge“den Goldenen Löwen gewonnen – was verbinden Sie mit dem Festival? Ich bin damals nach der Inszenierung eines Theaterstücks in Salzburg mit dem Rucksack über die Alpen in zweieinhalb Wochen zu Fuß nach Venedig gewandert. Im Excelsior wollte man meine staubige Erscheinung erst nicht reinlassen – zum Glück war im Rucksack auch ein dunkler Anzug. Als ich eine Woche später wieder auscheckte, habe ich dem Türsteher ganz freundlich meine Trophäe gezeigt, und wir konnten beide darüber lachen. Inzwischen kennt er mich.
In der von Ihnen angefügten Rahmenhandlung des Films holt sich ein namenloser Schriftsteller immer wieder Inspira- tion aus einer Jukebox. Sie spielt Nick Caves „Into Your Arms“– und plötzlich steht der Sänger selbst im Raum. Dass Nick Cave vorkommen muss, war von Anfang an klar. „Into Your Arms“ist eines meiner Lieblingsliebeslieder der Rockgeschichte, und es passt mit seinem Text hervorragend zu den Motiven des Stücks. Beim Schneiden ist mir klar geworden, dass die Jukebox eine Art griechischer Chor ist, aber auch ein Projektionsapparat. Warum sollte der Musiker also nicht auftauchen?
„Aranjuez“ist schon Ihr viertes 3-D-Werk. Was fasziniert Sie an der Stereoskopie? Ich glaube, mit diesem Film konnte ich meine These, dass 3-D eine zärtliche Technologie ist, endlich beweisen. Aber ich bin bestimmt noch nicht fertig damit – obwohl sich abzeichnet, dass sie den Bach runtergeht. Die Kinos wollen 3-D nicht mehr, nur noch wenige rüsten sich neu dafür um. Auch die Fernsehanstalten haben sich ausgeklinkt. Das hat vielen Produzenten die Laune verdorben, für ernsthafte Stoffe kommt die Technik kaum noch in Frage. Der Großteil des Contents, der dafür produziert wird, ist schwachsinnig. Die Kinoindustrie hat es zu einer Kinderattraktion verkommen lassen.
Das Ende des Films mutet apokalyptisch an: Der Himmel wird dunkel, man hört „The World Is On Fire“von Gus Black, der Schriftsteller weint. Die Fürchterlichkeit der Gegenwart haut derart auf ihn ein, dass er der Liebe keine Chance gibt. Und dann zoomt die Kamera in ein Cezanne-´Bild, bis es sich in Pixel auflöst. Genau das passiert heute: Die Welt verpixelt sich, und vieles geht dabei verloren. Die Kulturgeschichte wird von der Digitalisierung abgeflacht und eingeebnet. Kommende Generationen werden für viele ihrer Ideen gar nicht mehr empfänglich sein, die Transformation unserer Wahrnehmung wird irgendwann auch genetische Veränderungen bedingen. Wir sind auf dem Weg, zu anderen Lebewesen zu werden, mit einem indirekten Bezug zur Realität.