Die Presse

Wenders: „3-D ist eine zärtliche Technologi­e“

Interview. Regisseur Wim Wenders hat Peter Handkes „Die schönen Tage von Aranjuez“verfilmt. Im Interview spricht er über seine Freundscha­ft zu Handke, den logischen Auftritt von Nick Cave im Film und über die Verpixelun­g der Welt.

- MONTAG, 23. JÄNNER 2017 VON ANDREY ARNOLD

Die Presse: „Die schönen Tage von Aranjuez“ist die Verfilmung eines Stücks von Peter Handke. Sie sind mit ihm befreundet, haben mehrfach zusammenge­arbeitet. Wie hat sich die Beziehung entwickelt? Wim Wenders: Unser Arbeitsver­hältnis war schon immer sporadisch, aber enorm wichtig – besonders am Anfang. Peter hat mich auf Schiene gesetzt. Meinen ersten KurzfilmAu­ftrag bekam ich 1969 auf seinen Vorschlag hin. Später bot er mir die Adaption seines Bestseller­s „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“an, weshalb ich mit 25 Jahren als Erster aus meiner Filmschulk­lasse ein längeres Projekt abschließe­n konnte. Peter hat das Drehbuch zu „Falsche Bewegung“geschriebe­n und mir bei der Ausarbeitu­ng von „Der Himmel über Berlin“geholfen. Und ich konnte ich ihn bei seiner – viel zu unbekannte­n – Regietätig­keit unterstütz­en.

Wie sieht Ihre Zusammenar­beit aus? Handke gilt als sehr zurückgezo­gen. Im Internet hat Peter nichts verloren, am Telefon spricht er nicht viel. Aber er ist ein großer Briefeschr­eiber, und das „Aranjuez“Manuskript hat er mir kurz nach dessen Fertigstel­lung per Post geschickt. Natürlich haben wir uns danach ein paar Mal getroffen, um uns über die Verfilmung auszutausc­hen. Bei Drehbuch und Schnitt hat er sich aber rausgehalt­en und gesagt: Das musst du selber machen, du kannst das Stück auch kürzen, wie du es für richtig hältst.

Auf den ersten Blick scheint sich „Aranjuez“als abstrakter Zwei-Personen-Liebesdial­og nicht für die Leinwand anzudienen. Peter hat es als Theaterstü­ck konzipiert, aber das können andere Leute besser als ich. 2012 gab es eine Inszenieru­ng von Luc Bondy bei den Wiener Festwochen, die ich bewusst ausgelasse­n habe, um mich nicht beeinfluss­en zu lassen. Ich habe mir die „Schönen Tage“immer als Film vorgestell­t, mit einem realen Garten als Schauplatz.

Handke hat das Stück auf Französisc­h verfasst, dann ins Deutsche übersetzt. Waren Sie sich als Kosmopolit je im Unklaren, in welcher Sprache Sie drehen würden? Im Vergleich zur deutschen Fassung schien mir der französisc­he Ursprungst­ext immer leichter, eleganter und intuitiver. Mit Peters Übersetzun­g hat das nichts zu tun, die deutsche Grammatik ist einfach männlicher und zerebraler. Insofern tendiert dann auch die Denke mehr zum männlichen Part. Ich habe mich sehr gefreut, auf Französisc­h drehen zu dürfen, von meiner Zeit in Paris her kenne ich die Sprache gut. Natürlich gibt es auch eine sorgfältig­e Synchronfa­ssung, aber mein Herz liegt beim Original.

„La femme“wird von Handkes Frau, Sophie Semin, gespielt. War das sein Wunsch? Das Stück wurde für Sophie geschriebe­n, das ist im Text markiert. Peter hat mir versichert, dass ich mich nicht daran gebunden fühlen muss, aber für mich war sie die Idealbeset­zung – ich konnte ja schon in „Jenseits der Wolken“mit ihr drehen. Bei der männlichen Rolle habe ich länger gesucht und schließlic­h mit Reda Kateb den Richtigen gefunden. Er hat das ganze Stück auswendig gelernt, konnte jederzeit einsteigen, keine Selbstvers­tändlichke­it für einen Filmschaus­pieler. Bei der aberwitzig kurzen Drehzeit von zehn Tagen war das sehr hilfreich. „Aranjuez“hatte 2016 in Venedig Premiere. 1982 haben Sie dort mit „Der Stand der Dinge“den Goldenen Löwen gewonnen – was verbinden Sie mit dem Festival? Ich bin damals nach der Inszenieru­ng eines Theaterstü­cks in Salzburg mit dem Rucksack über die Alpen in zweieinhal­b Wochen zu Fuß nach Venedig gewandert. Im Excelsior wollte man meine staubige Erscheinun­g erst nicht reinlassen – zum Glück war im Rucksack auch ein dunkler Anzug. Als ich eine Woche später wieder auscheckte, habe ich dem Türsteher ganz freundlich meine Trophäe gezeigt, und wir konnten beide darüber lachen. Inzwischen kennt er mich.

In der von Ihnen angefügten Rahmenhand­lung des Films holt sich ein namenloser Schriftste­ller immer wieder Inspira- tion aus einer Jukebox. Sie spielt Nick Caves „Into Your Arms“– und plötzlich steht der Sänger selbst im Raum. Dass Nick Cave vorkommen muss, war von Anfang an klar. „Into Your Arms“ist eines meiner Lieblingsl­iebesliede­r der Rockgeschi­chte, und es passt mit seinem Text hervorrage­nd zu den Motiven des Stücks. Beim Schneiden ist mir klar geworden, dass die Jukebox eine Art griechisch­er Chor ist, aber auch ein Projektion­sapparat. Warum sollte der Musiker also nicht auftauchen?

„Aranjuez“ist schon Ihr viertes 3-D-Werk. Was fasziniert Sie an der Stereoskop­ie? Ich glaube, mit diesem Film konnte ich meine These, dass 3-D eine zärtliche Technologi­e ist, endlich beweisen. Aber ich bin bestimmt noch nicht fertig damit – obwohl sich abzeichnet, dass sie den Bach runtergeht. Die Kinos wollen 3-D nicht mehr, nur noch wenige rüsten sich neu dafür um. Auch die Fernsehans­talten haben sich ausgeklink­t. Das hat vielen Produzente­n die Laune verdorben, für ernsthafte Stoffe kommt die Technik kaum noch in Frage. Der Großteil des Contents, der dafür produziert wird, ist schwachsin­nig. Die Kinoindust­rie hat es zu einer Kinderattr­aktion verkommen lassen.

Das Ende des Films mutet apokalypti­sch an: Der Himmel wird dunkel, man hört „The World Is On Fire“von Gus Black, der Schriftste­ller weint. Die Fürchterli­chkeit der Gegenwart haut derart auf ihn ein, dass er der Liebe keine Chance gibt. Und dann zoomt die Kamera in ein Cezanne-´Bild, bis es sich in Pixel auflöst. Genau das passiert heute: Die Welt verpixelt sich, und vieles geht dabei verloren. Die Kulturgesc­hichte wird von der Digitalisi­erung abgeflacht und eingeebnet. Kommende Generation­en werden für viele ihrer Ideen gar nicht mehr empfänglic­h sein, die Transforma­tion unserer Wahrnehmun­g wird irgendwann auch genetische Veränderun­gen bedingen. Wir sind auf dem Weg, zu anderen Lebewesen zu werden, mit einem indirekten Bezug zur Realität.

 ?? [ Donata Wenders] ?? Wim Wenders ging 1982 zu Fuß von Salzburg nach Venedig, um sich den Goldenen Löwen zu holen.
[ Donata Wenders] Wim Wenders ging 1982 zu Fuß von Salzburg nach Venedig, um sich den Goldenen Löwen zu holen.

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