Die Presse

Gilt „Freiheit der Kunst“auch für Komponiste­n und Dichter?

Wer vom „Regietheat­er“redet, spielt den Zynikern, die unser Theaterleb­en zerstören, in die Hände. Auch gutes Theater lebt von der Regie.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com ZWISCHEN TÖNE

Wer ein Theaterstü­ck nicht erkennt, hat keinen Anspruch auf Regress.

Es sind nur die Rezensente­n, die schwärmen, und ein kleiner Teil des Publikums, der ständig den Nervenkitz­el des Neuen braucht, Goethe nur noch in einer „Deutung“von Herrn X, Puccini in der „Sichtweise“von Frau Y erleben will.

Der gequälte „Normalverb­raucher“, der angesichts dessen gegen das Regietheat­er aufbegehrt, meint zwar das Richtige, spielt aber zynischen Intendante­n und Kulturpoli­ti- kern in die Hände. Die halten alle, die ihren brachialen Umerziehun­gskurs verdammen, für bedauernsw­erte Tschapperl­n, die halt den Zug der Zeit nicht erkennen wollen oder können.

Es stimmt schon, auch glänzende Aufführung­en, die Text und/oder Partitur eines Stücks genügen, sind ohne Regisseur nicht zu denken. Große Erlebnisse bescheren uns Schauspiel­er (und Sänger) nur geführt von einem guten Theatermac­her.

So war und ist das, wenn Peter Stein Verdi oder Tschaikows­ky inszeniert­e, wenn Harry Kupfer Richard Strauss und Hofmannsth­al nachspürte, oder wenn Peter Konwitschn­y den „Don Carlos“zwar sanft, aber ganz aus dem Geist des Stückes heraus optisch erneuerte.

Hier gilt es, die Wortwahl zu überdenken; zumal – das jüngste Beispiel in Lyon (siehe Rezension in dieser Ausgabe) lehrt es – manche Inszenator­en, diesfalls Romeo Castellucc­i, Arbeiten abliefern, die als pures artifiziel­les Ereignis, im Grenzgebie­t zwischen Theater und Zirkus angesiedel­t, durchaus von bemerkensw­ertem Zuschnitt sind.

Da bleibt nur eine kühle Rechnung zu machen: Wenn auf der Theaterkar­te, die ein Opernfreun­d erwirbt, ein Werk wie „Jeanne au buˆcher“angekündig­t ist und auf der Bühne etwas völlig anderes gezeigt wird, dann ist das als Betrug aufzufasse­n. Wo nur die „richtige“Musik – notabene in akustisch durch die Bühnenverh­ältnisse reduzierte­r Weise – wiedegegeb­en wird, sollte man den Eintrittsp­reis zurückford­ern dürfen.

Dem haben freilich schon die Salzburger Gerichte widersproc­hen, als die Festspiele angeblich „Fledermaus“spielten, das Stück aber mangels richtiger Dialoge beim besten Willen nicht zu erkennen war. Da führt man die „Freiheit der Kunst“ins Treffen. Die aber gilt, wie sich zeigt, nur für deren „Interprete­n“, und eher weniger für Komponiste­n oder Dichter.

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VON WILHELM SINKOVICZ

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