Geisterdämmerung: Über das Verstummen der Intellektuellen
Wo lösen freimütige und engagierte Denker heute noch Debatten aus oder treiben sie voran? Sicher nicht im TV.
Die Intellektuellen sind im gesellschaftlichen Diskurs über die großen Themen der Zeit immer leiser vernehmbar, klagen die einen. Gott sei Dank befinden sich diese Allesbesserwisser auf dem Rückzug, jubeln die anderen. Jedenfalls scheint – wir haben hier vornehmlich die deutschsprachige Welt im Fokus – der freimütige, unabhängige, sich in wichtige Debatten einmischende (Nach-) Denker ein Auslaufmodell zu sein. Die letzte große, über Monate und in jedem wichtigeren Medium geführte öffentliche Kontroverse – der Historikerstreit über die Einzigartigkeit des Judenmords und eine mögliche Beeinflussung der nationalsozialistischen Diktatur durch den bolschewistischen Terror – liegt schon wieder 30 Jahre zurück. Sind wir heute zu solchen tief gehenden Diskussionen gar nicht mehr fähig? Fehlen uns da heute die Intellektuellen als Impulsgeber und Antreiber einer solchen Diskussion? Oder fehlen uns heute einfach die Zeit und der Platz für solche Dispute?
Oh ja, im Fernsehen etwa wird schon noch heftig gestritten – aber wie und von wem? Der Berliner Autor und Kulturtheoretiker Martin Burckhardt betitelt seinen Essay in „Lettre International“(Nr. 115) über das Verschwinden der Intellektuellen mit „Geisterdämmerung“und beginnt ihn mit einer gnadenlosen Abrechnung mit den Fernsehtalkshows. Er nennt sie die „Vorhölle“, in der die öffentliche Rede verwildere und in der Problemlöser und Problemverleugner aufeinander gehetzt werden, sodass man an die Freakshows der Panoptiken erinnert werde: „Die Vorstellung, dass es bei diesem Treiben ernstlich um Aufklärung geht, ist abwegig . . .“
Freilich, die TV-Talkshows allein sind nicht für das Leiserwerden der Intellektuellen verantwortlich, „ihr Bedeutungsverlust ist Begleiterscheinung einer sehr viel umfassenderen, historischen Verschiebung“, weiß Burckhardt. Können wir aber schon den Tod des Intellektuellen ausrufen? „Ja“, schreibt Burckhardt, „weil die Repräsentationsfunktion des Großschriftstellers oder Großphilosophen ausgedient hat, zerschellt ist an einer Welt, in deren Inneres man nicht vordringen kann . . .“Aber auch „Nein, weil die Funktion des Intellektuellen – also seine Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen – sich keineswegs erübrigt hat“. Und er schließt die Warnung an: „Das Verschwinden des Zweifels, der Ironie und der Ambivalenz, kurzum: all jener Tugenden, zu denen das Zwischenden-Zeilen-Lesen erzieht, macht einer Pöbelherrschaft Raum, der Eindimensionalität als Kernkompetenz, Aggression als Authentizität und Lautstärke als Überzeugungskraft gilt.“D as Berliner Monatsmagazin „Cicero“hat in seinem Jännerheft doch noch 500 Intellektuelle gefunden, die es für wichtig hält – mit Martin Walser, Peter Sloterdijk und Peter Handke auf den ersten drei Plätzen. Jürgen Habermas, in der Tat ein Großphilosoph, der schon beim erwähnten Historikerstreit vor 30 Jahren eine tragende Rolle spielte, landete immerhin auf Platz sechs.
Aber sonst fragt man sich schon – wie immer bei solchen Rankings – erstaunt, wie es der oder die auf eine solche Liste schaffen konnten. Das gilt auch für einige der in der 500er-Liste angeführten 25 Geistesgrößen aus Österreich, von denen gleich 18 der Schriftstellerzunft zugerechnet werden. Immerhin, auch Kardinal Schönborn (Platz 240) und der Quantenphysiker Anton Zeilinger (488) scheinen auf die Liste auf. Nicht darauf findet man übrigens den oben zitierten Martin Burckhardt. Vermutlich ist er noch nie zur Teilnahme in eine Fernsehtalkshow eingeladen worden.