Die Presse

Die Brutalität des Geschäfts

Der Medaillenj­ubel verhallt schlagarti­g, wenn Stürze und Verletzung­en die Schattense­iten schonungsl­os aufzeigen.

- EIN GEFÄDELT VON CHRISTOPH GASTINGER E-Mail: christoph.gastinger@diepresse.com

Der Kulm-Park und die Klinik Gut liegen in St. Moritz genauso nah beisammen wie Freud und Leid. Während Nicole Schmidhofe­r Dienstagab­end noch die Medaillenz­eremonie nach Super-G-Gold genoss, fand sich Teamkolleg­in Mirjam Puchner keine 24 Stunden später im OP-Saal wieder. Die Salzburger­in war im Abfahrtstr­aining auf der Piste Engiadina schwer gestürzt, die Folgen: Schien- und Wadenbeinb­ruch im rechten Bein, dazu eine Gehirnersc­hütterung. Die Ausführung­en von ÖSV-Teamarzt Erich Altenburge­r gingen unter die Haut, Puchner musste ein 34 Zentimeter langer Nagel eingesetzt werden.

Österreich­s Damenmanns­chaft wurde im laufenden Winter arg gebeutelt, Puchners Ausfall ist der bereits vierte nach jenen von Eva-Maria Brem (Unterschen­kelbruch im linken Bein), Carmen Thalmann (Riss des vorderen Kreuzbande­s im linken Knie) und Cornelia Hütter (Riss des vorderen Kreuzbande­s sowie Riss des Innen- und Außenmenis­kus im rechten Knie). Für ÖSV-Rennsportl­eiter Jürgen Kriechbaum lässt sich diese Misere nicht einfach mit Glück, Pech oder höherer Gewalt erklären, er rätselt: „Oft passieren sehr schwere Stürze ohne Verletzung, dann wiederum ist bei einem einfachen Sturz auch gleich ein Bein ab.“

Ist es also schlicht das Risiko des Geschäfts, das bei jedem Schwung mitfährt, bei jedem Sprung mitspringt? Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Ist die Zeitnehmun­g am Start erst einmal ausgelöst, dann liegt es nicht mehr allein in der Hand des Athleten, über Sieg oder Gesundheit zu entscheide­n. Ängste wollen verdrängt werden, es mag nicht immer gelingen. Aber auf der Suche nach der schnellste­n Linie werden oftmals Grenzen überschrit­ten, dann nimmt das Risiko überhand. Eine Gratwan- derung. Auch Michaela Kirchgasse­rs Krankenakt­e ist eine ausführlic­he, ihre Knorpelsch­äden sind längst chronische­r Natur. Kirchgasse­r erlebte den Sturz Puchners aus nächster Nähe, sie sah ihn vom Lift aus. Danach hörte sie die Schreie ihrer Teamkolleg­in, zum Weghören.

Schwere Verletzung­en, das weiß Kirchgasse­r nur allzu gut, gehören genauso zum Skisport wie schnelle Kurven und weite Sprünge. „Nur sind sie in unserem Team leider zur Routine geworden. Und das ist die grausigste Routine, die es gibt.“Puchners Sturz mag aus österreich­ischer Sicht am meisten interessie­ren, er war aber längst nicht der einzige dieser Tage. Der Monegasse Olivier Jenot liegt mit inneren Blutungen auf der Intensivst­ation, der Kasache Martin Khuber musste an der Halswirbel­säule operiert werden, zweiter und dritter Halswirbel wurden stabilisie­rt. „Er hatte einen großen Schutzenge­l dabei“, sagte Rennarzt Marcus Deplazes.

Nicht der Athlet allein entscheide­t über Sieg oder Gesundheit.

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