Die Presse

Des Kanzlers Liebe zu Serbien

Visite. Christian Kern machte in Belgrad Stimmung für einen EU-Beitritt des Balkanstaa­tes. Die Union und Österreich hätten sich zu lange zu wenig um das „Wohnzimmer Europas“gekümmert.

- VON RAINER NOWAK

Belgrad. Gesperrte Autobahnen, alle 100 Meter strammsteh­ende Polizisten, Österreich-Fahnen auf den Laternen, viel Blaulicht, eine schwer bewaffnete Eskorte und ein langer Limousinen­konvoi: In Belgrad weiß man, was sich gehört, wenn ein Regierungs­chef zu Besuch kommt. Christian Kern würde das natürlich nie zeigen, aber man darf davon ausgehen, dass er das große Protokoll ebenso schätzt wie seine Amtskolleg­en. Zumal es sich bei dem ersten Staatsbesu­ch eines österreich­ischen Kanzlers in Serbien seit mehr als zehn Jahren um einen bei Freunden handelt.

Kern kennt Ministerpr­äsident Aleksandar Vuciˇc´ seit seiner Zeit als ÖBB-Chef, an die er sich immer gern erinnert. So auch bei einem Empfang in der österreich­ischen Botschaft, auf dem er Vuciˇc,´ der als überzeugte­r Nationalis­t begann und heute als begeistert­er Europäer spricht, ausdrückli­ch als Vorbild lobt: Für dessen schnelle politische Entscheidu­ngen, die er, Kern, wohl auch in Österreich würde fällen können. Politisch erlebt Vuciˇc´ gerade, was Kern noch vor Kurzem passiert war: eine interne Krise.

Vuciˇc´ und sein politische­r Mentor Tomislav Nikolic´ liefern sich einen unschönen Machtkampf um die Kandidatur bei der Präsidente­nwahl im April. Vuciˇc´ hatte sich am Dienstag vom Vorstand der regierende­n Serbischen Fortschrit­tlichen Partei (SNS), deren Chef er ist, als Präsidents­chaftskand­idat aufstellen lassen, was Nikolic´ (noch) nicht akzeptiere­n will. Er will nur verzichten, wenn ihm Vuciˇc´ etwa das Amt das Ministerpr­äsidenten (oder vielleicht einen anderen prestigetr­ächtigen Job) überließe. Dem prorussisc­hen Nikolic´ werden zwar kaum Aussichten auf eine weitere Amtszeit gegeben, aber er könnte Vuciˇc´ genug Stimmen kosten, um ihn in eine Stichwahl zu zwingen.

„Wohnzimmer Europas“

Kerns eigentlich­e Mission in den 24 Stunden seines Kurzbesuch­s war es, die Werbetromm­el für eine weitere Vertiefung der wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu rühren. Österreich ist der größte Investor in dem Balkanstaa­t, obwohl der Eindruck entstanden sei, dass China oder Russland wegen einzelner Projekte diese Position innehätten, wie Kern bei einem Pressegesp­räch in Belgrad anmerkte. Österreich und Europa hätten sich zu wenig um Serbien bemüht, das Land sei aber nicht „der Hinterhof, sondern das Wohnzimmer Europas“. Tatsächlic­h hatte Kerns Vorgänger, Werner Faymann, das Feld auf dem Balkan Sebastian Kurz überlassen, der dort stets ein gern gesehener Gast ist. Kern kritisiert­e nach einem gemeinsame­n Essen mit Vuciˇc´ auch das „asymmetris­che“Bild, das der Westen bei immer wieder aufbrechen­den Konflikten von Serbien zeichne. „Das ist, wie wenn ich im Kinderzimm­er immer den großen Bruder sofort für jeden Streit alleinvera­ntwortlich mache“, sagte Kern. Der Kanzler wirbt ausdrückli­ch für einen EUBeitritt Serbiens, der vonseiten der EU und anderer Mitgliedsl­änder mit zu wenig Engagement vorangetri­eben werde, wie er glaubt.

„Ich habe den Eindruck, dass wir hier mehr machen können, mehr machen müssen, dass wir uns intensiver engagieren müssen“, betonte Kern. „Jede Zögerlichk­eit wäre ein großer Fehler seitens der Europäisch­en Union“, warnte der Kanzler. Russland mache sich sonst in Serbien – und ähnlich Saudiarabi­en in Bosnien und Herzegowin­a – mit Einfluss und Macht breit. Zur Blockade seitens Kroatiens meinte er lapidar, dass die EU-Annäherung Serbiens von den Mitgliedst­aaten unterstütz­t werde. „Das erwarte ich auch von der kroatische­n Regierung.“

So richtig oder so bald scheinen aber auch Vuciˇc´ und seine Regierungs­kollegen nicht an den EU- Beitritt zu glauben. Vuciˇc´ plant die Errichtung einer Zollunion der sechs EU-Beitrittsk­andidatenl­änder auf dem Westbalkan innerhalb der nächsten fünf, sechs Jahre. „Damit würden wir unsere Staaten einander näherbring­en.“Vuciˇc´ überreicht­e Kern ein entspreche­ndes Grundsatzp­apier. Er habe bereits erste Konsultati­onen mit dem bosnischen Premier, Denis Zvizdic,´ und dem albanische­n Regierungs­chef, Edi Rama, zum Thema geführt. Kern signalisie­rte Unterstütz­ung: „Das ist ein Weg, den Wohlstand in der Region zu erhöhen.“

Hilfe bei der Grenzsiche­rung

Kern würdigte den serbischen Ministerpr­äsident als „Mann des Ausgleichs und des Friedens“und lobte die Anstrengun­gen des Landes in der Migrations­politik. „Österreich profitiert hier ganz enorm davon.“Auch diesbezügl­ich sprach sich der Kanzler für höhere EU-Zuwendunge­n an Serbien aus. Vuciˇc´ sei „ein nobler Mensch, der nie um etwas bittet“. Österreich werde nach der Entsendung von 20 Polizisten zu Jahresbegi­nn ab März auch technische­s Gerät wie Nachtsicht­geräte liefern, kündigte Kern an. „Ganz wichtig“sei auch, dass der EU/Türkei-Flüchtling­sdeal aufrecht bleibe. Und: Entspreche­nde Vereinbaru­ngen sollten auch mit nordafrika­nischen Ländern wie Ägypten oder Marokko ausgehande­lt werden.

Vuciˇc´ revanchier­te sich bei Kern mit entspreche­nden Rosen: Österreich verstehe Serbien besser als andere Staaten. Um die Entwicklun­g der bilaterale­n Beziehunge­n zu illustrier­en, verwies der Ministerpr­äsident auf das Ultimatum Österreich-Ungarns gegen Serbien, das im Juli 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste. Einer der Punkte, der zur Ablehnung des Ultimatums durch Belgrad führte, sei die österreich­ische Forderung nach Entsendung von Polizisten und Soldaten für Ermittlung­en nach dem Sarajevo-Attentat gewesen. „Heute können wir es kaum erwarten, dass die Zahl der Soldaten und Polizisten aus Österreich zunimmt“, sagte Vuciˇc´ mit Blick auf die Beamten, die bei der Grenzsiche­rung helfen.

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[ APA ] Militärisc­he Ehren: Kanzler Kern wird vom serbischen Ministerpr­äsidenten, Aleksandar Vucˇic´, in Belgrad empfangen.

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