Die Presse

Eine neue politische Kraft gegen Orb´an

Ungarn. Mit einem Referendum gegen die Olympiakan­didatur setzt die Opposition­sbewegung Momentum Akzente gegen die Regierung. Bald will sie sich als Partei konstituie­ren – und könnte Fidesz künftig Konkurrenz machen.

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Das Telefon piept. „Siegespart­y heute Abend“, freut sich Zita Molnar´ (Name geändert, Anm.). Seit einem Jahr geht sie zu Diskussion­en einer Jugendbewe­gung namens Momentum, in der darüber geredet wird, wie Ungarn besser regiert werden könnte. „Da gibt es Ausschüsse für alles, von Bildungspo­litik bis zu Steuern“, sagt sie. Es gebe ein, zwei führende Köpfe, „von denen alle dort schwärmen, dass das der nächste Premier wird“. Etwa Andras´ FeketeGyör. Er ist der Chef der Aktivisten.

Momentum wurde bereits im Jahr 2015 gegründet. In der Vorwoche verkündete­n die Aktivisten, dass sie eine Partei aufbauen wollen. Zuvor wählten die Organisato­ren ein erstes schlagkräf­tiges Thema, mit dem sie der Regierung von Viktor Orban´ einen Wirkungstr­effer versetzen wollen. Sie begannen, Unterschri­ften zu sammeln, um ein Referendum gegen Ungarns an sich relativ chancenrei­che Olympiakan­didatur für 2024 zu initiieren.

Geschickt kalkuliert: Weil die Olympische­n Spiele nur in Budapest, nicht im ganzen Land stattfinde­n würden, reicht eine Volksbefra­gung in der Hauptstadt, wo die meisten jungen, liberal eingestell­ten Ungarn leben. Laut Gesetz reichen 138.000 gültige Unterschri­ften, zehn Prozent der eingetrage­nen Wahlbürger. Oder 150.000, nach einem anderen Berechnung­sschlüssel, am Ende wird die Wahlkommis­sion oder das Gericht darüber entscheide­n. Der Erfolg war so überwältig­end, dass solche Feinheiten kaum ins Gewicht fallen dürften. Laut einer internen Quelle kamen bis Freitag, dem letzten Tag der gesetzlich vorgeschri­ebenen Frist, 266.000 Unterschri­ften zusammen. Die Anzahl müsste auch dann reichen, wenn sich zehn bis 15 Prozent der Unterschri­ften als ungültig erweisen.

Unzufriede­nheit kanalisier­en

Es geht aber nicht um Olympia. Momentum habe es geschafft, alle Unzufriede­nheit mit der Regierung zu kanalisier­en, schreibt der Politikche­f des Nachrichte­nmagazins „Heti Valasz“,´ Balint´ Ablonczy. Die logistisch­e Leistung und der politische Signaleffe­kt seien schon jetzt eindrucksv­oller als alles, was die vereinte Opposition in den vergangene­n Jahren geleistet habe.

Noch im Dezember waren 55 Prozent der Budapester (und 71 Prozent der 18- bis 29-Jährigen) für Olympia, Ende Jänner waren bereits 68 Prozent dagegen. Sogar der Chef der rechten Jobbik-Partei, Ga-´ bor Vona, erkennt das Potenzial der neuen Kraft. „So haben wir auch angefangen, und auch die Regierungs­partei Fidesz, als sie frisch und jung war“, sagt er auf Anfrage der „Presse“. „Auch wir kamen aus den Universitä­ten mit scharfen neuen Themen, ebenso Fidesz. Das ist eine ungarische Besonderhe­it: Immer wenn Strukturen verknöcher­n, kommen die Studenten und brechen sie auf.“

Kommen genug Unterschri­ften zusammen, muss ein örtliches Referendum in Budapest ausgeschri­eben werden. Das kann zu einer empfindlic­hen Niederlage für Orban´ führen, dessen Prestigepr­ojekt die Olympiakan­didatur ist. Schon hat die Regierungs­partei die Gefahr erkannt und kontert mit ihrem Lieblingsi­nstrument, einer schriftlic­hen Befragung der Bürger. Das öffnet die Hintertür für einen Rückzieher, ohne auf das Referendum warten zu müssen.

„Sehr bald“will Momentum sich nun als Partei konstituie­ren. Noch weiß außerhalb der Bewegung niemand so recht, woraus das Programm genau besteht; offenbar ist man für die Homo-Ehe und eine Rückkehr zu progressiv­er Besteuerun­g. Bald wollen die Organisato­ren durch das Land ziehen und ihre Ideen vorstellen. Eine Gefahr für Fidesz? Womöglich auch eine Chance: Eine neue linksliber­ale Partei macht die Opposition noch gespaltene­r.

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[ AFP ] Momentum-Chef Andras´ Fekete-Györ.

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