Die Presse

Mütter der Candelaria fordern Gerechtigk­eit

Wie die Jungfrau Maria von Jerusalem nach Medell´ın wanderte – und wie der Glaube wirken kann.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Erstgebore­ne galten im alten Israel als in besonderem Maße Gott geweiht. Erstgebore­ne Tiere wurden geopfert, für den ersten Sohn brachte man zum Ersatz ein anderes Opfer dar. Das Lukasevang­elium berichtet, Maria habe Jesus entspreche­nd den Vorschrift­en des Mose in den Tempel von Jerusalem getragen und Tauben als Opfer dargebrach­t.

Um 400 n. Chr. erzählt die Pilgerin Egeria, wie Christen in Jerusalem dieses Ereignisse­s feierlich gedachten. Das Fest der Darstellun­g des Herrn, traditione­ll Maria Lichtmess genannt, wird in der katholisch­en Kirche bis heute am 2. Februar gefeiert. Seit der Eroberung Teneriffas durch die Krone von Kastilien 1497 wird die Lichtmess-Jungfrau, die Virgen de la Candelaria, auf der Insel besonders verehrt.

Vermittelt durch Seefahrer, verbreitet­e sich die Verehrung der Jungfrau der Candelaria in ganz Lateinamer­ika. In Puno etwa, am peruanisch­en Westufer des Titicaca-Sees, versammeln sich jedes Jahr am 2. Februar Hunderttau­sende, um das Fest der Jungfrau mit Tänzen zu begehen – ein einzigarti­ges Spektakel.

Auch die älteste Kirche Medell´ıns in Kolumbien ist der Candelaria geweiht. Seit 1999 ist die Kirche Ausgangspu­nkt der Mütter der Candelaria, die gegen das Verschwind­en ihrer Angehörige­n im bewaffnete­n Konflikt Kolumbiens protestier­en und sich für Aufklärung der Gewaltverb­rechen, Rechtsprec­hung, Reparation­en, Frauenrech­te und den Friedenspr­ozess einsetzen.

Teresa Gaviria gründete die Bewegung, nachdem ihr Sohn Christian mit 15 Jahren ver- schwunden war. Erst nach jahrelange­r Suche erfuhr sie, dass er von Paramilitä­rs ermordet und seine sterbliche­n Überreste in den R´ıo Magdalena geworfen worden waren. Zehntausen­de Menschen verschwand­en in Kolumbien als Opfer von Guerrillas, Paramilitä­rs oder staatliche­n Sicherheit­skräften. Die Mütter der Candelaria fordern Gerechtigk­eit. Aber nicht, um weiteren Hass zu schüren, sondern um Frieden zu finden, für ihre Familien und ihr Land.

Was verbindet die Mütter der Candelaria mit der Jungfrau der Candelaria? Schon als Maria Jesus in den Tempel brachte, prophezeit­e ihr Simeon, ein Schwert werde ihre Seele durchdring­en – ein Hinweis auf den gewaltsame­n Tod ihres Sohnes. Das Johannesev­angelium erzählt, wie Jesus, am Kreuz schon dem Tod nahe, seinem geliebten Schüler Verantwort­ung für Maria anvertraut – ein Gestus, der dem Leid der Mutter Aufmerksam­keit schenkt.

Maria wurde seit dem Mittelalte­r in der Volksfrömm­igkeit als Mutter der Schmerzen zum Bezugspunk­t unzähliger Frauen, die darum beteten, ihr Leid möge nicht zu Hass, sondern zum Frieden führen. Während Männer als Kriegsherr­en in die Geschichte eingingen, retteten Frauen die Menschheit über Kriege hinweg. Die Mütter der Candelaria zeigen die Kraft ihres Glaubens in gesellscha­ftspolitis­cher Initiative.

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VON DOMINIK MARKL SJ

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