Eisbärenfelle, „Heidi“-Filme und Plumpsklos AUF EINEN BLICK
Architektur. Beim Bauen in den Bergen ist der Platz auf ein Minimum reduziert. Das bleibt wohl auch so. Ideen für die Schutzhütte der Zukunft könnten sich aber auch für die stark wachsenden Städte in den Tälern nutzen lassen.
Wer denkt bei einer Schutzhütte schon an einen Bienenstock oder ein Tierfell? Andreas Damhofer hat es als angehender Architekt getan. Er entwarf in einem Seminar an der Uni Innsbruck eine wabenartige Konstruktion, die das Prinzip des Eisbärenfells nutzt. Den Polarbewohner schützen innen hohle Fellhaare vor der Kälte. Bei einer Schutzhütte könnten außen am Gebäude liegende, sechseckige Kojen das Innere von eisigen Temperaturen abschirmen.
Das mag für manche nicht sehr verlockend klingen. Es sei aber tatsächlich zu überdenken, ob in allen Räumen eine Heizung sein muss, sagt sein Betreuer Andreas Flora vom Institut für Gestaltung: „Die meisten Menschen schlafen ohnehin lieber im Kühlen. Da reichen 16 Grad.“In der Gaststube im Inneren hingegen könnten Öfen für wohlige 21 Grad sorgen.
Suffizienz nennt sich dieses ökologische Prinzip, das einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch verfolgt. Für Schutzhütten ein zentrales Thema. „Sie sind wie Außenposten der Zivilisation“, sagt Flora. Strom, Wasser, Lebensmittel – alles muss organisiert und herangeschafft werden. Die vorhandenen Flächen sind dem unbedingt notwendigen Bedarf angepasst.
Außenposten der Zivilisation
Unter diesen Bedingungen ändern die Menschen ihr Verhalten und begrenzen sich auf ihre Grundbedürfnisse: „Sie schlafen in Matratzenlagern und gehen aufs Plumpsklo“, so Flora. Nicht alle zivilisatorischen Errungenschaften ließen sich eben hinaufbefördern: Wer in die Berge blicke, schaue gleichsam in eine Geschichte früherer Komforterwartungen zurück.
Bei den auf über 2000 Metern Seehöhe herrschenden extremen Bedingungen stehe daher seit je- her das funktionelle Bauen im Vordergrund, sagt auch der Architekturhistoriker Christoph Hölz vom Archiv für Baukunst der Uni Innsbruck. Ob Wetterstation, Forschungsstelle oder Schutzhütte: Man beschränkt sich beim Bauen in den Bergen stets auf das Wesentliche. Schließlich ist auch das Material schwer in die Höhe zu schaffen. Einst passierte das zu Fuß oder mit Eseln; heute bringen Helikopter vorfabrizierte Teile.
Dabei hat die Erschließung des hochalpinen Raums eine relativ kurze Geschichte. Die Menschen des 18. Jahrhunderts lehnten diese Landschaft noch ab. Sie sei an Scheußlichkeit nicht zu überbieten, fand etwa der deutsche Archäologe Johann Joachim Winckelmann. Er soll bei seinen Reisen über die Berge ins dem damaligen Naturideal weit mehr entsprechende Italien stets die Rollläden seiner Kutsche heruntergelas- sen haben, berichtet Hölz. Erst mit der Romantik um 1800 wandelte sich das Bild, der Berg wurde als etwas Erhabenes betrachtet. Nach und nach entwickelte sich eine Massenbewegung, die Menschen pilgerten aus den Städten in die Berge. Damit einher ging eine Verbürgerlichung. Sie spiegelt sich etwa in der Geschichte des traurigen Stadtmädchens Heidi, das auf der Alm auflebt, wider. Die Alpenvereine wiesen den Boom schließlich in die Schranken. Sie legten Regeln fest, die das Ursprüngliche, die Natur bewahren helfen sollten.
Eine Kugel hält länger warm
Daher polarisieren Ideen, die vom „Vier-Wände-Prinzip“abrücken und den Hütten neue Formen geben. „Traditionsbewusste fragen: Warum soll man von einem seit 150 Jahren bewährten Prinzip abrücken?“, erzählt Hölz. Ein kugel- förmiges Gebäude kühle langsamer aus, argumentiert wiederum Flora. Aber auch bei neuen Bauten gilt es, die Flächen zwischen den Felsen bestmöglich zu nutzen.
Und so sieht eine andere, von Flora mit seinen Studenten entwickelte Vision vor, dass die Hütten künftig – je nach Auslastung – wachsen oder schrumpfen können: Der Raum soll sich, vergleichbar mit dem Prinzip einer Schublade,
Bauen in den Bergen. Das Archiv für Baukunst der Uni Innsbruck hat gemeinsam mit dem Österreichischen und dem Südtiroler Alpenverein die Ausstellung „Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen“gestaltet. Sie macht ab 9. März 2017 im Alpinen Museum in München Station. Vorgestellt wird neben der Kultur- und Wirkungsgeschichte des alpinen Wegenetzes auch die der Schutzhütte. erweitern lassen. In den Seminaren lässt sich – ohne Kosten- und Erwartungsdruck der Bauherren – gut träumen. Zugleich stellt der Architekt gewohnte Raumhöhen infrage: Nicht jedes Zimmer müsse für den stehenden Menschen konzipiert sein. „Liegt der Mensch, braucht er deutlich weniger Platz.“Der Idee eines Stockbetts folgend, ließen sich so wesentlich mehr Menschen unterbringen.
Wie Wissen aus der Formel 1
Und die Neuerungen, die auf den Bergen funktionieren, könnten auch den Weg ins Tal finden. So wie Erkenntnisse aus der Formel 1 immer wieder in die industrielle Serienproduktion einfließen, ließen sich neue Technologien auch an Schutzhütten erproben, sagt Flora. Die Ideen ließen sich etwa für die wachsenden Städte nutzen, in denen man Wohnraum reduzieren müsse, meint Hölz.