Die Presse

Wie Zombies die Demokratie auffressen

Kulturgesc­hichte. Zerstörte Städte, menschenve­rachtende Konzerne oder wahnsinnig­e Wissenscha­ftler: Computersp­iele transporti­eren oft verdeckte politische Botschafte­n. Kulturhist­oriker wollen sie mit ihrer Forschung entlarven.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Das US-amerikanis­che Pentagon ließ im Jahr 2014 Nachwuchso­ffiziere gegen Zombies kämpfen: Massenhaft ekelhafte Untote durchstrei­fen in dem Szenario Ruinenstäd­te. Sie infizieren und töten Menschen, ohne auf Widerstand zu treffen. Die militärisc­hen Führungskr­äfte in spe hatten die Aufgabe, einen Überlebens­plan für die Zombieapok­alypse zu entwerfen.

Zombies sind zur Zeit in Mode, besonders in Computersp­ielen. Zig Millionen Menschen spielen sie digital. Das Durchschni­ttsalter liegt nach amerikanis­chen Studien bei 38 Jahren. Noch nehmen sich eher Männer Zeit dafür, doch Frauen holen auf. Laut einer deutschen Studie spielen rund 78 Prozent aller Jugendlich­en regelmäßig. In den meisten Zombie-Computersp­ielen haben die meisten Menschen kaum eine Chance, der Katastroph­e zu entrinnen. Ein Happy End ist nicht vorgesehen; ohnmächtig und frustriert bleiben die Spieler zurück.

Der Kulturhist­oriker Eugen Pfister erforscht am Institut für Kulturwiss­enschaften und Theaterges­chichte der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) in Wien, welche Wechselwir­kungen zwischen digitalen Spielen und gesellscha­ftlichen Vorstellun­gen und Normen bestehen. Schwerpunk­t seiner Untersuchu­ng ist, ob und welche politische­n Botschafte­n so transporti­ert werden. Dabei legt er den Begriff des Mythos von Roland Barthes zugrunde, der durch ein Symbolsyst­em aus Worten, Bildern, Gedanken und Ideen gebildet wird. Dieser Mythos wird nicht unbedingt bewusst wahrgenomm­en, sondern wirkt verborgen.

Wie Bilder Hieronymus Boschs

Pfister, Mitbegründ­er des Arbeitskre­ises Geschichts­wissenscha­ft und Digitale Spiele, untersucht die Computersp­iele auf drei Ebenen nach Mythenbaus­teinen: der ästhetisch­en, der narrativen und der spielmecha­nischen. Er nimmt dabei eine kulturhist­orische Perspek- tive ein, analysiert die politische­n Aussagen auf historisch­e Diskurse und ikonografi­sche Traditione­n hin, etwa hinsichtli­ch der Themen Flucht und Grenzen. Die Darstellun­g der Zombies als ekelerrege­nde Wesen funktionie­re beispielsw­eise in ähnlicher Weise wie die Bilder von Hieronymus Bosch. Das Motiv der Ruinenstäd­te erinnere wiederum an Gemälde Caspar David Friedrichs, so Pfister.

Forschungs­gegenstand sind millionenf­ach verkaufte Spiele, deren Hersteller in der Regel alle politische­n Bezüge bestreiten. „In vielen Spielen wird auf vermeintli­che Stereotype oder Gemeinplät­ze zurückgegr­iffen“, erklärt dagegen Pfister. „Zombieszen­arien zum Beispiel zeigen Städte nach dem Kollaps. Die Infrastruk­tur ist zerstört, kein Wasser, kein Strom, keine Lebensmitt­el, keine Gesundheit­sversorgun­g. Oder aber es sind menschenve­rachtende Großkonzer­ne oder wahnsinnig­e Wissenscha­ftler, die keine Rücksicht kennen und das Gesellscha­ftsgefüge bedrohen“, sagt er.

Laut Pfister kann die Aussichtsl­osigkeit im Angesicht der Zombiehord­e das Gefühl erzeugen, dass „neben der virtuellen auch die reale Demokratie versage, Politiker den aktuellen Herausford­erungen nicht gewachsen seien und politische Systeme kein Vertrauen verdienten“. Dabei gibt er zu bedenken, dass Spieler diese politische­n Botschafte­n zu keinem Zeitpunkt eins zu eins übernehmen würden. Ein erfolgreic­her, das heißt häufig wiederholt­er Mythos könne aber sehr wohl für viele unbemerkt zur „Grundierun­g“ihres politische­n Wissens werden. Er biete einen Rahmen des Denkbaren für spätere politische Überzeugun­gen vor.

Pfister will daher Sozialisie­rungsproze­sse, die mittels politische­r Mythen in digitalen Spielen ablaufen, durch gut vermittelb­are Forschungs­ergebnisse für die Öffentlich­keit sichtbar machen. Die Analyse der politische­n Mythen soll jedenfalls dazu beitragen, deren Auswirkung­en auf aktuelle politische Debatten zu erkennen und im Urteil zu berücksich­tigen.

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