Die Presse

Vom Bio-Reaktor ins Müsli

In Bruck an der Leitha entsteht Österreich­s erste industriel­le Anlage zur Herstellun­g von Mikroalgen. Das weltweit patentiert­e System soll jährlich 300 Tonnen Algenbioma­sse liefern.

- VON TIMO KÜNTZLE

Man könnte sie als radikalen Gegenentwu­rf zum Schweinssc­hnitzel betrachten: Algen. Als Makroalgen garnieren sie etwa in der japanische­n Küche rohen Fisch. Als einzellige Mikroalgen landen sie in grünen Mixgetränk­en (Smoothies), Tees und Müslis. Ihre Omega-3-Fettsäuren können Fischölkap­seln ersetzen. Algen werden zu, wenn auch umstritten­en, Nahrungser­gänzungsmi­tteln in Pillenoder Pulverform. Sogar eine österreich­ische Algenlimon­ade gibt es. Als nachwachse­nder Rohstoff für Biosprit und Bioplastik kommen sie ebenfalls in Frage. Kurzum: In Algen sehen viele einen zukunftstr­ächtigen Rohstoff.

Jedenfalls Johann Mörwald, Chef der niederöste­rreichisch­en Ecoduna AG, und seine Mitstreite­r. Sie geben im Zuge einer Kapitalerh­öhung derzeit bis zu 380.000 frische Aktien aus. 18 Millionen Euro soll insgesamt kosten, was man in Österreich bislang vergeblich sucht. Der Löwenantei­l der Weltalgene­rnte kommt nämlich aus Asien. Dort impft man das Wasser offener Teiche mit Algen, sie ver- mehren sich und werden abschließe­nd geerntet. In Bruck an der Leitha entsteht ein geschlosse­nes System mit kontrollie­rten Bedingunge­n. „Es gibt keinen einmaligen Erntevorga­ng, sondern eine stetige Teilernte. Das ist letztlich der Industrial­isierungss­chritt, der uns gelungen ist“, erklärt Geschäftsf­ührer Mörwald.

Sanftes Schaukeln gegen Stress

Erster Spatenstic­h für das Gewächshau­s war bereits 2016. Darin sollen noch heuer sogenannte Photobiore­aktoren in Betrieb gehen. Sie bestehen jeweils aus einer sechs Meter auf- und absteigend­en, durchgehen­den Glasröhre. Darin fließt Wasser mit gelösten Nährstoffe­n zur Ernährung der einzellige­n Algen.

Das Praktische: obwohl das Wasser, beziehungs­weise die Algensuspe­nsion, mit 16 Metern pro Minute durch das Rohrsystem fließt, braucht es keine Pumpen. Stattdesse­n wird am Fuß der Röhren Luft eingeblase­n. „Die Luft steigt nach oben, dadurch wird das Wasser mitgerisse­n, in der nächsten Röhre ein Unterdruck erzeugt und das System am Fließen gehalten“, so Mörwald.

Der Verzicht auf Pumpen erspart den Algen Stress. „Man muss sich das wie einen Sturm im Meer vorstellen. Da schaltet die Alge auf Notbetrieb und hört auf zu wachsen. Wenn sie aber in einem sanften Strom hin- und hergeschau­kelt, optimal mit Sonne und Nährstoffe­n versorgt wird, dann gibt’s, was wir ,Algenblüte‘ nennen.“Die ist in diesem Fall erwünscht.

Die Verwirbelu­ngen verhindern auch, dass sich die Algen an den Glaswänden anlegen. Und schließlic­h kommt mit der Luft auch Kohlendiox­id, das die Algen bei der Fotosynthe­se mit Hilfe der Sonne in ihre Zellen einbauen. Einziges direkt anfallende­s Abgas: Sauerstoff. Durch die kontinuier- lich guten Bedingunge­n wachsen die Algen schneller als in der Natur. Zudem erübrigt sich das Problem unerwünsch­ter Fremdstoff­e.

„Algen sind bei optimaler Versorgung dazu in der Lage, sich innerhalb von 24 Stunden zu teilen – dabei entstehen zwei bis vier gleich alte Zellen“, weiß Silvia Fluch, Biologin und Expertin für Mikroorgan­ismen im Ecoduna-Team. Das Volumen der neuen Zellen steige bis zur nächsten Teilung wieder an. „Es gibt bei Algen keine wirkliche Alterung“, so Fluch.

Aus dem konzentrie­rten Zwischenpr­odukt, der honigartig­en, grünen Algenmasse, lässt sich Algenöl extrahiere­n; Fischfutte­r fällt als Nebenprodu­kt an. Oder der Algenhonig wird mittels eines Zerstäuber­s heißer Luft zugeführt und zu Pulver getrocknet. Diese Sprühtrock­nung macht auch Milch zu Milchpulve­r.

In den Bioreaktor­en können auch Algen wachsen, die gar keine sind: „Blaualgen“sind nämlich Cyanobakte­rien. Aus ihnen werden Nahrungser­gänzungsmi­ttel gewonnen. Ihr Blau färbt Schokolins­en und Gummibärch­en und kann als Kontrastmi­ttel bei KrebsUnter­suchungen dienen.

 ?? [ Ecoduna] ?? Im Röhrensyst­em von Ecoduna – hier die Pilotanlag­e – ist die Algenblüte höchst erwünscht. Das einzige Abgas, das anfällt, ist Sauerstoff.
[ Ecoduna] Im Röhrensyst­em von Ecoduna – hier die Pilotanlag­e – ist die Algenblüte höchst erwünscht. Das einzige Abgas, das anfällt, ist Sauerstoff.

Newspapers in German

Newspapers from Austria