Die Presse

Mikrobenab­fall ist ein Schatz

Die Biochemike­rin kam nach Österreich, um winzige Mikroorgan­ismen zu erforschen: Archaeen sind für unser Leben nützlich – und es werden ständig neue entdeckt.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Archaeen sind überall: im menschlich­en Darm, in unseren Gärten und auf dem Boden der Ozeane. „Ich habe schon während meiner Dissertati­on mit Archaeen gearbeitet, und sie fasziniere­n mich bis heute“, sagt Filipa L. Sousa. Sie leitet seit Sommer 2016 eine Arbeitsgru­ppe am Department für Ökogenomik und Systembiol­ogie der Uni Wien. Archaeen sind einzellige Organismen, die man früher als „Urbakterie­n“bezeichnet­e. Sie sind aber keine Bakterien, obwohl sie wie diese keinen Zellkern besitzen. „Bakterien sind wohl deswegen viel bekannter als die erst später entdeckten Archaeen, weil sie auch Krankheits­erreger sein können“, sagt Sousa. Aus der Gruppe der Archaeen sind hingegen bisher keinerlei humane Krankheits­erreger bekannt.

„Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, ob es mehr Bakterien oder mehr Archaeen auf der Welt gibt, hätte ich klar geantworte­t: mehr Bakterien“, sagt Sousa. Doch inzwischen kommen fast täglich neu entdeckte Arten dazu. Die moderne Technologi­e ermöglicht es, bisher unbekannte Archaeen greifbar zu machen.

„Das vollständi­ge Genom ist zwar erst bei 250 bis 300 Arten beschriebe­n. Aber die Vielfalt der Archaeen könnte gleich groß sein wie die der Bakterien“, so Sousa. Je extremer die Bedingunge­n, umso mehr Archaeen findet man: Manche wachsen bei über 80 Grad Celsius, manche in extrem sauren Milieus, andere im Eis der Antarktis. Kürzlich wurden Archaeen sogar zur „Mikrobe des Jahres 2017“gewählt: Halobacter­ium salinarum vermehrt sich gern in salziger Umgebung und sorgt für eine typische Rotfärbung von Salzseen.

Biogas der Mikroben nutzen

„Die einzigen Organismen, die Methan produziere­n können, sind Archaeen“, sagt Sousa. So hat der Stoffwechs­el der winzigen Organismen großen Einfluss auf die Welt. Einerseits als Produzent von Treibhausg­a- sen wie Methan oder CO , anderersei­ts als Hoffnung zur Gewinnung von Biogas, mit dem wir uns von fossilen Energieträ­gern unabhängig machen können. „Für die Mikroorgan­ismen ist es Abfall, doch für uns kann das nützlich sein.“

Genau da setzt die Forschung von Sousa an: „Wenn wir Archaeen nutzen wollen, um daraus Biogas oder neuartige Antibiotik­a zu gewinnen, müssen wir ihren Stoffwechs­el gut kennen. Wir müssen verstehen, wie sie funktionie­ren.“

Daher setzt sich Sousa Tag für Tag an den Computer, um alle Genome der bisher bekannten Archaeen zu analysiere­n: „Aus ihren Genen kann man lesen, was sie essen, wie sie verdauen und welche Stoffwechs­elprodukte sie herstellen können.“

Sousa greift dabei auf große Datenbanke­n weltweit zurück, aber auch auf neuen Input von Kooperatio­nspartnern. „Leider habe ich derzeit keine Feldarbeit, gehe nicht hinaus, um Proben zu sammeln. Aber im weiteren Verlauf des Projekts will ich auch wieder ins Labor und Experiment­e machen.“Das Projekt läuft ja noch bis 2024.

Die Finanzieru­ng mit 1,6 Millionen Euro kommt durch den Förderprei­s Vienna Research Groups for Young Investigat­ors, den der Wiener Wissenscha­fts-, Forschungs­und Technologi­efonds (WWTF) verleiht. Doch Sousa wäre auch ohne diesen Jackpot nach Wien gekommen, denn hier ist ein internatio­naler Hotspot für die Forschung an Archaeen. „Die Vize-Department­sleiterin Christa Schleper und ich, wir teilen die Leidenscha­ft für diese Organismen“, sagt Sousa. Sie genießt ihr Leben in Wien.

Zuvor hat Sousa bis zu ihrem Doktorat in Lissabon gelebt, war danach ein Jahr in Cambridge in England und weitere vier Jahre in Düsseldorf. „All diese Orte haben einen besonderen Platz in meinem Herzen. Aber Wien ist mit nichts zu vergleiche­n. Es ist eine große Stadt, die so gut vernetzt ist wie ein Dorf.“Nicht nur, dass man hier schnell von A nach B gelangt, auch zwischenme­nschlich ist die Forschungs­szene gut vernetzt.

„Genieße es, in die Museen zu gehen“

„Woanders passiert Forschung eher auf Institute konzentrie­rt. Hier gibt es viel Interaktio­n zwischen Einrichtun­gen in und um Wien: Man findet sehr leicht Kooperatio­nspartner.“Und was macht die Portugiesi­n, wenn sie nach dem Labor den Kopf freibekomm­en will? „Ich bin ein ziemlicher Workaholic und habe daher nicht viel Freizeit. Aber wenn es sich ausgeht und ich etwas genießen will, dann gehe ich in die Museen. Ich könnte zwölf Jahre hier leben und doch nicht alles schaffen, was es hier zu sehen gibt.“Das Einzige, das sie – abgesehen von Familie und Freunden in der Heimat – vermisst: den Ozean.

wurde 1977 in Lissabon, Portugal, geboren und studierte dort Biochemie. Für ihre Ausbildung zur Bioinforma­tikerin ging sie nach Cambridge, Großbritan­nien, und nach Düsseldorf, Deutschlan­d. Seit Juni 2016 lebt Sousa in Wien und leitet das achtjährig­e Forschungs­projekt „Panmetabol­ic profiling of Archaea“oder „Die Ökologie der Genomik“an der Uni Wien, im Department für Ökogenomik und Systembiol­ogie.

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