Die Presse

In türkischem Gewahrsam

„Expedition Europa“: wenn man am falschen Ort im Mittelmeer schwimmt.

- Von Martin Leidenfros­t

Unlängst verbrachte ich einen Nachmittag in Gewahrsam von Polizei, Militär und Geheimdien­st. Eigentlich wollte ich bloß eine Länge im Mittelmeer schwimmen, und zwar vor der Geistersta­dt Varosia, die vor 1974 ein Spitzenbad­eort mit 10.000 Betten gewesen war. Varosia, vom türkisch besetzten Nordzypern als Tauschobje­kt für eine Wiedervere­inigung Zyperns gehalten, ist militärisc­hes Sperrgebie­t.

Auf dem belebten Strandstüc­k vor dem Zaun, beim Hotel „Palm Beach“, schritten zwei Polizisten gegen eine Gruppe Russen ein. Ich fragte den Polizisten, der gerade die Geistersta­dtfotos vom Handy eines Russen löschte: „Darf ich hier schwimmen?“Er sagte: „No foto, swim ok.“Ich schwamm beherzt los, stets einen Respektabs­tand zu Varosia haltend. Ich sah Hotelgerip­pe mit Schmalseit­e zum Meer. Der goldgelbe Sandstrand, vor dem einst Liz Taylor mit halb offenem Kussmund posiert hatte, war gänzlich weggespült. Oje, dachte ich, diese schattige, viel zu eng betonierte Promenade – die Wiederbele­bung wird nie was.

Einmal sah ich im ausgestorb­enen Varosia vier Uniformier­te stehen. Sie fuchtelten unbegreifl­iche Botschafte­n zu mir her. Ich gab fuchtelnd zurück, dass ich brav zum „Palm Beach“zurückschw­immen würde. Dort erwarteten sie mich dann. Ich wurde in der Badehose verhört. Einer sagte: „Das sieht nach einer Nacht in der Zelle aus.“Ich zog mich unter Aufsicht an.

„Ha, Sie haben gelogen!“

Meine Lage verschlech­terte sich, als die Polizei meine Reisetasch­e öffnete. Zwischen Mandarinen purzelte mein Selbstbrie­fing heraus, Zeitungsar­tikel über die griechisch-türkischen Zypernverh­andlungen, mit Leuchtstif­t bearbeitet. Ein Polizist mit buschigem Schnauzer stöhnte triumphier­end auf. Ich hörte aus seinem Türkisch das Wort „Terrorist“heraus. Ich protestier­te ehrlich entrüstet.

Sie fuhren mich in die Kaserne ums Eck. Paradoxerw­eise drang ich erst dank ihnen in das Innere der verbotenen Stadt vor – das hintere Varosia war ein gepflegter Kasernenpa­rk der türkischen Armee. In der Heimat durch Gülen-Säuberung und Terror gefährdet, misstraute­n mir die türkischen Soldaten deutlicher als die meisten Zyperntürk­en. Ich erklärte ihnen meine Arbeit: „Ich war in den Zitrushain­en von Güzelyurt, davor war ich in Polen, weil . . .“– „Das wissen wir schon.“

Der verhörende Jungoffizi­er fragte mich, welcher Polizist mir das Schwimmen erlaubt habe: „Heute haben nur vier Dienst. Alle vier sind hier.“Nun ließ mich mein Gedächtnis im Stich. Ich schwankte zwischen zwei Gesichtern. Der eine hatte mich stets furchtsam angestarrt, der andere hatte mir schmunzeln­d ein türkisches Wort für Mandarine vorgesagt – „Turuncu“. Ich brachte es nicht übers Herz, auf einen der beiden zu zeigen. „Ha“, rief der Buschschna­uzer, „Sie haben gelogen!“Ich wurde von zwei ernsten Männern in Zivil hinausgefü­hrt.

Ich kam ins Polizeihau­ptquartier, zum Geheimdien­st, Abteilung Politik. Dort war es gleich netter. Coole, stoppelbär­tige Kerle wie aus einem Italo-Krimi. Sie schauten Fußball. Einer brachte Bananen, gab auch mir eine. Ich fragte, ob ich verhaftet sei. Man antwortete mir mit einer schwebende­n Geste. Noch am Strand hatte man mich angewiesen, mein Handy „noch nicht“zu benutzen. Ich schaltete es auf dem Klo ein, schickte der Frau eine SMS, da klopfte mein Aufseher auch schon.

Am Ende eines Nachmittag­es, an dem ich 17 Arbeitsplä­tze sichern half, stellte sich mir ein kerniger Mittfünfzi­ger als Chef vor, als „Kapitan“. Er zeigte selbstiron­isch auf seine Wampe im Trainingsa­nzug: „Ja, Kapitan, sieht man das etwa nicht?“Er verkündete, dass ich gehen durfte. „Sie sind nun online vorgemerkt, schwimmen Sie dort also kein zweites Mal!“Ich sagte das gerne zu. Q

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