Anita kehrt heim
Auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse: Brigitte Kronauers Roman „Der Scheik von Aachen“.
Ein sonderbares Buch. Dieser Eindruck begleitet durch den 400 Seiten starken Roman Brigitte Kronauers. Gleich zu Beginn schon hervorgerufen durch rhetorische Fragen und in Klammern gesetzte, an den Leser gewandte Erläuterungen und Vermutungen.
In „Der Scheik von Aachen“geht es um Anita, eine junge Frau aus ebendieser Stadt an der deutsch-belgisch-niederländischen Grenze, die nach Jahren des Studiums und der Arbeit in Zürich in ihre Heimat zurückkehrt. Schuld daran ist Mario, ein Wiener, den sie in Zürich kennenlernt und dem sie an dessen Arbeitsplatz in Aachen folgt.
Das Glück der beiden währt nicht lange: Mario verunglückt bei einer Bergtour im Kaukasus tödlich. Schon vorher hat Anita wieder Kontakt zu einer alten Tante in der Stadt gefunden, die sie nun regelmäßig besucht. Eine alte Frau, die auch nach Jahrzehnten nicht über den Tod ihres einzigen Kindes hinweggekommen ist. Anita war selbst noch Kind gewesen, als ihr nur wenige Jahre älterer Cousin von einem Baum gestürzt war. Ein Tod, an dem sie nicht ganz unbeteiligt war.
Brigitte Kronauer schildert die Besuche ausführlich; geduldig beschreibt sie das unaufhörliche Bestreben Anitas, das Tabuthema zwischen ihr und der Tante anzusprechen. Dabei erläutert die Autorin unablässig die gerade ablaufenden und vielfach keineswegs schlüssigen Gedankengänge und Stimmungen ihrer Protagonistinnen. Warum letztlich die eine Figur plötzlich verärgert ist, was in dem Satz der anderen gerade so komisch, vorwurfsvoll oder anzüglich war, dass ihr Gegenüber darauf so schroff, ungehalten oder amüsiert reagiert, bleibt dann allerdings oft unverständlich. – Weiter in der
Brigitte Kronauer Der Scheik von Aachen Roman. 400 S., geb., € 23,60 (Klett-Cotta Verlag, Stuttgart) Handlung: Anita, die vorerst im Scherzartikelladen des homosexuellen Antiquitätenhändlers Marzahn arbeitet, bis sich ihr an der Hochschule eine Berufsaussicht bietet, lernt auf dem Weg heim vom Besuch bei der Tante einen Mann kennen: Unscheinbar, unaufdringlich ist er, und doch weiß man vom ersten Zusammentreffen der beiden an, dass sie ein Paar werden, wenn sich der Mann nicht allzu ungeschickt anstellt.
Das macht er auch nicht, hütet sich vor allen Annäherungen, die Anita erwartet und später insgeheim wohl erhofft. Es ist nicht verwunderlich, dass sie, die früher manchen Mann zur Strecke bringen konnte, unmerklich diesem unauffälligen Berater für Heimatmuseen verfällt. Die Annäherung der beiden beschreibt die Büchner-Preisträgerin Kronauer mit einer gewissen Zartheit. Die Charaktere ihrer Personen geraten ihr hingegen nicht wirklich plastisch. Immer wieder blitzt es zwar grün in den Augen der Tante. Aber ist sie nun eine liebenswürdige, zerbrechliche Dame oder eine alte Hexe? Die Beschreibung schwankt oft zwischen Extre-
Qmen, vereint auf irritierende Weise Widersprechendes. Auch Anita ist eine eigenartige Figur, selbst wenn die Autorin nie im Ungewissen lässt, was ihre Protagonistin soeben zu sich sagt. Mitunter lässt sie sie auch laut mit sich sprechen. Daraus entstehen Monologe, aus denen sich der Großteil des Romans zusammensetzt. Selbst die Besuche bei der Tante oder ein Essen Anitas mit ihrem Dienstgeber Marzahn sind solche Monologe jeweils der einen Seite, lediglich unterbrochen durch eine Bemerkung zur Beschreibung zwecks Auflockerung.
Man wird den Eindruck nicht los, dass die Autorin in den Monologen ihre eigene Weltsicht darlegen will. Dabei wirkt die Sprache heterogen, weil sie Worte diverser Genres und Schichten zusammenspannt. Zwar ist Kronauers Wortschatz reich, doch wirken manche Sprachschöpfungen konstruiert. Da gibt es ein „Korsett für den fruchtbaren Schädelschlamm zu dessen eleganter Deformation“oder „die Kraft zum Idolisieren“.
Die Botschaft solch gewollt verschlungener Ausdrucksweise – die als direkte Rede unnatürlich wirkt – erschließt sich kaum. Das Schlusskapitel sollen zu Papier gebrachte Gedankenfragmente des nur mäßig sympathisch gezeichneten Herrn Marzahn sein, doch erscheinen sie wie eine Sammlung von Aphorismen, in keinem zwingenden Zusammenhang zum vorangegangenen Geschehen im Buch.
Dann freilich, in einem Kapitel, in dem Anita und der Mann an ihrer Seite den Kohleabbau nahe Aachen samt den bereits abgesiedelten Dörfern an seinem Rand besuchen, erzeugt die vielfach ausgezeichnete Autorin eine eindringliche Stimmung. Wie ihr in diesem Roman überhaupt Landschafts- und Wetterbeschreibungen überzeugender von der Hand gehen als die Modellierung der Figuren kraft Wiederholung einer Handvoll Eigenheiten, um sie mehrdimensional wirken zu lassen.