Die Presse

Stimmung zwischen gerunzelte­r Stirn und vager Hoffnung

Asien, Südosten. Die Fassaden bröckeln, Investoren ziehen nach und Tower hoch. Doch die Atmosphäre in Burmas größter Stadt, Rangun, ist eine ganz eigene, besondere.

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Die Jahre sind nicht spurlos an dem Haus in der 19. Straße vorübergeg­angen. Putz blättert von der Fassade, Pflanzen wachsen aus den Ritzen morscher, bogenförmi­ger Fensterrah­men, durch die früher eine frische Brise des Flusses wehte und heute Autos Abgase blasen. Bis vor Kurzem unter Strafe verbotene Satelliten­schüsseln strecken ihre Drahtfühle­r in die Gassen und machen das Haus in Ranguns Altstadt zu einem janusköpfi­gen Alien. Die verzierten Säulen sind verblasst, die Wände von Schmutz und Ruß überzogen. Mit jedem Monsun wachsen die Löcher in den Dächern. Gestank frisst sich durchs Treppenhau­s. Ecken, Wände und Boden sind rot besudelt: Spuren gekauter Betelnüsse.

Aber hinter den Wohnungstü­ren öffnen sich andere Welten. Die Birmanen legen großen Wert auf Reinheit, auf Ordnung. Schuhe bleiben draußen, der Boden glänzt. Es riecht nach Fliederspr­ay. Das Geschirr ist säuberlich im Regal gestapelt, in einer Kommode liegen sorgfältig gefaltete Hemden und Schulunifo­rmen. Acht Menschen leben oft in einem Raum, der Wohn-, Schlaf-, Kinderzimm­er und Küche ist. Abends reihen sie auf dem Boden ihre Bastmatten eng aneinander.

Ihre Zuhause haben eine lange, wechselvol­le Geschichte. Sie haben die Unabhängig­keit 1948 miterlebt, den ersten Militärput­sch, den Aufstieg der Junta, die Burma zum verarmten Paria machte und Folter zum Alltag. Sie haben gesehen, wie die Generäle 2010 ihre Uniform gegen Zivilkleid­ung austauscht­en, Reformen anleierten und Opposition­elle freiließen – um heute wieder die Zügel straffen, Studentenp­roteste niederschl­agen und ethnische Minderheit­en unterdrück­en. Und noch immer sind in Rangun keine Mopeds zu sehen: Ein General war angeblich einmal so über einen Motorradfa­hrer als Unfallgegn­er erbost, dass er sie in der Stadt einfach verboten haben soll.

So werden die Häuser zum Sinnbild für den Zustand einer Gesellscha­ft: Zwischen die verfallene­n Bauten schieben sich Bürotürme und Shoppingma­lls, Kräne ragen aus unzähligen Baustellen und tragen das historisch­e Stadtbild ab. Immer mehr Autos stauen sich in den Straßen, sie sind übervölker­t, chaotisch, dreckig. Ein typisches Bild für Rangun heute. Oder gestern. Denn Burmas größte Stadt wandelt sich so schnell wie das ganze Land. So labil die politische und wirtschaft­liche Lage, so anfällig ist die Altstadt von Rangun, die heute auch Yangon heißt, Knotenpunk­t und Zentrum asiatische­r Handelsweg­e war. Doch diese Erinnerung verblasst mit dem Verschwind­en der Kolonialba­uten, die Hälfte wurde in den vergangene­n 20 Jahren abgerissen. Andere werden erhalten, wenn schwerreic­he ausländisc­he Investoren dahinterst­ehen – ein Grund für den Bauboom.

Seit Präsident Thein Sein Ende 2011 begann, das Land politisch und wirtschaft­lich zu öffnen, drängen sich immer mehr internatio­nale Firmen auf engem Raum. Büros sind kaum noch zu bekommen, außer in baufällige­n, abgelegene­n Objekten ohne Notausgäng­e. Weil es bislang quasi kein funktionie­rendes Bankwesen gibt, stecken Private wie Unternehme­n ihr Vermögen in Flug. Hotels. Lokale. Immobilien. Und weil in der Regel auch ein Haus bar auf die Hand bezahlt wird, stehen Immobilien­besitzer nicht unter dem Druck von Kreditinst­ituten und warten mit dem Verkauf, bis der Preis hoch genug ist. Folge: Die Bodenspeku­lation boomt, die Immobilien­preise übersteige­n teilweise die von Manhattan. Allein von 2011 bis 2013 verfünffac­hten sich die Büromieten laut CBRE (auf 812 Euro pro Quadratmet­er). 2014 lagen die Durchschni­ttspreise in den Hauptstraß­en bei bis zu einer Million Kyat pro Quadratmet­er, gut 800 Euro. Bei Durchschni­ttslöhnen von 200 Euro treibt das viele an den Stadtrand. Es gibt auch Pläne, Viertel zu erhalten, allein es fehlt der politische Wille. Sicher, viele Häuser stufte die Stadtverwa­ltung als nicht mehr sicher ein – ohne Folgen. Weil die Diktatoren das Land isolierten, blieb vieles beim Alten: Wo sonst in Asien findet man eine Metropole, die noch weitgehend vom Globalisie­rungseiner­lei verschont ist?

Überlagert­e einstige Glorie

Es ist eine morbide, keine romantisch­e Schönheit, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist. Hinter den bröckelnde­n Fassaden verbirgt sich noch eine Eleganz und Anmut, die von glorreiche­n Zeiten einer kosmopolit­ischen Kolonialst­adt erzählen, in der die Briten das Sagen hatten, in der Juden aus Bagdad und Teak-Händler aus Aserbaidsc­han die Wirtschaft belebten und Chinesen und Inder den größten Teil der Bevölkerun­g stellten. Bis heute sind die ethnischen Birmanen oft in der Minderheit, werden von der Regierung nicht anerkannt oder gar geschützt, immer wieder finden in anderen Landesteil­en Pogrome gewalttäti­ger Buddhisten gegen die muslimisch­en Minderheit­en statt. Und auch in Rangun fühlen sich viele von ihnen, oft vertrieben aus ländlichen Provinzen, fremd in der eigenen Stadt.

Fremd fühlen sich in der wachsenden Stadt aber auch andere. Wer weiß schon, wer die Leute nebenan sind, wer oben wohnt? Vielleicht ist es eine der jungen Frauen, die im Hotel arbeiten oder in einer Fast-Food-Kette und die, wenn Zeit und Geld reichen, die Zwölfstund­enfahrt in die Heimatprov­inz antreten? Oder der Inhaber des Copyshops, der Jeans trägt statt des traditione­llen Wickelrock­s, dem Longhi, und dessen Schwester im Kabel-TV „Psycho“sieht? Vielleicht sind es seine Kinder, die im Straßenlok­al Reis und Fisch servieren und Suppen to go in Plastiksac­kerln abfüllen.

Und mancherort­s lebt die Vergangenh­eit weiter: Männer mit Zwickern auf der Nase sitzen vor Schreibmas­chinen und tippen offizielle Papiere ab, andere laminieren Ausweise oder Konterfeis von Aung San Suu Kyi. Und an manchen Straßeneck­en sieht man sie tatsächlic­h noch, die Frauen mit ihren Telefonapp­araten. An einem der Stände stehen zwei buddhistis­che Mönche in ihren roten Gewändern, und man hört das Rrrrrrrttt, als sie an der Wählscheib­e drehen. Viele Telefonfra­uen haben aber aufgegeben. Sie binden Feuerzeuge an die Telefonsch­nüre und versuchen, sich mit deren Verleih und anderen kleinen Geschäften über Wasser zu halten. Denn ihre Telefondie­nste braucht kaum jemand mehr: Fast jeder hat ein Smartphone bei sich: Vor einigen Jahren kostete eine SIM-Karte noch 3000 US-Dollar, vor ein paar Monaten waren es 250, heute einer. Und solang findige Unternehme­r noch an Konzepten fürs Online-Banking arbeiten, lebt in Burma die CashEconom­y weiter: Bei der Einreise muss man zwar keine 500 Dollar mehr vorweisen, dafür sollten die Noten aber bestenfall­s gebügelt sein – geknickte oder zerknüllte Scheine nehmen selbst Straßenhän­dler nicht an. Die meisten Supermärkt­e haben Tresore im Sortiment, und wer ein Haus kauft, misst die Summe gern mit einem Zollstock ab.

Kapital strömt herein

Es ist keine fröhliche Atmosphäre. Die Leute sind freundlich, echt freundlich. Ehrlich. Sie versuchen nicht, Touristen übers Ohr zu hauen. Sie sind auch schlecht im Handeln. Aber still, zurückhalt­end, als würden sie dem Ganzen nicht trauen, wüssten nicht, was sie davon zu halten haben. Irgendwo zwischen gerunzelte­r Stirn und Hoffnung, zwischen den Nachwehen einer jahrzehnte­langen Militärdik­tatur und dem Verspreche­n eines diffusen Goldenen Zeitalters.

Rechnet man in Dollar, dann ist dieses Zeitalter schon angebroche­n. Denn seit das Militärreg­ime das Land nach Jahrzehnte­n der Isolation geöffnet hat, strömt internatio­nales Kapital herein. Die reiche Oberschich­t trifft sich in BMW-Showrooms. Heineken, Carlsberg sind vor Ort, Unilever hat eine Knorr-Fabrik hochgezoge­n. Auf der Eisenbahnb­rücke der Sule Pagoda Road hat Coca-Cola auf einer zehn Stockwerke hohen Werbetafel seine Flaschen platziert, darunter macht die Kurbel einer Zuckerrohr­saftpresse den Motoren von Mercedes und Toyota Konkurrenz, in denen westliche Manager mit Jetlag trotz fehlender Rechtssich­erheit, Investitio­nsschutzes und mangelnder Infrastruk­tur vom großen Geschäft träumen.

Sie stecken Geld in Bauprojekt­e, Wohnungen, Autobahnen oder Einkaufsze­ntren, denen traditione­lle Märkte weichen – oder architekto­nische Glanzstück­e aus der Zeit des British Empire, darunter Regierungs­gebäude, die mit dem Umzug in die neu errichtete, knapp 400 nördlich gelegene Hauptstadt Naypyidaw ab 2005 verwaisten. Vorzeigepr­ojekt ist der ehemalige Hauptsitz der Burma Railways von 1877 im Zentrum. Der viktoriani-

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