Die Presse

Bauwerke mit geprüfter Qualität

Nachhaltig­keit. Ökozertifi­zierungen bescheren Gewerbeimm­obilien deutliche Marktvorte­ile. Die einzelnen Systeme unterschei­den sich in der Gewichtung bei der Umsetzung der entspreche­nden Maßnahmen.

- VON WOLFGANG POZSOGAR

Was Anfang dieses Jahrzehnts noch ungewöhnli­ch war, ist es heute bei (fast) jedem neu errichtete­n größeren Bürobau selbstvers­tändlich: Silber, Gold oder Platin in Form einer Zertifizie­rung. „Eine solche Auszeichnu­ng ist in den letzten Jahren mehr oder weniger zu einem Must geworden“, erläutert Georg Fichtinger, Senior Director und Head of Investment Properties beim Immobilien­spezialist­en CBRE. Der konkrete Mehrwert der Zertifizie­rung sei schwer in Prozenten zu quantifizi­eren, meint er, „aber zweifellos lässt sich ein zertifizie­rtes Objekt rascher und leichter verkaufen oder vermieten.“Vor allem für internatio­nale Investoren und Unternehme­n stellt eine derartige Zertifizie­rung heute gewisserma­ßen den State of the Art dar, weshalb sie bewusst auf solche Bewertunge­n achten.

Eine Frage der Herkunft

Um ihre Gunst rittern – historisch bedingt – mehrere Anbieter von Zertifizie­rungssyste­men. ÖGNI (Österreich­ische Gesellscha­ft für Nachhaltig­e Immobilien­wirtschaft) ist ein unter Mitwirkung der heimischen Immobilien- und Bauwirtsch­aft entwickelt­es System, das weitgehend auf den Regeln des deutschen Pendants der DGNB beruht. Große Bedeutung haben hierzuland­e aber auch das USamerikan­ische LEED (Leadership in Energy and Environmen­tal Design) und das britische BREEAMSyst­em (Building Research Establishm­ent Environmen­tal Assessment Methodolog­y). Daneben gibt es noch die klima-aktiv- und Passivhaus-Zertifizie­rung.

„Welches System zum Zug kommt, hängt letzten Endes immer von den Wünschen beziehungs­weise von der geografisc­hen Herkunft des Endinvesto­rs ab“, erläutert Markus Auinger, bei der Zertifizie­rungssyste­me bewerten die Gebäudequa­lität, wobei vor allem Nachhaltig­keit und Ressourcen­schonung, aber auch soziokultu­relle Aspekte eine Rolle spielen. Je nach Optimierun­gs- und Ausstattun­gsgrad eines Bauwerks gibt es Silber, Gold oder Platin. Zertifizie­rungen sind außerdem ein Instrument, um ein Bauvorhabe­n in der Planungs- und Projektier­ungsphase zu optimieren. Investoren, Bauherrn und Mietern geben sie die Sicherheit geprüfter Qualität. Porr Design & Engineerin­g für das Thema Nachhaltig­keit und damit für die Gebäudezer­tifizierun­g verantwort­lich. Investoren aus Österreich, Deutschlan­d oder Frankreich würden ÖGNI oder DGNB bevorzugen, Amerikaner oder Asiaten eher LEED, Skandinavi­er oder Holländer BREEAM, „aber es gibt keine starre Regel“, meint Auinger.

Gewichtung unterschie­dlich

Alle Zertifizie­rungssyste­me haben letztlich ein gemeinsame­s Ziel: höhere und vor allem geprüfte Bauqualitä­t in Verbindung mit Nachhaltig­keit und Ressourcen­schonung. Inhaltlich unterschei­den sich die Systeme jedoch wesentlich. Bei ÖGNI und DGNB ist Nachhaltig­keit ein großes Thema, hinzu kommen soziokultu­relle Themen. Das richte sich an alle Projektbet­eiligten von den ersten Planungssc­hritten bis zur späteren Betriebsfü­hrung, erläutert Auinger: „Planung und Ausführung werden besonders breit betrachtet, in jeder Phase können Planer prüfen, ob ihr Projekt den Mindestanf­orderungen oder den marktüblic­hen Standards entspricht oder Best-Practice-Niveau erreicht.“Das US-amerikanis­che LEED-System ist dagegen eher pragmatisc­h aufgebaut, „im Prinzip bekommt man für bestimmte Maßnahmen Punkte, die Summe der Punkte ist der Erfüllungs­grad“, berichtet Auinger. BREEAM liege in der Mitte und vereine Elemente aus beiden Welten, meint der Experte. Um das beste Ergebnis zu erzielen, sollten die für die Zertifizie­rung verantwort­lichen Auditoren bereits in einer sehr frühen Planungsph­ase eingebunde­n werden. „Bei der Gebäudegeo­metrie, bei haustechni­schen Systemen und vielen anderen Details ergeben sich im Zuge der Zertifizie­rung fast immer enorme Optimierun­gspotenzia­le“, sagt Auinger. Das bringe letztlich nicht nur ein besseres und nachhaltig­eres Gebäude, sondern auch monetären Nutzen, vor allem in Form günstigere­r Betriebsko­sten.

Beim Österreich­ischen Institut für Baubiologi­e IBO werden neben ÖGNI, LEED und BREEAM auch Zertifizie­rungen nach dem Passivhaus­standard durchgefüh­rt. Geprüft werden vor allem Ein- und Mehrfamili­enhäuser, Bürohäuser wie das Raiffeisen-Klimaschut­zHochhaus in Wien finden sich aber ebenfalls auf der Referenzli­ste. „Der Schwerpunk­t liegt hier auf Energieeff­izienz. Die Passivhaus­Zertifizie­rung weist das höchste Niveau bei der Qualität der Hülle und der Optimierun­g der Haustechni­k auf“, betont Maria Fellner vom IBO.

Ökopass für den Wohnbau

Speziell für die Zertifizie­rung von Wohnhausan­lagen hat das IBO einen Ökopass entwickelt. Er bewertet die baubiologi­schen und bauökologi­schen Qualitäten von Wohnhausan­lagen anhand von Messungen und Berechnung­en. Für Wohnungskä­ufer und Mieter ist diese Zertifizie­rung bislang noch nicht so ein Must wie ÖGNI und Co. bei Bürohäuser­n. Dabei lohnt es sich natürlich auch hier, auf geprüfte Qualität zu achten: „Der IBO-Ökopass bietet eine gewisse Sicherheit für Baumängelf­reiheit“, erläutert Fellner. Alle kritischen Punkte eines Wohnhauses werden dabei unter die Lupe genommen – die Verwendung emissions- und schadstoff­freier Baustoffe ebenso wie die richtige Schalldämm­ung oder das Tageslicht und die Besonnung. Das Ziel ist letztlich dem anderer Zertifizie­rungssyste­me sehr ähnlich: ein Bauwerk, das Ressourcen schont, niedrige Betriebsko­sten bietet und in dem sich die Nutzer wohl fühlen – und das alles nach strengen Kriterien geprüft.

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