Die Presse

„Eine neue Zerbrechli­chkeit“: Interview Hugo Portisch

Interview. Hugo Portisch spricht im „Presse“-Interview über die Gefährlich­keit des neuen US-Präsidente­n, die Ähnlichkei­t zwischen Trump und Putin und das Credo der amerikanis­chen Journalist­enausbildu­ng.

- VON RAINER NOWAK

Die Presse: Zum 90. Geburtstag erhält man normalerwe­ise Orden, Geschenke, Glückwünsc­he – und Sie müssen Interviews am laufenden Band geben. Stelle ich mir nicht so gemütlich vor. Hugo Portisch: Ich wollte ja überhaupt nicht gefeiert werden. Ich belästige die Leute damit, habe ich den Eindruck.

Und Sie haben ein Buch geschriebe­n. Auf Drängen des Verlegers, und weil mir das auch ein Anliegen war.

Es gab ja die vorherrsch­ende Meinung: Donald Trump kann nicht Präsident werden. Dann wurde er Präsident, die Aufregung war groß. Es gibt aber auch die Sichtweise, das System sei so stark, dass ein Einzelner nicht viel kaputtmach­en kann. Im Prinzip glaube ich das auch. Aber bei Trump bin ich mir nicht sicher, der kümmert sich um nichts. Die Justizmini­sterin hat gesagt, sein Dekret zum Einreiseve­rbot der Muslime ist nicht in Ordnung, da hat Trump sie gefeuert. Ich glaube, er wird das mit jedem machen, der ihm widerspric­ht.

Sind Sie optimistis­ch oder pessimisti­sch? Ich bin abwartend, ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, welchen Einfluss die Berater haben werden. Er hat einige ganz vernünftig­e Leute um sich, andere Entscheidu­ngen sind hanebüchen. Den stärksten Gegner des Umweltschu­tzes macht man zum Umweltmini­ster! Einen verrückten General zum Verteidigu­ngsministe­r!

Kann man Trump mit irgendjema­ndem bisher vergleiche­n? Ich war seit den Fünfzigerj­ahren bei jeder US-Wahl dabei, es war keiner vergleichb­ar.

Eine Lesart der Trump-Politik ist ja, dass Europa jetzt noch schneller gezwungen sein wird, sich selbst zu organisier­en. Das ist auch der Zweck meines Buchs – es ist ein Weckruf an Europa. Trump hat ausdrückli­ch erklärt, dass die EU vernichtet gehört. Und sein EU-Botschafte­r, der kommt auch mit dieser Mission. Und wie soll Europa reagieren? Alle Probleme in Europa wären lösbar, wenn wir zusammenha­lten. Das sehe ich aber nicht in Europa. Die postkommun­istischen Staaten haben sich auf die Verweigeru­ngsspur gestellt, für die ist Europa kein Ziel, war nie ein Ziel. Ist auch kein Wunder, die haben ihren Nationalis­mus als Waffe gegen den Kommunismu­s geführt, und das kann man nicht so schnell umstellen. Früher war man Pole, damit man Antikommun­ist sein konnte. Jetzt soll man proeuropäi­sch sein, das ist schwer vorstellba­r.

Was bleibt dann noch von Europa? Das ist ja ein düsteres Bild. Da gibt es nur noch Angela Merkel allein auf weiter Flur. Die ist eben nicht ganz allein, in Deutschlan­d gibt es noch Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz, das ist immerhin ein Spitzentri­o.

Und wie schätzen Sie Frankreich jetzt ein? Ich glaube immer noch, dass die Voraussetz­ung, damit die Europäisch­e Union überhaupt kraxeln kann, eine Achse Berlin–Paris ist. Das ist die Voraussetz­ung für heute und auch für morgen.

War es nicht ein fundamenta­ler Fehler der Europäisch­en Union, sich militärisc­h nicht als Macht zu verstehen, stattdesse­n als Nato-Teil? Ein entscheide­nder Fehler. Die haben sich nach hinten gelehnt, es kann uns nichts passieren, hinter uns steht Amerika, die schützen uns mit ihrem Atomschirm, Verteidigu­ng kann man vernachläs­sigen.

Und diese Annäherung von Trump und Putin, ist das echt oder nur Inszenieru­ng? Ich glaube, das ist eine, von der Trump sogar träumt. Der möchte das gern, er glaubt, er findet dort einen im Prinzip Gleichgesi­nnten, auch einen, der schnelle Lösungen will – den Eindruck hat er vermittelt.

Würden Sie sagen, wir leben in einer besonders gefährlich­en Zeit, oder nehmen wir das nur so wahr, weil hinter uns so eine friedvolle Dekade liegt? Ich habe immer ein absolutes Vertrauen in das Krisenmana­gement der Großmächte gehabt. Selbst dann, als es fast schon zu spät war wie in der Kuba-Krise. Putin hat feste Vorstellun­gen, was er will, Trump hat ebenfalls feste Vorstellun­gen. Das Risiko ist nur, dass Putin Trump über den Tisch ziehen wird.

Diese Ära, in der wir sind, wie würde man die beschreibe­n? Ende der Geschichte, Kommunismu­s besiegt, Eiserner Vorhang gefallen, Wachstum ohne Ende. Und dann kamen eben die späten Nullerjahr­e: Terror, Finanzkris­e, Wirtschaft­skrise, Putin, Trump – das ist wie eine neue Zerbrechli­chkeit. Ich würde es genau so schildern – eine neue Zerbrechli­chkeit. Und in Europa deshalb eine gefährlich­e Zerbrechli­chkeit, weil wenn man diese Europäisch­e Union vor die Hunde gehen lässt, ist sie nicht mehr wieder ganz zu machen. Man weiß ja nicht, wie die Rechtspopu­listen in nächster Zeit abschneide­n werden.

Ist das nicht auch ein großes gesellscha­ftspolitis­ches Problem unserer Zeit, dass wir in Europa auch aufgrund der historisch­en Erfahrunge­n, des Holocaust, des Zweiten Weltkriegs und durch die Erziehung ganzer Generation­en eigentlich mit Krieg nichts mehr zu tun haben wollen? Und uns deshalb nicht wehren können? Es ist ganz bestimmt so, die Kriegsschu­ld und die Holocaust-Schuld, die haben das alles mit bewirkt. Aber es ist natürlich auch ein Fehler der Politik, das nicht zu überwinden.

Aber ich gehe noch einen Schritt weiter und sage, es sind auch die Faulheit und die Angst einer ganzen Gesellscha­ft. Ein typisches Beispiel: Kaum ist es in Syrien brenzlig geworden, schon hat Österreich seine UNO-Soldaten abgezogen. Beklatscht vom kleinen Format. Jaja, sicher. „Bringt’s unsere Buam ham.“Ich habe das sehr kritisiert. Ich habe das schon im Kongo nicht verstanden. Wurde dort unser Kontingent belagert und da war eine Steirerin dabei, ist der steirische Landtag zusammenge­kommen, hat gesagt, sofort Schluss machen im Kongo, da ist unsere Franziska. Die Einstellun­g ist schrecklic­h.

Österreich verwechsel­t Neutralitä­t, Pazifismus und Nichtsolid­arität ständig miteinande­r. Stimmt. Ist ja interessan­t, dass die Neutralitä­t nicht von den Russen erfunden worden ist, sondern die hat Eisenhower erfunden, der amerikanis­che Präsident.

Nehmen Sie das auch so wahr, dass die Kinder der Zweiten Republik bis in die Achtzigerj­ahre eigentlich mit dem Gefühl aufgewachs­en sind, es wird alles besser. Und jetzt ist plötzlich das Gefühl da draußen: Nein, es wird nicht besser, es wird vielleicht schlechter. Ich weiß nicht, ob das wirklich eine Grundstimm­ung ist. Die jungen Leute, die ich kenne, die sind sich vollkommen bewusst, dass man leisten muss. Wenn man leistet, kommt man auch weiter.

Eine der Hauptfront­en, Hauptbruch­linien bei Trump sind die Medien. Die Medien lügen, die Medien verdrehen, die Medien schreiben gegen ihn an. Wie sollten sich die Medien verhalten? Ich bin ja in eine amerikanis­che Journalist­enschule gegangen.

Ich weiß. In der Stunde eins hat der Dekan gesagt: Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit – ihr dürft nicht abweichen von der Wahrheit. Wenn ihr irgendwann abweicht von der Wahrheit, dann ruiniert ihr das Ansehen der Zeitung, und ihr ruiniert euren eigenen Ruf, eure eigene Marke.

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„Putin hat feste Vorstellun­gen, was er will, Trump hat
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[ Clemens Fabry ] Vorstellun­gen. Das Risiko ist nur, dass Putin Trump über den Tisch ziehen wird.“

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