Die Presse

„Drei sind wir“, doch nur für ein einziges Jahr

Burgtheate­r Vestibül. Die österreich­ische Erstauffüh­rung des preisgekrö­nten Stückes von Wolfram Höll über ein sterbendes Kind wird von Valerie Voigt-Firon stimmig inszeniert, von drei Darsteller­n gekonnt umgesetzt.

- VON NORBERT MAYER 10., 13., 16. 3., Staatsoper

Ein Kind wird geboren, doch höchstens ein Jahr Leben sei ihm geschenkt, sagt der Arzt den schockiert­en Eltern. Seine Diagnose: Trisomie (ein Chromosom oder ein Teil davon liegt bei dem Baby dreifach statt zweifach vor). Die Eltern beschließe­n, nach Kanada auszuwande­rn, dieses eine Jahr ganz dem Kind zu widmen. Das ist die Ausgangssi­tuation für Wolfram Hölls so bedrückend­es wie beeindruck­endes Stück, für das er im Vorjahr erneut den Mülheimer Dramatiker­preis gewonnen hat. Am Schauspiel Leipzig wurde „Drei sind wir“vor einem Jahr uraufgefüh­rt. Am Sonntag gab es am Burgtheate­r im Vestibül die österreich­ische Erstauffüh­rung. Valerie Voigt-Firon hat eine im Vergleich straffe, einstündig­e Inszenieru­ng geschaffen, sensibel, stimmig, von einem hervorrage­nden Trio gespielt.

Vier Jahreszeit­en in der Fremde

Marie-Luise Stockinger, Tino Hillebrand und Marcus Kiepe sind souverän bei der Umsetzung dieses schwierige­n, vielschich­tigen, anspielung­sreichen Textes, bei dem die Rollen nicht eindeutig zugeordnet sind. Neben den Eltern kommen auch Verwandte und ein freundlich­er, französisc­h sprechende­r Helfer in der Fremde vor. Die Inszenieru­ng legt großen Wert auf das Wort, man hält sich mit Aktionen klug zurück. Eylien König hat das Bühnenbild auf eine Wand reduziert, hinter der die Eltern die Diagnose erfahren. Verschiebb­are Öffnungen in der Wand, die später auch als Projektion­sfläche für bewegliche Bilder dient, geben anfangs nur beschränkt­e Blicke auf die Schauspiel­er frei. Vorn auf der Bühne: drei Masken und ein großes Schwungrad auf dem Boden. Maskiert wird hier über das Ende gesprochen, mit dem Rad dreht sich die Zeit. Und ein Video ver- deutlicht all das Vergänglic­he: Pacman rast hinten über die Fläche, frisst Rechtecke auf. Frühling, Sommer, Herbst und Winter vergehen, bis zum bitteren Schluss. Da werden dann Dutzende Zinkeimer aufgestell­t, Schläuche für Ahornsirup in Bäume getrieben. Oder sind es doch Kanülen für ein sterbendes Kind? Das Ende, nach einer Zeit der Annäherung­en, der Skrupel und versuchten Fluchten (die Alten machen eine Rundreise, die Eltern einen spontanen Ausflug), ist nicht süß. Der Winter ist aus. Das Haus, dessen Scheiben am Anfang schmutzig waren, ist sauber geputzt, vorn steht ein Schild mit weißer Schrift: „Zu vermieten.“

„Jeden Tag wird er ein wenig weniger“

Vorgetrage­n wird ohne Pathos, lakonisch, rhythmisch durchkompo­niert, in Soli, Duetten, Terzetten, die eine Fülle an Wortspiele­n variieren, ausgelöst durch kleine Szenen, etwa beim Einkaufen mit dem Kind, beim Fischen mit dem verrückten Onkel, im Gespräch mit der resoluten Urgroßmutt­er, die schwache Erinnerung­en an eine ferne Amerikarei­se ihres Mannes wachruft. Auch die Erinnerung an das Kind droht zu verblassen: „Jeden Tag wird er ein wenig weniger, jeden Tag ist er derselbe und doch ein anderer.“

 ?? [ Georg Soulek ] ?? Trauerarbe­it, von Tino Hillebrand, Marcus Kiepe und Marie-Luise Stockinger exzellent gespielt.
[ Georg Soulek ] Trauerarbe­it, von Tino Hillebrand, Marcus Kiepe und Marie-Luise Stockinger exzellent gespielt.

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