Monte Carlo: Minnesang a` la francaise¸
Im Opernhaus von Monaco debütierte Jose´ Cura als Richard Wagners Tannhäuser. Dirigentin Nathalie Stutzmann hat die Pariser Fassung, die der Komponist selbst einstudierte, genau rekonstruiert.
Für die Wagner-Gemeinde war diese Premiere von besonderer Bedeutung. Monte Carlo avisierte den „Tannhäuser“mit Jose´ Cura in der Titelpartie! Das Ergebnis war, um das gleich vorwegzunehmen, sensationell. Der bis dato nur im italienischen und französischen Repertoire aktive Argentinier bewältigte die notorisch kräfteraubende Rolle auf höchstem Niveau: Wo Kollegen glücklich sind, „durchzukommen“, gebietet Cura über die denkbar breitste Ausdruckspalette.
Zyniker könnten behaupten, von diesem Tenor im angestammten Fach lange keine dermaßen differenzierte Leistung mehr gehört zu haben. Das mag daran liegen, dass Cura sich der Grenzerfahrung mit höchstem Respekt genähert hat. Im Duett mit Elisabeth – der in Wien aus der Volksoper bestens bekannten Annemarie Kremer (sie war zuletzt Korngolds „Heliane“) – staunte man über die rhythmische Präzision in den heiklen Achtelpassagen, die zudem vom Orchester im vorgeschriebenen „Stringendo“immer weiter vorangetrieben wurden.
Die Altistin am Dirigentenpult
Am Pult – die nächste Überraschung des Abends – die als Altistin berühmt gewordene Nathalie Stutzmann. Sie dirigiert nun und nimmt Wagners Musik mit Elan, bedacht auf den Zusammenhalt großer melodischer Bögen. Und sie gönnt sich einige RitardandoAuftakte, die man gern als unidiomatisch bezeichnen würde; allein: Man singt den „Tannhäuser“in Monte Carlo nicht auf Deutsch, sondern in französischer Sprache!
Das erklärt nicht nur manch flüssige Phrasierung und bewegte Tempi, sondern macht die Sache auch aus historischer Sicht spannend. Tatsächlich hat man im kleinen, prunkvollen monegassischen Opernhaus die Pariser Fassung der Oper rekonstruiert.
Und zwar akribisch. Wagnerianer wissen ja um die Unterschiede zwischen dem Dresdner Original und der – dank chauvinistischer Proteste grandios gescheiterten – Pariser Version; was freilich niemand bedenkt, wenn es um die Fassungs-Frage geht: Man sang unter Wagners Leitung damals Französisch. Selbstverständlich, möchte man hinzufügen. Der „Originalsprachen“-Wahn ist ein Phänomen der jüngsten InterpretationsGeschichte. Noch Hofmannsthal und Strauss waren besorgt um die jeweilige Textgestalt ihres „Rosenkavaliers“und wären nicht auf die Idee gekommen, dass man ihr „Konversationsstück“in Mailand, Lyon oder London auf Deutsch singen könnte . . .
Womit des monegassischen Rätsels Lösung geliefert wäre: Niemals, gestand Jose´ Cura nach umjubeltem Debüt, hätte er es gewagt, Tannhäuser in der Originalsprache zu singen, die er nicht beherrscht. Französisch jedoch stellte sich für den Sänger nicht nur phrasierungstechnisch, sondern vor allem artikulatorisch eine Vertrautheit ein, die ihm über die ersten Hürden hinweghalfen.
Liedgesang, deutsch oder französisch
Die nächsten, ungemein schwierig zu meisternden Aufgaben löste Cura mit seiner Musikalität. Dass der „Tannhäuser“eine Minnesänger-Oper ist, in der es weithin ums Liedersingen geht, kann man schließlich nicht allein den Gesängen des Wolfram von Eschenbach entnehmen, den diesmal JeanFrancois¸ Lapointe mit edel strömendem Bariton sang.
Auch der Titelheld besingt zunächst die Venus – eine mit Urtemperament und ohne Rücksicht auf Mezzo-Verluste in Sopranhöhen aufreizende Aude Extremo´ – in hymnischen Strophen, die Cura vom rezitativischem Parlando in exaltierte Vokal-Eruptionen zu steigern weiß. Er unterbricht auch den „Sängerkrieg“, den der Landgraf von Steven Humes salbungsvoll einbegleitet, quasi improvisatorisch, spontan, um sich in einen Furor der Leidenschaft zu steigern.
Im großen Ensemble, dem Knackpunkt jeder Tannhäuser-Interpretation, versteht es Cura, die sonst so (stimm-)mörderisch scheinenden „Erbarm dich mein“-Rufe in „französischem“Stil mittels Voix mixte in edle Gesangsphrasen zu verwandeln – und dennoch auch gegen starke Chor- und Ensemble-Konkurrenz durchwegs vernehmbar zu bleiben.
Die Mischung aus beredter Erzählung und extrovertiert-selbstvergessenem Ausdruck kulminiert in einer „Romerzählung“, die jene atemlose Spannung, die schon Annemarie Kremers innig-erfülltes Gebet aufgebaut hatte, ins fast Unerträgliche steigerte.
Dergleichen ist im Musiktheater nicht alle Tage zu erleben und tröstet auch über manche Überzeichnung der Regie des Hausherrn Kean-Louis Grinda (vor allem im Dialog Tannhäuser/Elisabeth und in der Frage, ob es statthaft ist, dass Venus und ihre Doubles am Ende Wolfram von Eschenbach als neues Opfer küren und im Finale eine Lynchjustiz zumindest angedeutet wird).
Die Dekors von Laurent Castaingt sorgen vor allem mittels stimmungsvoller Projektion immerhin für adäquate Optik und die Musik kann für sich sprechen. So überzeugt die Aufführung auf der ganzen Linie.
Das internationale Intendanten-Gremium sollte sich nun zusammenfinden, um Jose´ Cura einen tiefgehenden Deutschkurs zu finanzieren. Tannhäuser-Interpreten, die so singen, laufen zwischen dem Bayreuther Festspielhaus und dem Teatro Colon nicht allzu viele herum . . .