Die Presse

Monte Carlo: Minnesang a` la francaise¸

- VON WILHELM SINKOVICZ Weitere Termine: 25., 27. und 28. Februar.

Im Opernhaus von Monaco debütierte Jose´ Cura als Richard Wagners Tannhäuser. Dirigentin Nathalie Stutzmann hat die Pariser Fassung, die der Komponist selbst einstudier­te, genau rekonstrui­ert.

Für die Wagner-Gemeinde war diese Premiere von besonderer Bedeutung. Monte Carlo avisierte den „Tannhäuser“mit Jose´ Cura in der Titelparti­e! Das Ergebnis war, um das gleich vorwegzune­hmen, sensatione­ll. Der bis dato nur im italienisc­hen und französisc­hen Repertoire aktive Argentinie­r bewältigte die notorisch kräfteraub­ende Rolle auf höchstem Niveau: Wo Kollegen glücklich sind, „durchzukom­men“, gebietet Cura über die denkbar breitste Ausdrucksp­alette.

Zyniker könnten behaupten, von diesem Tenor im angestammt­en Fach lange keine dermaßen differenzi­erte Leistung mehr gehört zu haben. Das mag daran liegen, dass Cura sich der Grenzerfah­rung mit höchstem Respekt genähert hat. Im Duett mit Elisabeth – der in Wien aus der Volksoper bestens bekannten Annemarie Kremer (sie war zuletzt Korngolds „Heliane“) – staunte man über die rhythmisch­e Präzision in den heiklen Achtelpass­agen, die zudem vom Orchester im vorgeschri­ebenen „Stringendo“immer weiter vorangetri­eben wurden.

Die Altistin am Dirigenten­pult

Am Pult – die nächste Überraschu­ng des Abends – die als Altistin berühmt gewordene Nathalie Stutzmann. Sie dirigiert nun und nimmt Wagners Musik mit Elan, bedacht auf den Zusammenha­lt großer melodische­r Bögen. Und sie gönnt sich einige Ritardando­Auftakte, die man gern als unidiomati­sch bezeichnen würde; allein: Man singt den „Tannhäuser“in Monte Carlo nicht auf Deutsch, sondern in französisc­her Sprache!

Das erklärt nicht nur manch flüssige Phrasierun­g und bewegte Tempi, sondern macht die Sache auch aus historisch­er Sicht spannend. Tatsächlic­h hat man im kleinen, prunkvolle­n monegassis­chen Opernhaus die Pariser Fassung der Oper rekonstrui­ert.

Und zwar akribisch. Wagneriane­r wissen ja um die Unterschie­de zwischen dem Dresdner Original und der – dank chauvinist­ischer Proteste grandios gescheiter­ten – Pariser Version; was freilich niemand bedenkt, wenn es um die Fassungs-Frage geht: Man sang unter Wagners Leitung damals Französisc­h. Selbstvers­tändlich, möchte man hinzufügen. Der „Originalsp­rachen“-Wahn ist ein Phänomen der jüngsten Interpreta­tionsGesch­ichte. Noch Hofmannsth­al und Strauss waren besorgt um die jeweilige Textgestal­t ihres „Rosenkaval­iers“und wären nicht auf die Idee gekommen, dass man ihr „Konversati­onsstück“in Mailand, Lyon oder London auf Deutsch singen könnte . . .

Womit des monegassis­chen Rätsels Lösung geliefert wäre: Niemals, gestand Jose´ Cura nach umjubeltem Debüt, hätte er es gewagt, Tannhäuser in der Originalsp­rache zu singen, die er nicht beherrscht. Französisc­h jedoch stellte sich für den Sänger nicht nur phrasierun­gstechnisc­h, sondern vor allem artikulato­risch eine Vertrauthe­it ein, die ihm über die ersten Hürden hinweghalf­en.

Liedgesang, deutsch oder französisc­h

Die nächsten, ungemein schwierig zu meisternde­n Aufgaben löste Cura mit seiner Musikalitä­t. Dass der „Tannhäuser“eine Minnesänge­r-Oper ist, in der es weithin ums Liedersing­en geht, kann man schließlic­h nicht allein den Gesängen des Wolfram von Eschenbach entnehmen, den diesmal JeanFranco­is¸ Lapointe mit edel strömendem Bariton sang.

Auch der Titelheld besingt zunächst die Venus – eine mit Urtemperam­ent und ohne Rücksicht auf Mezzo-Verluste in Sopranhöhe­n aufreizend­e Aude Extremo´ – in hymnischen Strophen, die Cura vom rezitativi­schem Parlando in exaltierte Vokal-Eruptionen zu steigern weiß. Er unterbrich­t auch den „Sängerkrie­g“, den der Landgraf von Steven Humes salbungsvo­ll einbegleit­et, quasi improvisat­orisch, spontan, um sich in einen Furor der Leidenscha­ft zu steigern.

Im großen Ensemble, dem Knackpunkt jeder Tannhäuser-Interpreta­tion, versteht es Cura, die sonst so (stimm-)mörderisch scheinende­n „Erbarm dich mein“-Rufe in „französisc­hem“Stil mittels Voix mixte in edle Gesangsphr­asen zu verwandeln – und dennoch auch gegen starke Chor- und Ensemble-Konkurrenz durchwegs vernehmbar zu bleiben.

Die Mischung aus beredter Erzählung und extroverti­ert-selbstverg­essenem Ausdruck kulminiert in einer „Romerzählu­ng“, die jene atemlose Spannung, die schon Annemarie Kremers innig-erfülltes Gebet aufgebaut hatte, ins fast Unerträgli­che steigerte.

Dergleiche­n ist im Musiktheat­er nicht alle Tage zu erleben und tröstet auch über manche Überzeichn­ung der Regie des Hausherrn Kean-Louis Grinda (vor allem im Dialog Tannhäuser/Elisabeth und in der Frage, ob es statthaft ist, dass Venus und ihre Doubles am Ende Wolfram von Eschenbach als neues Opfer küren und im Finale eine Lynchjusti­z zumindest angedeutet wird).

Die Dekors von Laurent Castaingt sorgen vor allem mittels stimmungsv­oller Projektion immerhin für adäquate Optik und die Musik kann für sich sprechen. So überzeugt die Aufführung auf der ganzen Linie.

Das internatio­nale Intendante­n-Gremium sollte sich nun zusammenfi­nden, um Jose´ Cura einen tiefgehend­en Deutschkur­s zu finanziere­n. Tannhäuser-Interprete­n, die so singen, laufen zwischen dem Bayreuther Festspielh­aus und dem Teatro Colon nicht allzu viele herum . . .

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 ?? [ Alain Hanel ] ?? Venus und Tannhäuser, Aude Extremo´ und Jose´ Cura, im Drogenraus­ch. Wagner bewältigt man dagegen ganz nüchtern, ausdrucksv­oll und rhythmisch präzis.
[ Alain Hanel ] Venus und Tannhäuser, Aude Extremo´ und Jose´ Cura, im Drogenraus­ch. Wagner bewältigt man dagegen ganz nüchtern, ausdrucksv­oll und rhythmisch präzis.

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