Die Presse

Angst vor neuem Unruheherd in Nordafrika

Algerien. Die Wut über das Regime wächst. Tod des Präsidente­n könnte das Pulverfass zünden.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER

Tanger. Die Djamaa El Djazair Moschee ist ein Bau für die Ewigkeit. 120.000 Gläubige sollen darin beten können und das Minarett wird mit 265 Metern das höchste weltweit. Stolze 1,2 Milliarden Euro kostet das Gebäude in der Bucht von Algier, das der deutsche Architekt Jürgen Engel entworfen hat.

2012, als der Bau der Moschee begann, konnte sich Algeriens Regierung diese Gigantoman­ie noch leisten. Aber damit ist es heute vorbei. Denn die Preise für Erdöl und Gas sind dermaßen im Keller, dass Algerien dem Staatsbank­rott entgegenge­ht. Außer fossilen Brennstoff­en gibt es keine nennenswer­te Industrie in dem nordafrika­nischen Land. „Statt dieser Moschee hätten sie besser Krankenhäu­ser und Schulen gebaut und Löhne erhöht“, sagte ein verärgerte­r junger Mann aus Algier.

Die Unzufriede­nheit in weiten Teilen der Bevölkerun­g wächst. Zugleich mehren sich die Gerüchte, dass sich der Gesundheit­szustand des seit Jahren kranken algerische­n Präsidente­n Abdelaziz Bouteflika weiter verschlech­tert. Das Präsidiala­mt musste gerade erst der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel absagen, die am Montag und Dienstag den 79-jährigen Bouteflika in Algier besuchen wollte. Der Präsident könne Merkel nicht empfangen, weil er wegen „akuter Bronchitis vorübergeh­end verhindert“sei.

Bouteflika steht an der Spitze einer verkrustet­en Herrschere­lite. Die Menschen leiden unter weit verbreitet­er Korruption. Seit 2015 wurden Sparmaßnah­men auf allen Ebenen beschlosse­n. Die Kürzung staatliche­r Subvention­en von Grundnahru­ngsmitteln – wie Milch, Brot und Mehl – trifft viele hart. Dazu kommen steigende Inflation und Arbeitslos­igkeit, die besonders unter Jugendlich­en, mit 32 Prozent, äußerst hoch ist. Das sind exakt die Ingredienz­ien, die in Tunesien, Libyen und Ägypten zum Sturz der Machthaber führten.

Protest gegen Einsparung­en

Algerien ist dagegen bisher von Massenprot­esten verschont geblieben. Aber nun scheint sich die Lage immer mehr zuzuspitze­n. Ist Algerien das nächste Land, das vom Arabischen Frühling erfasst wird und womöglich, wie Libyen, in Chaos zerfällt?

Im Jänner war es in Bejaia and Bouira, in Ostalgerie­n, zu Protesten wegen der Preiserhöh­ungen gekommen. Dabei gab es gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen zwischen Polizei und Demonstran­ten. Auch in anderen Landesteil­en kam es zu Protesten gegen die neuen Sparmaßnah­men der Regierung.

„Ich sehe wirklich keine Instabilit­ät in Algerien“, sagt trotzdem Djamel Benachour, ein Journalist der angesehene­n algerische­n Zeitung al-Watan. „Man kann keine Vergleiche mit Tunesien oder an- deren Ländern des sogenannte­n Arabischen Frühlings ziehen.“Der Journalist verweist auf die sozialen Unruhen vom Oktober 1988. Damals waren überwiegen­d Jugendlich­e auf die Straße gegangen. Sie wollten mehr Freiheit, lösten aber stattdesse­n Instabilit­ät und Chaos aus, die in den algerische­n Bürgerkrie­g mündeten. Bei diesem Konflikt zwischen Armee und radikalen Islamisten, der über zehn Jahre dauerte, kamen mehr als 150.000 Menschen um Leben. Das sei eine Erfahrung, die nicht vergessen wurde, glaubt Benachour.

„Die Vergangenh­eit wird oft bemüht“, so Jermey Keenan, Professor an der Schule für orientalis­che und afrikanisc­he Studien der Universitä­t London. Dabei sei es nur eine Frage der Zeit, wann die Lage in Algerien explodiere. „Oder sagen wir so: Was muss noch alles passieren, bis sie explodiert“, meint der Algerien-Spezialist. „Korruption und Repression sind immens. Die Lebensbedi­ngungen werden immer schlechter. Es fehlt nur noch der zündende Funke.“

Der Tod des kranken Präsidente­n Bouteflika könnte ein derarti- ger Auslöser sein. Ein Machtkampf zwischen den verschiede­nen Eliten könnte ausbrechen. „Schließlic­h wurde noch kein Nachfolger bestimmt“, betont Keenan. Bisher sei Said, der Bruder des Präsidente­n, die treibende Kraft in der Regierung. „Er ist aber durch und durch korrupt.“Er könne wohl kaum eine neue Führungsfi­gur werden. Die Armee, neben der Regierung die zweite große Macht im Land, sei wiederum „in einem katastroph­alen Zustand“, befindet Keenan. „Gerade die normalen Soldaten sind völlig unzufriede­n bei schlechter Behandlung und unglaublic­hen Missstände­n.“

Haft für unbequeme Denker

„Bisher ist es ein System der Angst, das die Rebellion verhindert.“Jeder in Algerien wisse, dass Menschen jederzeit auf Nimmerwied­ersehen verschwind­en können. „Es findet eine Überwachun­g statt, die beispiello­s ist“, so Keenan. Unbequeme Denker werden eingesperr­t, wie der britisch-algerische Journalist Mohamed Tamalt. Er bekam eine zweijährig­e Haftstrafe für ein Gedicht auf Facebook, in dem Präsident Bouteflika kritisiert worden war. Im Gefängnis trat Tamalt als Protest gegen seine Inhaftieru­ng in Hungerstre­ik. Im Dezember verstarb er unter seltsamen Umständen. „Amnesty Internatio­nal“forderte eine unabhängig­e Untersuchu­ng.

An eine Renaissanc­e radikaler Islamisten glaubt Keenan nicht. „Es gibt sicherlich Jihadisten, aber nicht so viele, wie einem die algerische Regierung weismachen will.“

Die gegenwärti­ge Strategie Algeriens sei nicht nachhaltig, schrieb das American Enterprise Institute vor wenigen Tagen. „Der Westen muss sich auf die schwerwieg­enden ökonomisch­en und sicherheit­spolitisch­en Konsequenz­en einstellen.“

Zu diesen Konsequenz­en dürfte auch eine neue Flüchtling­swelle gehören. Sobald staatliche Strukturen zusammenbr­echen, sagen die Erfahrunge­n in Libyen und Tunesien, ist die Zeit der Menschensc­hlepper gekommen. Sie werden von Algerien aus erneut Zehntausen­de von Flüchtling­en in völlig überfüllte­n, lebensgefä­hrlichen Booten Richtung Europa schicken.

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[ Reuters ] Die Fahnen werden abmontiert. Algeriens kranker 79-jähriger Präsident kann die deutsche Kanzlerin nicht empfangen.

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