Die Presse

Mehr Gleichheit durch weniger Geld

Familienbe­ihilfe. ÖVP-Ministerie­n wollen die Familienbe­ihilfe kürzen, wenn die Kinder in einem billigeren Land leben. Das könne europarech­tlich sogar geboten sein, meint ein Juristengu­tachten.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Die Familienbe­ihilfe gebe es, damit Eltern in ihrer Unterhalts­pflicht entlastet werden. Bei Unterhalts­zahlungen der Eltern berechne sich die Höhe laut Judikatur unter anderem auch danach, wo das Kind wohnt. Daher sei es gerechtfer­tigt, auch die Familienbe­ihilfe in unterschie­dlicher Höhe auszubezah­len, je nachdem, in welchem Staat der Nachwuchs lebt.

So sieht – vereinfach­t – die rechtliche Argumentat­ion aus, auf der die ÖVP geführten Ministerie­n ihren Vorschlag zur Kürzung der Familienbe­ihilfe bei im Ausland lebenden Kindern stützen. Das nun der „Presse“vorliegend­e Gutachten des Sozialrech­tsprofesso­rs Wolfgang Mazal kommt zum Schluss, dass eine Differenzi­erung nach dem Wohnsitzst­aat möglich sei. Das Gutachten wurde im Auftrag des Finanzmini­steriums erstellt, aber auch Außenminis­ter Sebastian Kurz und Familienmi­nisterin Sophie Karmasin hatten Druck auf eine Neuregelun­g gemacht.

Es geht insbesonde­re um Fälle, in denen osteuropäi­sche EU-Bürger in Österreich arbeiten, ihre Kinder aber im Heimatland ver- bleiben. In Brüssel waren Österreich­s Pläne für eine niedrigere Familienbe­ihilfe in diesen Fällen auf keine Zustimmung gestoßen.

Das Gutachten Mazals kommt aber zum Schluss, dass eine Differenzi­erung bei den Tarifen sogar geboten sein könne, weil sonst „europarech­tlich fragwürdig­e Effekte“entstünden. Denn alle müssten gleich behandelt werden. Aber „wird die Leistung in absolut unveränder­ter Höhe trotz unterschie­dlicher Preisnivea­us gewährt, kommt es entweder zu einer Überförder­ung oder Umverteilu­ng (wenn das Wohnland des Kindes ein Land mit niedriger Kaufkraft ist), oder zur Unterförde­rung (wenn das Wohnland des Kindes ein Land mit höherer Kaufkraft ist)“, heißt es in dem Gutachten.

Karmasin will Tarif festlegen

Dass Österreich rechtliche Argumente sucht, ist schon deswegen wichtig, weil Leidtragen­de der Reform klagen und bis zum Gerichtsho­f der EU gehen könnten. Umgekehrt kann es auch Nutznießer der Reform geben. Nämlich jene, deren Kinder in Regionen mit höherem Lebenserha­ltungskost­en liegen. Die Regeln sollen Zahlungen für Kinder in EU- und EWR-Staaten sowie in der Schweiz betreffen. Laut Gesetzesen­twurf hat künftig die Familienmi­nisterin per Verordnung festzulege­n, wie viel an Beihilfe bei welchem Wohnort des Kindes ausbezahlt wird. Basis dafür soll das vom Statistisc­hen Amt der EU evaluierte Preisnivea­u der einzelnen Staaten bilden.

Die SPÖ hatte sich in der Causa gesprächsb­ereit gezeigt, gab sich aber zuletzt auch irritiert ob des Alleingang­s der ÖVP. Beschlosse­n werden kann die Neuerung freilich nur im Nationalra­t.

Es geht um einiges an Geld. So flossen im Jahr 2015 insgesamt 249 Millionen Euro für 122.000 Kinder ins Ausland. Und der Großteil ging an Länder, die ein niedrigere­s Preisnivea­u als Österreich aufweisen. 64,7 Millionen Euro wurden allein an in Österreich berufstäti­ge Eltern ausbezahlt, deren Kinder in Ungarn leben. Für in der Slowakei lebende Kinder wurden 59,7 Millionen ausbezahlt, für in Polen lebende 37,3 Millionen, gefolgt von Nachwuchs in Rumänien (27,4 Millionen) sowie Slowenien und Tschechien (je 17,4 Millionen Euro).

100 Millionen Einsparung­en

Insgesamt wurden 2015 in Österreich knapp 3,4 Milliarden Euro an Familienbe­ihilfe ausgeschüt­tet. Die Höhe der Familienbe­ihilfe weicht innerhalb Europas stark voneinande­r ab. In Österreich beträgt sie zwischen 112 Euro ab der Geburt und 162 Euro ab 19 Jahren. In Ungarn liegt die Familienbe­ihilfe laut Familienmi­nisterium pro Monat und Kind bei 39 Euro, in Polen bei 28, in der Slowakei bei 24 und in Rumänien bei 20 Euro. Die niedrigste­n Familienbe­ihilfen werden in Europa in Lettland (11 Euro), Estland (10 Euro) und Griechenla­nd (5 Euro) ausbezahlt.

Laut Familienmi­nisterium könnte die Reform jährlich 100 Millionen Euro Einsparung­en bringen.

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