Rotlicht dreht den Schlüssel im Schloss
Biochemie. Grazer Forscher entschlüsseln erstmals die Gesamtlängenstruktur eines Proteins, das durch Rotlicht reguliert wird. Der Effektor ist über einen wendelförmigen „Lichtschalter“mit dem Rotlichtsensor verbunden.
Woher weiß eine Pflanze, dass sie zu viel Schatten hat und ihre Blätter in Richtung Licht recken muss? Wie können Bakterien, die keine Augen haben, gezielt zu Licht hinschwimmen? In der Natur steuern Fotorezeptoren diese Vorgänge, also Proteinkomplexe, die sensibel auf Licht reagieren. Sie sind für das junge Gebiet der Optogenetik wichtig: Baut man lichtsensible Strukturen in Zellen ein, kann man ihre Prozesse zeitlich und räumlich gut kontrollieren, indem man einfach Licht an- und ausschaltet. Ein molekularer Lichtschalter reagiert stets auf eine bestimmte Wellenlänge, manche optogenetischen Tricks werden mit Rotlicht, andere mit Blaulicht gesteuert.
Biochemiker der Med-Uni und TU Graz untersuchten nun mit modernen Methoden ein Phytochrom, also einen von Rotlicht regulierten Lichtschalter. Sie ermittelten erstmals die dreidimensionale Volllängenstruktur eines bakteriellen Phytochroms mit seinem Effektorpro- tein. Die Ergebnisse wurden, gestern, Freitag, im Journal „Science Advances“publiziert.
Andreas Winkler vom Institut für Biochemie der TU Graz erklärt: „In der Natur kommt der Sensor in Bakterien vor, die bei Dunkelheit als einzelne Zellen herumschwimmen.“Bei Licht rotten sich die Bakterien zusammen und bilden einen Biofilm, in dem sie als Kolonie widerstandsfähiger sind.
Nicht so einfach wie Legosteine
Die Grazer hatten nicht die Bakterien im Labor, sondern nur deren DNA: Aus ihr kann man mit Hilfe anderer Organismen die gewünschten Proteinbausteine herstellen. Mit den isolierten und gereinigten Proteinen versuchen die Forscher zu verstehen, wie der Sensor mit dem Effektor gekoppelt ist, damit Licht wirklich als Schalter dient und die Aktivität des Effektors nur bei Belichtung an- und bei Dunkelheit abgeschaltet wird.
Die Natur hat unterschiedliche Systeme entwickelt, mit denen Zellen alle möglichen Sachen messen können. „Oft werden zentrale Prozesse nicht nur über Lichtsensoren, sondern etwa auch über Änderungen des pH-Wertes reguliert“, sagt Winkler. Früher dachte man, diese natürlichen modularen Systeme wären einfach wie Legobausteine, die man beliebig zu funktionierenden Einheiten zusammenstecken kann.
„Doch es ist viel komplizierter. Steckt man einen roten und einen blauen Legostein vermeintlich korrekt zusammen, funktioniert das System oft trotzdem nicht, weil das Lichtsignal nicht korrekt wei-
oder 100 Angström˚ ist in etwa die Distanz, die das Signal zwischen dem lichtempfindlichen Teil des Sensors und dem funktionellen Teil des Effektors in diesem Lichtschalter zurücklegt. Das ist auf molekularer Ebene eine relativ lange Strecke.
ist die durchschnittliche Größe von einem Molekül, das aus zwei Atomen besteht. tergeleitet wird“, so Winkler. Sein Team machte durch Röntgenkristallografie nun Schnappschüsse der 3-D-Struktur der Verbindung dieser Legosteine: Dabei zeigte sich, dass die Koppelung zwischen Sensor und Effektor wie eine Doppelwendel spiralig geformt ist.
Bei Licht verdreht es sich
„Erst mit der Methode des Wasserstoff-Deuterium-Austauschs konnten wir die Dynamik des Systems besser verstehen“, so Winkler. Diese liefert genaue Zeitinformationen zur Bewegung. So wurde sichtbar, dass sich die zwei Schrauben bei rotem Licht ein Stück verdrehen. Im Dunklen rutschen sie wieder in den Grundzustand.
Diese Bewegung gibt wie die Drehung eines Schlüssels im Schloss das Signal an den Effektor, seine Aktivität zu erhöhen. Die Erkenntnis ist nun der erste Schritt, um ein System, das die Natur in Millionen Jahren von Evolution geschaffen hat, so zu verstehen, dass man Ähnliches in Zukunft vielleicht im Labor nachbauen kann.