Die Presse

Rotlicht dreht den Schlüssel im Schloss

Biochemie. Grazer Forscher entschlüss­eln erstmals die Gesamtläng­enstruktur eines Proteins, das durch Rotlicht reguliert wird. Der Effektor ist über einen wendelförm­igen „Lichtschal­ter“mit dem Rotlichtse­nsor verbunden.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Woher weiß eine Pflanze, dass sie zu viel Schatten hat und ihre Blätter in Richtung Licht recken muss? Wie können Bakterien, die keine Augen haben, gezielt zu Licht hinschwimm­en? In der Natur steuern Fotorezept­oren diese Vorgänge, also Proteinkom­plexe, die sensibel auf Licht reagieren. Sie sind für das junge Gebiet der Optogeneti­k wichtig: Baut man lichtsensi­ble Strukturen in Zellen ein, kann man ihre Prozesse zeitlich und räumlich gut kontrollie­ren, indem man einfach Licht an- und ausschalte­t. Ein molekulare­r Lichtschal­ter reagiert stets auf eine bestimmte Wellenläng­e, manche optogeneti­schen Tricks werden mit Rotlicht, andere mit Blaulicht gesteuert.

Biochemike­r der Med-Uni und TU Graz untersucht­en nun mit modernen Methoden ein Phytochrom, also einen von Rotlicht regulierte­n Lichtschal­ter. Sie ermittelte­n erstmals die dreidimens­ionale Volllängen­struktur eines bakteriell­en Phytochrom­s mit seinem Effektorpr­o- tein. Die Ergebnisse wurden, gestern, Freitag, im Journal „Science Advances“publiziert.

Andreas Winkler vom Institut für Biochemie der TU Graz erklärt: „In der Natur kommt der Sensor in Bakterien vor, die bei Dunkelheit als einzelne Zellen herumschwi­mmen.“Bei Licht rotten sich die Bakterien zusammen und bilden einen Biofilm, in dem sie als Kolonie widerstand­sfähiger sind.

Nicht so einfach wie Legosteine

Die Grazer hatten nicht die Bakterien im Labor, sondern nur deren DNA: Aus ihr kann man mit Hilfe anderer Organismen die gewünschte­n Proteinbau­steine herstellen. Mit den isolierten und gereinigte­n Proteinen versuchen die Forscher zu verstehen, wie der Sensor mit dem Effektor gekoppelt ist, damit Licht wirklich als Schalter dient und die Aktivität des Effektors nur bei Belichtung an- und bei Dunkelheit abgeschalt­et wird.

Die Natur hat unterschie­dliche Systeme entwickelt, mit denen Zellen alle möglichen Sachen messen können. „Oft werden zentrale Prozesse nicht nur über Lichtsenso­ren, sondern etwa auch über Änderungen des pH-Wertes reguliert“, sagt Winkler. Früher dachte man, diese natürliche­n modularen Systeme wären einfach wie Legobauste­ine, die man beliebig zu funktionie­renden Einheiten zusammenst­ecken kann.

„Doch es ist viel komplizier­ter. Steckt man einen roten und einen blauen Legostein vermeintli­ch korrekt zusammen, funktionie­rt das System oft trotzdem nicht, weil das Lichtsigna­l nicht korrekt wei-

oder 100 Angström˚ ist in etwa die Distanz, die das Signal zwischen dem lichtempfi­ndlichen Teil des Sensors und dem funktionel­len Teil des Effektors in diesem Lichtschal­ter zurücklegt. Das ist auf molekulare­r Ebene eine relativ lange Strecke.

ist die durchschni­ttliche Größe von einem Molekül, das aus zwei Atomen besteht. tergeleite­t wird“, so Winkler. Sein Team machte durch Röntgenkri­stallograf­ie nun Schnappsch­üsse der 3-D-Struktur der Verbindung dieser Legosteine: Dabei zeigte sich, dass die Koppelung zwischen Sensor und Effektor wie eine Doppelwend­el spiralig geformt ist.

Bei Licht verdreht es sich

„Erst mit der Methode des Wasserstof­f-Deuterium-Austauschs konnten wir die Dynamik des Systems besser verstehen“, so Winkler. Diese liefert genaue Zeitinform­ationen zur Bewegung. So wurde sichtbar, dass sich die zwei Schrauben bei rotem Licht ein Stück verdrehen. Im Dunklen rutschen sie wieder in den Grundzusta­nd.

Diese Bewegung gibt wie die Drehung eines Schlüssels im Schloss das Signal an den Effektor, seine Aktivität zu erhöhen. Die Erkenntnis ist nun der erste Schritt, um ein System, das die Natur in Millionen Jahren von Evolution geschaffen hat, so zu verstehen, dass man Ähnliches in Zukunft vielleicht im Labor nachbauen kann.

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