Die Presse

Die neue Eiszeit

Das Verhältnis der beiden Länder ist auch nach dem Treffen der Außenminis­ter so schlecht wie lange nicht. Berlin fürchtet nun eine Spaltung der türkischen Gemeinscha­ft im Land.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei ist so schlecht wie lange nicht. Berlin fürchtet eine Spaltung der türkischen Gemeinscha­ft im Land.

Berlin. Ein Frühstück des deutschen und türkischen Außenminis­ters im Luxus-Hotel Adlon reicht nicht, um die Beziehunge­n zu kitten. Dafür ist zu viel vorgefalle­n in letzter Zeit: die Verhaftung des deutschtür­kischen „Welt“-Journalist­en Deniz Yücel etwa, die Spitzelaff­äre um türkische Imame in Deutschlan­d oder die Debatte um (untersagte) türkische Wahlkampfa­uftritte auf deutschem Boden, die in Nazi-Vorwürfen aus Ankara gegen die Bundesrepu­blik gipfelten.

Am Mittwoch, nach dem Krisenfrüh­stück mit seinem türkischen Amtskolleg­en Mevlüt C¸avus¸og˘lu tritt Sigmar Gabriel also vor die Presse. Allein. Mit sichtbar ernster Miene. Der deutsche Außenminis­ter wird nach dem Statement nach Warschau reisen, die Polen zur Rechtsstaa­tlichkeit ermahnen, dann geht es weiter nach Moskau. Alles keine einfachen Besuche. Aber den schwersten Programmte­il, das Frühstück mit C¸avus¸og˘lu, hat er bereits hinter sich. „Gut, ehrlich und freundlich aber auch hart und kontrovers in der Sache“sei das Treffen gewesen, sagt Gabriel. Er habe dabei die Nazi-Vergleiche, an denen sich auch sein Amtskolleg­e beteiligt hatte, zurückgewi­esen: „Es gibt Grenzen, die man nicht überschrei­ten darf.“

Berlin spielt auf Zeit

Ansonsten hält Gabriel den Ball flach. Er preist die guten Beziehunge­n zur Türkei, wie es sie einmal gab. Vor den „Spannungen“. Und er verkneift sich jede Spitze. Im Ton ist das alles leiser, wie das, was etwa aus Wien zu hören ist. Die deutsche Regierung spielt dabei auf Zeit: Es gibt die Hoffnung, dass der Theaterdon­ner aus Ankara am 18. April verstummt, dass also nach dem Wahlkampf um die neue Verfassung das Feindbild Deutschlan­d wieder abgeräumt wird. Und bis dahin gilt die Devise, sich nicht provoziere­n zu lassen. „Wir waren uns einig, dass keine der beiden Seiten ein Interesse daran hat, die Beziehunge­n nachhaltig zu beschädige­n“, sagt Gabriel. Man wolle sich bald wieder treffen. Bei C¸avus¸og˘lu klingt das später ähnlich. Zunächst. Er lädt seinen „Freund“in die Türkei ein. Zugleich verbittet er sich aber Einmischun­gen in das Referendum und vergleicht Berichten zufolge die Stimmung in Europa mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

Das ist schon näher an seinem Auftritt am Vorabend, auf einem Balkon des Konsulats in Hamburg, wo den Zuhörern mit ihren türkischen Fahnen erklärte, Deutschlan­d verfolge „eine systematis­che Gegnerscha­ft zur Türkei“. Behörden hatten ihm zuvor andernorts einen Wahlkampfa­uftritt untersagt. Wie schon dem türkischen Justizund dem Wirtschaft­sminister. Nun aber könnte der Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ selbst kommen: Beim Krisenfrüh­stück im Adlon soll C¸avus¸og˘lu die Chancen für mögliche Veranstalt­ungsorte ausgelotet haben. Gabriel erwähnt das nicht. Er deutet aber an, dass solche Auftritte möglich seien, wenn man sich an die „Spielregel­n“hält. Am Ende seiner Erklärung nimmt der Außenminis­ter die Brille ab und sagt, dass er jetzt noch eine Botschaft an die Bürger mit türkischen Wurzeln richten möchte. Es ist der Versuch einer Umarmung. Türkische Mitbürger hätten einen „unglaublic­hen Anteil am Aufbau des Wohlstands in unserem Land“. „Sie sind Teil unseres Landes, und so wollen wir uns auch verstehen.“Gabriel sagt aber auch einen Satz, in dem sich die größte Sorge der Regierung spiegelt: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass politische Auseinande­rsetzungen aus der Türkei nach Deutschlan­d importiert werden.“

Die Bedrohung ist real. HansGeorg Maaßen, Chef des Bundesverf­assungssch­utzes, warnte gestern vor Zusammenst­ößen zwischen Deutschtür­ken: „Es besteht die Gefahr, dass die Stellvertr­eterausein­andersetzu­ngen zwischen PKK-Anhängern und nationalis­tischen/extremisti­schen Türken eskalieren.“Zugleich würden die Geheimdien­st-Tätigkeite­n der Türkei zunehmen.

Wichtigste­r Handelspar­tner

Für Angela Merkel steht angesichts der deutsch-türkischen Verwerfung­en viel auf dem Spiel, vielleicht auch der Flüchtling­sdeal, den sie vor einem Jahr mit Ankara eingefädel­t hat. Bisher hielt sie sich mit öffentlich­er Kritik eher zurück. Einer „BamS“-Umfrage zufolge finden 81 Prozent der Deutschen, die Bundesregi­erung lasse sich von der Türkei zu viel gefallen.

Denn so einseitig sind die Abhängigke­iten nicht. Auch Deutschlan­d hat Hebel. Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble erinnerte zuletzt daran, dass Deutschlan­d für die Türkei der wichtigste Handelspar­tner sei und dass Ankara in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten stecke. Bis 2015 waren auch die meisten Türkeiurla­uber aus Deutschlan­d. Dann kamen Terror und Putschvers­uch. Am Mittwoch ist C¸avus¸og˘lu auf der ITB, der Reisemesse in Berlin. Und wirbt dort auch um deutsche Touristen.

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[ APA ] Treffen in gespannter Atmosphäre. Außenminis­ter Gabriel (l.) empfing den türkischen Außenminis­ter Cavu¸¸soglu˘ (zweiter von r.)

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