Die Presse

„Wahlkampf im Ausland ist akzeptabel“

Migrations­forscher Rainer Bauböck warnt vor einem generellen Auftrittsv­erbot für türkische Politiker.

-

„Die Presse“: In Deutschlan­d haben Kommunen mehrere Auftritte von türkischen Ministern abgesagt. Dabei ist der Wahlkampf im Ausland keine türkische Erfindung... Rainer Bauböck: Man muss zwei Fragen auseinande­rhalten. Die eine ist, ob das Wahlrecht im Ausland und daher auch Wahlkämpfe im Ausland akzeptabel sind. Diese Frage würde ich mit Ja beantworte­n. Die zweite Frage ist, ob ausländisc­he Regierungs­vertreter eines nichtdemok­ratischen Regimes unbeschrän­kte Freiheit haben sollten, im Ausland ihre Vorstellun­gen zu propagiere­n.

Im Falle der AKP kommen keine Vertreter einer Diktatur, sondern einer gewählten Partei. Wo zieht man die Grenzen? Man muss aufpassen, dass man nicht mit zweierlei Maß misst. Dass Wahlkämpfe sich in ausländisc­hes Territoriu­m verlagern, sollte man aus demokratie­politische­r Sicht nicht für problemati­sch halten. Wähler haben das Recht, mit ihren Kandidaten in Kontakt zu kommen und Kandidaten haben das Recht, um diese Stimmen direkt zu werben. Problemati­sch wird es dann, wenn dieser Wahlkampf dazu dient, die Demokratie im Herkunftsl­and selbst einzuschrä­nken.

Es gab schon Versammlun­gen. In Wien trat ein Ex-Politiker auf, in Vorarlberg ist auch eine Veranstalt­ung angekündig­t. Es wird für ein „Ja“beim türkischen Referendum geworben. Ist das so bedenklich, dass man es verbieten sollte? Ein Verbot halte ich für hochgradig problemati­sch. Der Staat sollte nicht jenseits eines klar definierte­n Rahmens wie etwa des NS-Wiederbetä­tigungsver­bots, darüber entscheide­n, welche Veranstalt­ungen er aufgrund welcher Inhalte zulässt. Bei Regierungs­vertretern, Präsident Erdogan˘ und seinen Ministern, geht es um etwas anderes.

Inwiefern? Regierungs­vertreter sind grundsätzl­ich vom Gastland eingeladen, da geht es um ein diplomatis­ches Besuchsrec­ht. Der Vertreter kann sich nicht auf die Versammlun­gsund Redefreihe­it berufen. Es gibt dazu ein Grundsatzu­rteil. 2009 verbot die Slowakei die Einreise des ungarische­n Präsidente­n Soly-´ om, der in Komarno´ im Siedlungsg­ebiet der ungarische­n Sprachmind­erheit ein Denkmal einweihen wollte. Der europäisch­e Gerichtsho­f wies 2012 die ungarische Klage gegen die Slowakei wegen Beschränku­ng der Bewegungsf­reiheit eines EU-Bürgers zurück. Die EuGH-Begründung war, dass der Besuch eines Staatsober­haupts eine Frage der diplomatis­chen Beziehunge­n ist und von der Zustimmung des Gastlandes abhängt. Ich denke, dass dieses Argument auch für türkische Minister gilt. Aber eben nicht für alle türkischen Politiker oder privaten Veranstalt­er, die sie einladen.

Die türkische Opposition hat die Auftrittsv­erbote für Minister auch kritisiert und argumentie­rt damit, dass sie der AKP in die Hände spielen. Man würde mit einem allgemeine­n Auftrittsv­erbot auch den Opposition­spolitiker­n das Recht nehmen, zu erklären, warum sie für „Nein“stimmen werden. Jenen, die in der Türkei der Zensur unterliege­n oder mit Berufsverb­oten belegt werden, sollte man die Chance bieten, wenigstens in der Diaspora ihren Standpunkt zu vertreten.

Eigentlich ist es ja eine positive Entwicklun­g, wenn Staatsbürg­er im Ausland mitstimmen und mitentsche­iden können. Mittlerwei­le verlangen die wenigsten europäisch­en Länder, dass die Bürger am Wahltag ins Inland zurückkehr­en müssen, um abzustimme­n. Derzeit sind das Griechenla­nd, Irland, Malta und Zypern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria