Händel und die Gewalt
Kammeroper. Das Junge Ensemble des Theaters an der Wien und das Bach Consort Wien widmen sich Händels Opern-Pasticcio „Oreste“: musikalisch packend, szenisch interessant.
Schon in der Ära von Hans Gabor – der die Kammeroper 1953 gründete – überzeugten besonders jene Produktionen, in denen Raritäten in avancierten szenischen Deutungen zur Diskussion gestellt wurden. Klug, dass man dieses Rezept auch unter neuer Ägide beibehalten hat: Das intime Haus am Fleischmarkt fungiert als Talentebörse für das Theater an der Wien, das die Kammeroper 2012 übernommen hat.
„Oreste“heißt das Stück, auf das diesmal die Wahl gefallen ist: ein Opernpasticcio von Georg Friedrich Händel. Was nichts anderes bedeutet, als dass der Komponist, der damals, 1734, mit einem neu zusammengestellten Ensemble am Theatre Royal in Covent Garden reüssieren musste, damit keine originäre Oper geschaffen, sondern aus mindestens zehn seiner früheren Opern und einigen Kantaten ein neues Stück Musiktheater kombiniert hat. Eine gute Idee, die, wie schon zeitgenössischen Berichte zeigen, aufgegangen ist. Was auch am Sujet liegt, einem Teil der Atriden-Sage. Für viele ist es die HändelOper mit der besten Dramaturgie. Von Stückwerk, wie man Pasticcio auch übersetzen könnte, also keine Rede.
Der König trägt gern Zopf
Gewalt ist das beherrschende Thema des Geschehens. Da ist es auch keine Überraschung, wenn Regisseur Kay Link den auf Brutalität gewissermaßen abonnierten König Toante in einem kahlen Bunker (Ausstattung: Olga von Wahl) platziert. Ein, wie man aus der Geschichte weiß, ideales Refugium für Diktatoren, die ihrer Taten wegen stets eines besonderen Schutzes bedürfen, um nicht selbst einmal Opfer zu werden. Auch wenn Kay die Bühne in dunkles Licht (Franz Josef Tscheck) taucht, auf Farben verzichtet seine ganz auf den kleinen Bühnenraum ausgerichtete, auf die Interaktion der Personen fokussierende Inszenierung keineswegs. Orestes Schwester Ifigenia zeigt eine Vorliebe für turmhohe Kopfbedeckungen, die auch einer Nofretete gut anstünden. Orestes ihm in allen Situationen treu zur Seite stehende Gattin Hermione kommt im roten Taucheranzug auf die Bühne. Toante hat offensichtlich ein Faible für einen Zopf, trägt sonst einen schmucklosen grauen Anzug mit einer violetten Kette als Zeichen seiner Königswürde.
Schade nur, dass der italienische Bariton Matteo Loi für den Toante nur bedingt die vokalen Mittel und die glaubhafte Persönlichkeit mitbringt. Denn die Vielschichtigkeit seiner Person zu zeigen, ist eines der Anliegen dieser Szenerie. Aber auch, dass mitunter ein Tyrann dem anderen folgt, wie es die Entwicklung von Oreste demonstriert. Kaum dass Toante ermordet ist, zieht er, der zuvor gegen alle Gewalt aufgetreten ist, mit seiner Frau in den Bunker. Das Mördertreiben geht offenkundig munter weiter . . .
Brillant: das Bach Consort
Oreste Freund Pilade (rollendeckend: Julian Henao Gonzales) will das nicht glauben, wählt daher den Freitod. Auch Ifigenia (exzellent: Carolina Lippo) will dem Blutrausch nicht länger zusehen, entkleidet sich und zieht sich zurück. Dass man sich mit jenem Regime arrangieren kann, macht der rasch zum neuen Herrscher Oreste überlaufende Filotete (unauffällig Florian: Köfler) deutlich.
Musikalisch wurde der Abend von dem mitreißend virtuosem Orest von Eric Jurenas dominiert. Ein Countertenor, dem man getrost eine Weltkarriere vorhersagen kann. Nicht minder überzeugend, und zwar stimmlich wie darstellerisch, ist Frederikke Kampmann als Ermione. Und Ruben´ Dubrovsky am Pult seines brillant aufspielenden Bach Consort legte nicht nur den Sängern ein idealen Teppich, sondern warf mit seiner brillanten Interpretation auch die Frage auf, wieso man dieses meisterhafte Händel-Werk nicht öfter hört.